Immer wieder kommt es vor, dass sich Unfälle auf privaten Kundenparkplätzen ereignen und der Schadenverursacher sich aus dem „Staub“ macht. Der Geschädigte kommt dann oftmals auf die (glorreiche) Idee, denjenigen in die Haftung zu nehmen, der den Parkplatz betreibt. Dem hat das Amtsgericht München („AG“) mit Urteil vom 28. Juli 2010 (Aktenzeichen: 343 C 6867/10) einen Riegel vorgeschoben. Das AG hat entschieden, dass weder Betreiber noch Mitarbeiter eines Großmarktes für die Ermittlung des Unfallverursachers, der einen Schaden an einem auf dem Parkplatz des Marktes geparkten Auto verursacht hat, verantwortlich sind.
Der Entscheidung des AG lag folgender Sachverhalt zugrunde: An einem Vormittag stellte ein Fahrer seinen PKW auf dem Parkplatz eines Großmarktes ab. Als er nach seinem Einkauf zurückkam, stellte er fest, dass sein PKW beschädigt (Schaden 1.686,00 €) war. Er selbst konnte Schädiger nicht ausfindig machen. Zuvor hatte sich aber ein Unbekannter an der Information des Großmarkts gemeldet und erklärt, dass er einen PKW angefahren habe. Er bat darum, das Kennzeichen des beschädigten Fahrzeugs ausrufen zu lassen. Erfolglos wurde dann das Kennzeichen ausgerufen, woraufhin sich nur der Schädiger noch einmal meldete. Die Mitarbeiterin des Großmarktes vergaß, die Personalien des Unbekannten aufzunehmen. Der Geschädigte verlangte Ersatz seines Schadens vom Betreiber des Großmarktes und behauptete, die Mitarbeiterin sei verpflichtet gewesen, sich den Namen zu notieren.
Das Amtsgericht ist der Auffassung, dass die Mitarbeiterin des Großmarktes nicht verpflichtet ist, sich die Personalien des Unfallverursachers geben zu lassen, wenn sie das Kennzeichen des Geschädigten ausgerufen hat. Der Betreiber des Großmarktes hafte daher auch nicht, wenn der Geschädigte den Ausruf nicht hört und sich der Unfallverursacher nachher nicht mehr ermitteln lässt. Grundsätzlich habe der Betreiber des Großmarktes zwar verschiedene Schutz-, Obhut- und Fürsorgepflichten gegenüber seinen Kunden.
Im vorliegenden Fall sei eine solche Pflicht jedoch nicht verletzt. Der Unfall habe sich rein zufällig auf dem Gelände des Beklagten ereignet. Eine nähere Beziehung des Schädigers zu dem Großmarkt habe nicht bestanden. Die Person habe sich damit nicht im Einflussbereich des Beklagten befunden. Zu dem Zeitpunkt, als die Person zum Empfang kam, sei zudem noch gar nicht bekannt gewesen, dass sich der Schädiger nachher vom Unfallort entfernen würde. Die Mitarbeiterin des Beklagten habe damit auch nicht rechnen müssen, da sich dieser zweimal bei ihr meldete. Die Mitarbeiterin hätte zu diesem Zeitpunkt auch nicht einmal einen Anspruch auf die Mitteilung von Name und Adresse gegenüber dem Unfallverursacher gehabt. Aus diesem Grunde könne sie auch keine Pflicht verletzt haben.
Es steht wirklich in der SZ, und wenn man es nicht selbst gelesen hätte, würde man es für einen schlechten Scherz halten. Hier ein Auszug aus dem Artikel aus der SZ vom 4. März 2011. Interviewt wird Herr Ondracek, der Chef der deutschen Steuergewerkschaft:
SZ: Zurückhaltung bei der Steuerfahndung dient dem Werben um Unternehmen und Reiche?
Ondracek: Unter wohlhabenden Deutschen hat sich jedenfalls längst herumgesprochen, dass das Entdeckungsrisiko in Teilen Deutschlands nicht sonderlich groß ist. Es würde mich nicht wundern, wenn die Zurückhaltung bei Betriebsprüfungen und der Steuerfahndung letztlich dem Standort nutzt. Das eine oder andere Unternehmen könnte sich entscheiden, diese Vorzüge dauerhaft zu genießen.
