Kategorien-Archiv Steuerrecht

VonProf. Dr. Wolfgang Sturm

Es kommt darauf an, bei der Zehn-Jahresfrist der Schenkungsteuer auf den Tag und die Art der Fristberechnung

Mit Gerichtsbescheid vom 16. Juni 2011 (Az: 3 K 136/11) hat das Niedersächsische Finanzgericht („FG“) entschieden, wie der 10-Jahreszeitraum nach § 14  Abs. 1 Satz. 1 ErbStG zu berechnen ist. Dabei geht es um die Frage, ob ein Vorerwerb noch in den 10-Jahreszeitraum fällt. Denn nur dann ist der Vorerwerb (steuererhöhend) zu erfassen, sonst nicht. Über folgenden Sachverhalt hatte das FG entschieden:

Am 31. Dezember 1998 schenkten Eltern ihrem Sohn ein Grundstück im Wert von ca. 200 TEUR. Eine Schenkungsteuer war wegen des Freibetrages nicht festgesetzt worden (400 TEUR nach § 16 ErbStG).

Am 29. Dezember 1999 schenkte der Vater seinem Sohn ein weiteres Grundstück im Wert von ca. 90 TEUR. Auch hierbei war eine Schenkungsteuer wegen des Freibetrages nicht festzusetzen.

Am 31. Dezember 2008 schließlich schenkte der Vater seinem Sohn ein drittes Grundstück unter Nießbrauchsvorbehalt. Der Wert der Schenkung betrug ca. 190.000,00 €.

Mit den drei Schenkungen hatte der Sohn also ca. 480 T€ erhalten, der Freibetrag von 400 T€ war also um 80 T€ überschritten. Dieses Ergebnis setzte aber voraus, dass die Schenkung vom 31.12.1998 innerhalb von zehn Jahren vor der Schenkung am 31.12.2008 erfolgt ist.

Das Finanzamt rechnete alle Schenkungen zusammen und setzte Schenkungsteuer fest. Der Kläger wandte sich mit der Klage dagegen. Er vertrat die Ansicht, dass eine Zusammenrechnung mit der ersten Schenkung unzulässig sei.  Vom Zeitpunkt der letzten Schenkung aus betrachtet (31.12.2008) liege die erste Schenkung (31. Dezember 1998) nicht mehr „innerhalb von zehn Jahren“. Denn die 10- Jahresfrist ende bei Rückwärtsrechnung am 1. Januar 1999, 0.00 Uhr. Würde man noch den 31. Dezember 1998 mitzählen, würde die „natürliche Länge“ der 10-Jahresfrist überschritten.

Das beklagte Finanzamt war dagegen der Ansicht, dass die Frist nach § 14 Abs. 1 Satz 1 ErbStG entsprechend der Regelung in den §§ 187 Abs. 1, 188 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) zu berechnen sei. Daher falle bei einer Schenkung am 31. 12.2008 auch die Vorschenkung am 31. 12. 1998 in den 10-Jahreszeitraum. Denn der Tag des auslösenden Ereignisses, hier die Schenkung am 31. 12.2008, sei bei der Berechnung nicht zu berücksichtigen.

Das FG folgte dem Kläger und damit der überwiegenden Ansicht in der Literatur. Die §§ 187 ff. BGB beziehen sich nach dem FG ausdrücklich nur auf die sogenannte „Vorwärtsberechnung“ von Fristen, nicht aber auf Rückwärtsberechnungen wie im vorliegenden Fall. Außerdem würde die Anwendung der §§ 187 ff. BGB die 10-Jahresfrist unnatürlich verlängern, nämlich um einen Tag. Zudem müsse bei nicht eindeutigen Regelungen die günstigere Lösung gewählt werden.

Nach Auffassung des FG war also die Schenkung vom 31.12.1998 nicht mehr zu berücksichtigen, da die 10-Jahresfrist am 1. Januar 1999, 0.00 Uhr endete. Das FG gab der Klage statt.

Das FG hat die Revision zum BFH zugelassen, da es eine Entscheidung des BFH zur Fortbildung des Rechts für erforderlich hielt. Denn die streitgegenständliche Rechtsfrage zur Bestimmung des maßgeblichen Zeitraums nach § 14 Abs. 1 Satz 1 ErbStG ist bisher höchstrichterlich nicht entschieden.