SZ: So würden die konsequenten Länder wie Nordrhein-Westfalen oder Rheinland-Pfalz bestraft. Was muss sich ändern, um keine Steuerspirale nach unten in Gang zu setzen?
Ondracek: Die Bundesregierung muss von allen Ländern per Gesetz harte Kontrollen einfordern. Eine Bund-Länder-Kommission legt Jahr für Jahr den Bedarf der Bundesländer für Stellen in der Finanzverwaltung fest. Bayern unterbietet die Empfehlung derzeit um 15 Prozent. Hier könnte der Bund Sanktionen einführen und Länder notfalls dazu zwingen, aktiver zu werden.
SZ: Arbeitnehmer werden viel strenger überwacht als Firmen und Selbständige. Erleben wir den Einstieg in eine Zweiklassengesellschaft?
Ondracek: Die gibt es im deutschen Steuerrecht doch schon. Bei Arbeitnehmern wird die Steuer automatisch einbehalten. Bei Selbständigen, Gewerbetreibenden oder auch Landwirten verlässt sich die Finanzverwaltung meist auf deren eigene Angaben. Im Durchschnitt werden kleine Unternehmen nur gut alle 30 Jahre geprüft. Millionäre in manchen Bundesländern nur alle 20. Die Dummen sind letztlich die Arbeitnehmer. Denn sie haben gar keine Möglichkeit, steuerunehrlich zu sein.
Das Finanzgericht Münster („FG“) hat mit Urteil vom 18. März 2011 (4 K 3477/09 E) entschieden, dass ausländische Verluste in voller Höhe bei dem Progressionsvorbehalt zu berücksichtigen sind. Es stellte sich damit gegen die Finanzverwaltung, die die Verluste nach § 32 b EStG nur zu einem Fünftel anerkennen wollte. Zutreffend weist das FG darauf hin, dass § 32 b EStG mit der Fünftelregelung eine Norm sei, die Härten bei positiven außerordentlichen Einkünften mildere; die Norm gelte aber nicht auch – umgekehrt – bei negativen Einkünften.
Das Urteil ist zu begrüßen, das FG hat aber die Revision zum BFH zugelassen. Die Entscheidung aus München bleibt abzuwarten.
Das LAG Berlin-Brandenburg hatte über einen Antrag auf Wiedereinsetzung zu entscheiden. Es hat ihm nicht stattgegeben. Was war passiert ? Ein Anwalt hatte am letzten Tag der Frist (sic !) einen Schrifsatz mit vielen Anlagen (nach der Entscheidung war der Schriftsatz im Umschlag 4 cm dick) einen Kurierdienst beauftragt, den Umschlag noch am gleichen Tage bei dem Gericht in den Briefkasten einzuwerfen. Die Übergabe an den Kurierdienst erfolgte zwischen 17:00 und 18:00 Uhr, der Kurierdienst garantierte die Zustellung am gleichen Tage. Vor Ort am Briefkasten musste der Zusteller aber feststellen, dass der Umschlag nicht in den Briefkasten passte, weil er zu dick war (nach der Entscheidung des LAG maß der Schlitz 3,2 cm, er war also 0,8 cm zu klein. Der Kurier warf das Schriftstück nicht ein, sondern gab es am nächsten Tag und damit nach Fristablauf bei Gericht ab. Pech.