VonProf. Dr. Wolfgang Sturm

Vorsteuerabzug aus Beratungsrechnungen von Anwälten III – Finanzamt lenkt ein

Wir berichteten zuletzt am 07.11.2011 darüber, dass ein Finanzamt in NRW nach unserer Auffassung übertriebene Anforderungen an den Vorsteuerabzug aus der Beratungsrechnung eines Rechtsanwalts gestellt hatte. Wir haben in der Zwischenzeit die Leistungen erläutert und den Zeitaufwand quantifiziert. Das Finanzamt hat jetzt eingelenkt und den Vorsteuerabzug gebilligt. Leider erfuhren wir das erst auf telefonische Nachfrage, obwohl der Vorgang in der Verwaltung bereits Mitte Januar 2012 erledigt worden war.

VonProf. Dr. Wolfgang Sturm

BGH zementiert bei Steuerhinterziehung die magische Grenze von 1,0 Mio. EUR (Urteil des BGH vom 7. Februar 2012 -1 StR 525/11)

Der BGH zementiert mit seiner Entscheidung vom 7. Februar 2012 die für Steuerhinterzieher in seinem Urteil vom 2. Dezember 2008 (1 StR 416/08) erstmals aufgestellte  Grenze von 1,0 Mio. €. In dem Fall des BGH hatte der Angeklagte rd. 1,1 Mio. € Steuern hinterzogen. Das LG setzte die Freiheitssstrafe zur Bewährung aus. Der BGH hob das Urteil auf und verwies die Sache an das LG zurück. Nach Auffassung des BGH habe das LG rechtsfehlerhaft Strafzumessungsgesichtspunkte zu Lasten des Angeklagten nicht berücksichtigt. Ausdrücklich stellte der BGH unter Verweis auf sein Urteil vom 2. Dezember 2008 (1 StR 416/08) klar, dass bei hinterzogenen Steuern in Millionenhöhe eine Bewährungsstrafe nur bei Vorliegen besonders gewichtiger Milderungsgründe in Betracht käme.

VonProf. Dr. Wolfgang Sturm

Schweinereien in der Bilanzierungspraxis – FG in Hannover vom 19.08.2010, EFG 2010, 2130

Ein Schwein oder eine „Partie“ Schweine, das war für das FG in Hannover die Preisfrage. Für den Kläger ging es um die Wurst. War das Schwein das Wirtschaftsgut, war es gut für den Kläger; denn dann wäre eine Berichtigung des Vorsteuerabzugs aus dem Ankauf einer Partie Schweine nicht in Betracht gekommen. Die Anschaffungskosten des Wirtschaftsgut hätten nicht 1.000 EUR überstiegen. Das Finanzamt sah das anders. Wirtschaftsgut sei nicht das einzelne Schwein, sondern die gesamte „Partie“ Schweine, die der Kläger gekauft hatte. Der Kläger verwies für seine Auffassung darauf, dass Schweine einen hohen „Individualisierungsgrad“ aufwiesen. Sie würden anders als Geflügel auch nicht „partieweise“ zum Schlachten verkauft, sondern praktisch handverlesen dafür ausgesucht.

Das Finanzgericht beendete diesen steuerlichen Streit über die Schweine und gab kurzerhand dem Kläger recht: „es entspricht im Übrigen allgemeiner Bilanzierungspraxis, die Schweine und nicht Partien von Schweinen zu bilanzieren.“  Manchmal kann Steuerrecht auch schön einfach sein, wobei ich gestehen muss, dass mir diese vom Gericht angenommene allgemeine Bilanzierungspraxis, auch wenn ich das Urteil für richtig halte, nicht bekannt ist. Das Finanzgericht hat aber Weitblick bewiesen: wegen grundsätzlicher Bedeutung hat es die Revision zum BFH zugelassen. Also vielleicht doch keine allgemeine Bilanzierungspraxis ?  wir sind gespannt, wie der BFH entscheiden wird (V R 32/10).