Der Anwalt stellte wegen unverschuldetem Versäumen der Frist einen Antrag auf Wiedereinsetzung, Wer denkt, dass das Gericht dem Antrag stattgegeben hätte, der ist ein Schelm. Das LAG wies den Antrag mit Beschluss vom 10.01.2011 (20 Sa 1659/10) zurück. Es beschied den Antragstelle, er habe ein Organisationsverschulden begangen. Denn er habe keine ausreichenden Vorkehrungen für die fristwahrende Zustellung getroffen. Es gäbe, so das LAG, jedenfalls nicht in Berlin und auch nicht bei der Post eine einheitliche Schlitzgröße für Briefkästen. Bei den Berliner Gerichten variiere die Größe der Schlitze von 3,0 bis 6,5 cm. Auch wenn ein bis 5 cm dicker Umschlag postalisch noch als „Brief“ gelte, so habe der Anwalt sich doch zu vergewissern, dass sein Schriftstück „zustellfähig“ ist, also auch durch den Schlitz, für den es bestimmt sei, hindurch passe. Ernsthaft führt das LAG dann weiter aus, dass dem Anwalt die Schlitzgröße aufgrund eigener Wahrnehmung hätte bekannt sein müssen (denn der Briefkasten befände sich ja neben dem Eingang zum Gericht und dort komme der Anwalt ja schon mal vorbei). Nach dem LAG hätte der Anwalt zudem Veranlassung gehabt, die Maße des Gerichtsbriefkastens vorher zu ermitteln.
Die Entscheidung lässt den Leser erstaunt zurück. Die Frage, dass Anwälte zunächst die Größe der Schlitzes von Gerichtsbriefkästen ermitteln müssen, ist durch die Entscheidung jedenfalls geklärt. Es ergeben sich aber weitere Fragen. Hier sei nur ein kleiner Ausschnitt genannt:
Sind Gerichte gesetzlich zu verpflichten, die Schlitzgröße auf den Briefbögen und im Internet anzugeben ? wenn je, wer ergreift dazu die Initiative ?
wie genau muss ein Zollstock sein, um richtige Meßergebnisse zu erzielen ?
gibt es Vorgaben an das Messverfahren ?
müssen die Gerichtsbriefkästen geeicht werden ? und wenn ja, in welchen Abständen ?
wie wird das Personal geschult, um falsche Messungen zu vermeiden ?
was ist, wenn der Gerichtsbriefkasten voll ist ?
In diesem Zusammenhang ist erneut zu beklagen, dass es derartiger Entscheidung nicht bedarf, wenn alle Gerichte verpflichtet wären, am EGVP – Verfahren teilzunehmen. Dort gibt keine Schlitzgröße wie bei einem Briefkasten, aber auch bei dem EGVP – Verfahren gibt es Datenbegrenzungen. Eine Nachricht mit Anlagen darf ein bestimmtes Datenvolumen nicht übersteigen. Dem lässt sich aber einfach begegnen, indem eine Nachricht aufgeteilt und in mehreren Teil-Nachrichten versandt wird. Solange aber erschreckenderweise die weitaus überwiegende Mehrheit der Gerichte nicht per EGVP erreichbar ist, und solange es solche Entscheidungen wie die des LAG zur Schlitzgröße von Briefkästen gibt, muss sich bei den Gerichten niemand wundern, wenn Anwälte den sichersten Weg gehen und umfangreiche Schriftsätze per Telefax versenden. Im Zeitalter, wo es möglich ist, riesige Datenmengen in Sekundenschnelle zu versenden, kommt einem die Entscheidung des LAG vor wie aus der „Fred Feuerstein“ – Zeit.
Wir wissen, dass man im Nachhinein immer klug daher reden kann, aber wollen wir doch mal darauf schauen, wie das Desaster hätte verhindert werden können:
Der Kurier hätte die Sendung aufmachen und in zwei „Tranchen“ einwerfen können. Hier ist es gut, den Kurier nicht einfach losfahren zu lassen, sondern ihm eine Telefonnummer zu geben, falls es Probleme gibt. Das ist heute kein Problem mehr.
Das einfachste aber wäre es gewesen, die Frist nicht am letzten Tage, sondern eine Woche vorher zu erledigen. Das kann nach unseren Erfahrungen, wenn auch nicht von heute auf morgen, so aber doch nach gewisser Zeit, durch ein gutes Kanzleimanagement erreicht werden.
Übrigens: es ist nicht bekannt, ob der Kurierdienst für den Schaden haftet.
Das OLG Franfurt hatte am 12.01.2011 (4 U 3/08) nach Zurückweisung durch den BGH erneut über die Honorarklage einer Anwaltskanzlei auf Zahlung restlichen Honorars und über die Widerklage auf Rückzahlung erheblicher Teile gezahlten Honorars zu entscheiden. Ergebnis: von den rund 256 TEUR noch offenen Honorars sprach das OLG den Anwälten rund 246 TEUR zu, von den mit Widerklage geforderten rund 480 TEUR erhielten die Mandanten dagegen nur rund 150 TEUR zugesprochen.