VonProf. Dr. Wolfgang Sturm

Pferde werden teurer – Pferdefleisch wahrscheinlich nicht

Pferde werden bald teurer, denn der bisher ermäßigte Mehrwertsteuersatz für Pferde von 7 % soll auf den Regelsteuersatz von 19 % angehoben werden. Ab 1. Juli 2012 soll, wenn das am 25. Januar 2012 von CSU und CDU eingebrachte Gesetz vom Bundestag verabschiedet werden wird, auf „sämtliche Lieferungen, Einfuhren und innergemeinschaftlichen Erwerbe von Pferden“, der reguläre Mehrwertsteuersatz von 19% erhoben werden. Diese Anhebung werden auch die übrigen Parteien nicht verhindern können. Denn die Gesetzesänderung ist zwingend notwendig, da die EU-Kommission wegen des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes für Pferde vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland erhoben und Recht bekommen hat (EuGH – Urteil vom 03.03.2011, Aktenzeichen: C-41/09 ). Nach dem EuGH ist die Anwendung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes nur dann zulässig, „soweit das einzelne Tier zur Herstellung von Nahrungs- oder Futtermitteln oder zum Einsatz in der landwirtschaftlichen Erzeugung bestimmt ist“.

Der Preis für Pferdefleisch dürfte damit gleichbleiben, was aber wohl nur den Liebhaber echten rheinischen Sauerbratens erfreuen dürfte.

VonProf. Dr. Wolfgang Sturm

Videokonferenzen und Recht – beschert uns einen tollen Tag im Finanzgericht in Dessau; zugleich eine Begegnung mit Präsidenten

Der Gesetzgeber ist modern, doch was schert‘s die Justiz. Seit Jahren kann die mündliche Verhandlung per Videokonferenz stattfinden. Eine gute Sache: das spart Zeit und Kosten und schont die Umwelt. Der Haken: kaum ein Gericht verfügt über eine solche Anlage. Und ohne die geht es nun einmal nicht. Vorbildlich sind hier die Finanzgerichte zu nennen. Doch auch dort bestätigen Ausnahmen die Regel. Vor einem Verhandlungstermin am 19. Dezember 2011 im Finanzgericht Dessau haben wir höflich angefragt, ob wir auch per Videokonferenzen verhandeln dürften. Videokonferenz, beschied uns ein wenig verdutzt der freundliche Präsident, nein, so etwas habe man nicht. Also sind wir am 19. Dezember 2011 nach Dessau zum FG gefahren, immerhin 900 km an einem Tag hin und zurück. Als wir dann ein paar Wochen später das Urteil in den Händen hielten, haben wir uns gefragt, warum man uns das sehr lapidare Ergebnis nicht am Telefon hätte sagen können. In dem Rechtsgespräch in der mündlichen Verhandlung hat das Gericht anscheinend die argumentative Auseinandersetzung gescheut.

Ach, ich vergaß zu erwähnen, dass der als Vorsitzender in der Verhandlung fungierende Präsident des Gerichts stolz berichtete, dass man soviel Arbeit hätte, dass man den Termin am 19. Dezember 2011 so kurz vor Weihnachten noch angesetzt habe; das nenne ich Einsatz und Dienst am Recht; wie toll; dass dem Herrn Präsidenten dabei entgangen war, dass er nur gearbeitet hatte, während ich nicht nur gearbeitet, sondern am Abend 900 km und etliche nicht berechenbare Stunden älter war (was er an unserer Adresse, die wir üblicherweise auf unserem Briefbogen abbilden, einfach hätte erkennen – jedenfalls dank google maps), verwundert schon nicht mehr.

Also dann, wenn’s nicht vorwärts geht, dann eben mit Volldampf zurück in die Steinzeit!!

VonProf. Dr. Wolfgang Sturm

Vorsteuerabzug aus Beratungsrechnungen von Anwälten – was erlauben die Finanzverwaltung ?

Der Vorsteuerabzug aus Rechnungen ist gesetzlich an bestimmte Voraussetzungen geknüpft. Es ist daher das Recht und die Pflicht der Finanzbehörden, das Vorliegen dieser Voraussetzungen zu prüfen. Angesichts der Milliardenschäden durch Umsatzsteuerkarusselle haben wir uns vor kurzem aber doch sehr über das Verhalten eines Mitarbeiters einer Finanzbehörde gewundert, der sich mit einer vergleichweise geringen Rechnung so intensiv meinte befassen zu müssen, dass wir den Eindruck gewannen, dass hier nicht mehr verhältnismäßig gehandelt wurde, und dass es dem Beamten eher um die Befriedigung perönlicher Neugier als um die Sache ging.