Die Stundensätze des Jahres 2001 in Höhe von umgerechnet rund 500 und 315 EUR ließ das OLG im Streitfall nach „Rüffel“ durch den BGH unbeanstandet. Das Urteil widmet sich über viele Seiten in lesenswerter Art den Tätigkeiten der Anwälte. Nach den vom BGH aufgestellten Maßstäben prüfte das OLG, ob die Anwälte die abgerechnete Zeit stichtwortartig in einer auch im Nachinein verständlichen Weise dargelegt haben, insbesondere, welche konkreten Tätigkeiten abgerechnet worden sind. Und da fängt das Dilemma an: bei einer Abrechnung nach Zeitaufwand legt der Mandant Wert darauf, dass zügig gearbeitet wird. Er erwartet zu Recht, dass der Anwalt als Experte nicht wochenlange rechtliche Recherchen anstellt, sondern schnell zu den rechtlichen Kernpunkten kommt. Gerade aber bei komplexen Tätigkeiten, auf die das RVG ersichtlich nicht zugeschnitten ist, geht es nicht nur um die rechtliche Recherche, es geht auch um Sachverhalte, um Verhandlungen, Verhandlungsgeschick und um Strategien. Und das sind die Tätigkeiten, die häufig viel mehr Zeit in Anspruch nehmen als die bloße rechtliche Recherche. Das Recht bildet so gesehen den Rahmen für den kreativen Teil.
Die Empfehlung im Anwaltsblatt 4 / 2011 auf Seit 318, praktisch jedes Telefonat dem Mandanten schriftlich zu bestätigen, ist nicht nur gar nicht praktikabel, es wird im Gegenteil den Mandanten in höchstem Maße erzürnen, weil dieser sehr schnell zu dem Schluss kommen wird, dass der Anwalt auf diese Weise den Stundenaufwand nur künstlich „aufblähen“ möchte. Im Ergebnis gibt die Rechtsprechung Anwälten wie Mandanten Steine statt Brot. Denn ist wird immer eine Tatfrage bleiben, ob der Stundenaufwand korrekt nachgewiesen ist. Hilfreich sind hier Klauseln in den Honorarvereinbarungen, die die Mandanten verpflichten, die mit den Rechnungen übersandten Tätigkeitsberichte in bestimmten Fristen zu beanstanden. Dann können die Dinge schnell und vor allem zeitnah geklärt werden. Anwälte werden künftig auch darüber nachdenken müssen, ob sie ihre Vergütungsvereinbarung um eine Mindestvergütung ergänzen, in der sie z.B. einen bestimmten Gegenstandswert und ein Vielfaches einer Gebühr festlegen.
Die Videokonferenz hält Einzug in die Gerichtssäle. Wenn da nur nicht die verdammte Technik wäre, oder besser gesagt, wenn sie vorhanden oder besser noch, wenn sie vorhanden wäre und funktionierte.
Wer 1.400 km wegen einer mündlichen Verhandlung zu einem Landgericht fahren muss, der ist froh, dass es die Videokonferenz gibt. Noch fröhlicher ist er, dass das Prozessgericht über die Technik verfügt. Doch dann beginnt die Geschichte: für das Gericht, vor dem der Termin stattfindet, ist dies die erste Videokonferenz und damit die „Premiere“. Da nicht jeder Anwalt eine teure Anlage kaufen oder leasen möchte (geht nur über ISDN, also Telefon) ist es eine Variante, ein System bei einem nahe gelegenen Gericht zu nutzen. Und da kommt der Tragödie zweiter Teil: sage und schreibe ein Landgericht im Umkreis von 50 km verfügt über eine Videokonferenzanlage. Die aber wurde vor 10 Jahren gekauft, hat nie funktioniert, hat wohl auch keinem gefehlt, sonst hätte man sie zum Laufen gebracht. Die einzelnen Teile der Anlage sind nicht im Haus. Sie müssten erst beschafft werden. Kostenpunkt für uns: 1.000,00 EUR. Also: Thema erledigt. Dafür gab es den Hinweis, dass das örtliche Verwaltungsgericht, der Technik im Regelfall sehr aufgeschlossen, zwar keine Videokonferenz, wohl aber einen Videorecorder habe…. Vielleicht versuchen wir es ja mal mit dem…..