Worum ging es ? wir hatten einen Mandanten umfassend im Zusammenhang mit einer Photovoltaikanlage beraten. Der Auftrag war sehr zeitintensiv und erstreckte sich über rd. 9 Monate. Er begann mit der Prüfung steuerlicher und betriebswirtschaftlicher Fragen und der Teilnahme an Verhandlungen über den Kauf der Anlage mit verschiedenen Anbietern, umfasste die Erstellung eines Werkleiferungsvertrages, die Absicherung der Eigentumsrechte an der Anlage auf fremdem Dach durch eine Dienstbarkeit, die Begleitung der Aufstellung der Anlage bis hin zur Prüfung der Rechnungen und zur Abnahme.

Aus der von uns dem Mandanten darüber erteilten Rechnung wollte die Finanzbehörde den Vorsteuerabzug nicht anerkennen. Wir sandten dem Steuerberater eine ergänzende Betätigung über unsere Tätigkeiten. Darauf erhielten wir den Anruf eines Finanzbeamten, der uns „bohrende“ Fragen stellte: warum denn der Mandant überhaupt einen Anwalt beauftragt habe. Er, der Beamte, habe viele Steuerpflichtige in seinem Bezirk mit einer Photovoltaikanlage. Es habe aber noch niemand den Rat eines Anwalts gebraucht. Weiter wollte der Beamte minutiös wisen, was wir für das Honorar denn alles gemacht hätten. Wir waren über diese Art der Amtsermittlung erstaunt, weil all das mit dem  Vorsteuerabzug nicht das geringste zu tun hatte, sondern eher entweder der persönlichen Neugier des Beamten entsprang oder aber die Unterstellung mitschwang, in der Rechnung seien „private“ Dinge abgerechnet worden. Wir haben das Thema dann aber so gelöst, dass wir dem Beamten über den Rechnungstext und die Bestätigung hinaus eine etwas umfassendere Beschreibung unserer Tätigkeiten zugesandt haben. Damit war das Thema vom Tisch. Es bleibt aber das ungute Gefühl, dass an die Stelle der gebotenen Objektivität und Sachlichkeit ein völlig unangebrachtes pauschales Mißtrauen gegen Steuerpflichtige und ihre Berater tritt, und dass persönliche Neugier den Eifer geprägt hat. Die Verwaltung muss sich so nicht wundenr, dass es um das Steuerklima schlecht bestellt ist.

VonProf. Dr. Wolfgang Sturm

diligentia, sapientia, agilitas, industria / das Glück des Tüchtigen: Steuerforderung trotz Außenprüfung verjährt, weil die Prüfungsanordnung die Verjährung nicht unterbrochen hatte

Im Leben eines Beraters ist es oft wie im richtigen Leben: ein Schriftsatz, der vor Fehlern wimmelt und schlecht strukturiert ist, ist im Regelfall auch inhaltlich nicht gut. Denn wer es nicht einmal schafft, ohne Fehler zu schreiben (oder schreiben zu lassen), der legt auf den Inhalt erst recht keinen Wert. Und bei der fachlichen Arbeit gilt nach unseren Erfahrungen: nur eine akribische Befassung mit Sachverhalt und Rechtsnormen führt zu den aha – Erlebnissen, die zum Erfolg bei der Arbeit und zu guten Ergebnissen führen. Nur wer die Dinge zu Ende denkt auch die Fähigkeit besitzt, nicht wie ein „Pawlowscher Hund“ zu versuchen, die Welt in die ihm bekannten Paragraphne zu pressen, der hat auf Dauer Spaß an der Arbeit. Wer nur „Akten bearbeitet“ und „Fälle klopp“, der wird nur selten das Glücksgefühl haben, einen richtigen Treffer gelandet zu haben. Wenn einem dann noch das Glück den richtigen Gedanken beschert, dann stellt sich der Erfolg ein.  

Bei einem unserer Mandanten hatten wir das Glück, bei  unserer Prüfung zu entdecken, dass die Finanzverwaltung die Verjährung eben nicht durch die Anordnung einer Außenprüfung unterbrochen hatte. Was war passiert ? Geprüft worden war eine GmbH & Co. KG, der Verwaltung waren aber bei der die Verjährung unterbrechenden Prüfungsanordnung gravierende Fehler unterlaufen. Sie hatte die Prüfungsanordnung nicht nur an eine GmbH (nicht  an die KG !) gleichen Namens gerichtet, sondern auch den falschen Vordruck verwendet: den für GmbHs statt richtig den für Personengesellschaften.

Ergebnis: die Prüfungsanordnung war nicht wirksam bekanntgegeben worden, war also nicht wirksam und hatte daher auch die Verjährung nicht unterbrochen. Damit war die materiell umstrittene Steuerforderung „hinfällig“, ohne dass man sich über die materielle Berechtigung noch hätte streiten müssen. Dieser Mangel war ein endgültiger. Denn die Finanzbehörde konnte wegen Eintritts der Verjährung eine richtige Prüfungsanordnung nicht mehr bekannt geben. Für den Mandanten und uns ein schönes Ergebnis.

VonProf. Dr. Wolfgang Sturm

Poaast scho ? denkste ! Zugleich ein Beitrag zum Thema: „es kommt nicht nur auf den Inhalt an“

Steuerbescheide müssen nicht nur inhaltlich richtig sein, die Steuer also richtig festsetzen, sie müssen auch den für sie geltenden  formellen Anforderungen entsprechen. Der Lehrbuchfall des mündlichen Steuerbescheids ist dabei eher die Ausnahme. Nicht selten aber leiden Steuerbescheide an anderen Fehlern, die dazu führen, dass die Bescheide rechtswidrig werden. Allerdings ist das Steuerrecht großzügig. Die Behörden können Fehler in den meisten Fällen heilen. Selbst wenn Steuerbescheide so schwerwiegend fehlerhaft sind, dass sie gar nicht wirksam werden, dann hilft dem Steuerpflichtigen das jedenfalls dann nicht, wenn die Behörde einen neuen wirksamen Bescheid erlassen kann.

Interessanter sind also die formellen Fehler, die dazu führen, dass Steueransprüche endgültig nicht durchgesetzt werden können. Sich als Steuerpflichtiger auf diese formellen Mängel zu berufen, ist auch nicht etwa ehrenrührig. Denn wenn Steuerpflichtige einen Einspruch nur einen Tag zu spät erheben, werden sie niemanden finden, der diesen formellen Mangel elegant an die Seite schiebt und den Einspruch dennoch als fristgerecht ansehen wird. Und Berater, die einen formellen Mangel nicht zum Anlass nehmen, einem Mandanten zu empfehlen, gegen den Steuerbescheid vorzugehen, machen sich schadensersatzpflichtig.

Ein scharfes Schwert in diesem Zusammenhang ist die Verjährung, wobei das Steuerrecht zwischen Festsetzungs – und Zahlungsverjährung unterscheidet. Die erste verhindert, dass ein Steuerbescheid erlassen werden darf, die zweite bewirkt, dass Zahlungsansprüche aus Steuerbescheiden nicht mehr durchgesetzt werden können. Beide Verjährungen wirken, anders als im Zivilrecht, kraft Gesetzes, der Einwand der Verjährung muss nicht erhoben werden.

Mit Urteil vom 28. Juni 2011 (VIII R 6/09) hat es der BFH in dem von ihm entschiedenen Streitfall für möglich gehalten, dass dem Erlass eines Steuerbescheids die Festsetzungsverjährung entgegensteht. Es ging um einen Änderungsbescheid nach einer Außenprüfung. Sedes materiae war die Norm des § 171 Abs. 4 Satz 3 AO. Danach endet die Festsetzungsfrist spätestens, wenn seit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Schlussbesprechung stattgefunden hat, oder, wenn sie unterblieben ist, seit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die letzten Ermittlungen im Rahmen der Außenprüfung stattgefunden haben, die in § 169 Abs. 2 AO genannten Fristen verstrichen sind. Eine Schlussbesprechung hatte nicht stattgefunden, also entbrannte der Streit darum, wann die letzten Ermittlungen im Rahmen der Außenprüfung stattgefunden hatten.

Zwar hat der BFH die Sache nicht selbst entschieden, sondern zur weiteren Aufklärung an das FG zurückverwiesen. Die Ausführungen des BFH sind aber sehr lehrreich und eine wahre Fundgrube für Argumente. Was unter „letzten Ermittlungen im Rahmen der Außenprüfung“ im Sinne des § 171 Abs. 4 S. 3 zu verstehen ist, entschied der BFH zwar nicht abschließend. Seine Ausführungen dazu sind aber präzise und praktisch gut umsetzbar.

Nach dem Wortsinn der Vorschrift hält der BFH aber einen Zusammenhang der Ermittlungen mit der Außenprüfung erforderlich. Der BFH führte auch aus, was nach seiner Auffassung keine Ermittlungen im Sinne des Norm sind. Der BFH wörtlich:

„Deshalb reicht der bloße Blick in die beim Finanzamt vorhandenen Akten nicht aus; er steht dem Finanzamt jederzeit offen, ohne dass es einer Außenprüfung bedürfte. Ferner handelt es sich auch dann nicht um Ermittlungen im Sinne dieser Vorschrift, wenn bereits ermittelte Tatsachen lediglich einer erneuten rechtlichen Würdigung unterzogen werden. Letzte Ermittlungen im Rahmen der Außenprüfung setzen vielmehr Maßnahmen des Prüfers oder des Finanzamts voraus, die darauf gerichtet sind, bisher noch nicht bekannte Sachverhaltselemente festzustellen, etwa indem der Prüfer Unterlagen anfordert, den Steuerpflichtigen in irgendeiner anderen Weise zur Mitwirkung auffordert oder vom Steuerpflichtigen nachgereichte Unterlagen auswertet. Aufgrund der systematischen Parallele zur Durchführung einer Schlussbesprechung, die ebenfalls nach dieser Vorschrift die Festsetzungsfrist neu in Gang setzt, ist ferner erforderlich, dass der Zeitpunkt der letzten Ermittlungshandlungen im Interesse der verjährungsrechtlichen Rechtssicherheit eindeutig feststeht. Notfalls ist er vom Finanzamt nachzuweisen.“

Diese Ausführungen eröffnen viele Ansätze, nach Außenprüfungen ergangene Steuerbescheide im Hinblick auf etwa entgegenstehende Verjährung zu prüfen, zu Fall zu bringen und damit endgültig zu obsiegen. Das FG hatte die Tatsachen nicht ausreichend ermittelt, daher konnte der BFH nicht selbst entscheiden.

Es kommt daher nicht nur auf den Inhalt an, auch die Verpackung muss passen.  Und es lohnt sich auch, bei Urteilen des FG genau hinzusehen, ob das FG die Tatsachen hinreichend ermittelt und festgestellt hat.  Steuerbescheide müssen eben nicht nur rechnerisch richtig sein, sie müssen auch formell fehlerfrei. „Poaaaast scho“ kann man also erst nach Abschluss auch der Prüfung der formellen Rechtmäßigkeit sagen.

VonProf. Dr. Wolfgang Sturm

Gott sei Dank: der BFH rettet die gute alte Pommes-Bude; es lebe die „Manta-Platte“

Mit zwei zeitgleich veröffentlichten Urteilen vom 30. Juni 2011 (V R 35 /08 und 18/10) hat der Bundesfinanzhof (BFH) zu der bisher häufig auch strafrechtlich verfolgten streitigen umsatzsteuerlichen Abgrenzung von Essenslieferungen (Steuersatz 7%) und Restaurationsleistungen (Steuersatz 19%) bei Pommesbuden Stellung genommen. Die Entscheidungen beruhen auf einem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 10. März 2011 (C-497/09, C-499/09, C-502/09, Bog u.a.), das aufgrund von Vorlagen des BFH ergangen ist.

Der BFH hat jetzt entschieden, dass eine (nur) dem ermäßigten Steuersatz unterliegende Essenslieferung vorliegt, wenn nur einfach zubereitete Speisen (wie z.B. Bratwürste oder Pommes Frites oder ähnlich standardisiert zubereitete Speisen wie die „Mantaplatte“) abgegeben werden und dem Kunden lediglich „behelfsmäßige“ Verzehrvorrichtungen (wie z.B. Theken oder Ablagebretter bei Imbissständen) zur Einnahme der Speisen zur Verfügung stehen und die Speisen nur im Stehen eingenommen werden können (V R 35/08).

Damit dürfte der BFH einen großen Beitrag zur Rettung der Pommes – Buden geleistet haben. Dumm nur für alle Betreiber, die in der Vergangenheit sogar strafrechtlich zur Veratwortung gezogen worden sind. Hier wäre zu prüfen, ob nicht doch geholfen werden kann. Selbst bei verjährten Zeiträumen wäre ein Erlass zu prüfen. Denn die Betroffenen müssen es als himmelschreiende Ungerechtigkeit empfinden, nicht nur Steuern (und Zinsen) gezahlt zu haben, sondern zudem bestraft worden zu sein für eine Tat, die es nach den Entscheidungen des BFH heute nicht mehr gibt und damit wohl auch früher nicht.

Fazit: es ist nicht immer sinnvoll, streitige Verfahren zu vermeiden. Es kann durchaus lohnend sein, einen langen Atem zu haben.