Fazit: alle reden von der Umwelt, aber die Anwälte verbringen jedes Jahr Millionen von km auf der Straße, obwohl dies mit der Videokonferenz nicht notwendig wäre.
Der BGH hat mit Beschluss vom 21.12.2010 (VI ZB 28/10, AnwBl. 4 / 2011) entschieden, dass bei Nutzung des EGVP eine digitale Signatur auch tatsächlich von dem postulationsfähigen Anwalt vorgenommen werden müsse. Im Fall des BGH hat eine angestellte nichtfachliche Mitarbeiterin die Signaturkarte des Anwalts verwendet. Nach Ablauf der Rechtsmittelfrist wurde eine fehlerhafte Signatur festgestellt.
Nicht erstaunlich, so jedenfalls auf den ersten Blick. Genauso wie ein Schriftsatz nur von einem postulationsfähigen Anwalt unterschrieben werden darf, nicht aber von einem nichtfachlichen Mitarbeiter, genauso darf auch die Signaturkarte nur von einem Anwalt verwendet werden. So weit so gut, oder? Hier aber beginnen die Fragen: wenn, wie in dem vom BGH entschiedenen Fall, das EGVP eine Sende- und eine Empfangsbestätigung ausgeworfen hat, wie konnte der Anwalt dann erkennen, dass ein Signaturfehler vorliegt ? Welchen Wert haben dann die Bestätigungen ? Sie sind doch der Nachweis dafür, dass ein Schriftsatz fristgerecht eingegangen ist. Sonst dürfte die Frist im Fristenbuch nicht ausgetragen werden.
Und warum gibt es überhaupt die genannten Bestätigungen, wenn ein Signaturfehler vorliegt, der Fehler wird ja nicht erst später entdeckt („Unterschrift der ReNo“), das System muss doch, wenn es für Rechtssicherheit in der Anwendung stehen soll, unverzüglich einen Fehler der Signaturkarte melden. Denn nur dann hat man die Chance, den Fehler zu beheben, zur Not ein Telefax zu senden oder sich ins Auto zu setzen. Hier den Anwalt ernsthaft auf die Wiedereinsetzung zu verweisen, ist kein praktischer Rat, wenn man zudem berücksichtigt, dass Anwälte nur dann pflichtgemäß handeln, wenn sie den sichersten Weg gehen.
Das hieße dann: Hände weg vom EGVP !! lieber wieder die Gerichte mit Telefaxen vorab bombardieren und dann alles noch einmal per Post hinterhersenden.
Wenn der Gesetzgeber die elektronische Signatur zulässt, dann muss er auch in Kauf nehmen, dass die Signaturkarte nicht von der Person, auf die sie ausgestellt ist, verwendet wird. Das ist dem System immanent und in Kauf genommen.
Und was ist in all den anderen Fällen, in denen kein Signaturfehler gemeldet wird, obwohl der Anwalt die Karte nicht bedient hat ? Alles unzulässige Schreiben. Also: ab sofort alles als unzulässig rügen, was per EGVP kommt, was für ein Spaß.
Ich glaube bei allem Verständnis, dass der BGH dem EGVP mit seiner Entscheidung einen Bärendienst erwiesen hat. Das ohnehin schon leider wenig genutzte System wird so vollends verkümmern. Also dann: auf auf, zurück in die Steinzeit !!!
Die erste Frage des Titels stellte die FAZ am 3. März 2011 im Feuilleton – Teil und gab mit „Ja“ die vermutlich richtige Antwort darauf.
Der Autor kam in seinem lesenwerten Beitrag in der FAZ auf die neuen Medien im Lichte der Zeit und zog eine Parallele zwischen facebook als neuem Medium heute und der Zeitung als zu Goethes Zeiten neuem Medium. Und hier wiederholt sich die Geschichte. Sowohl die Zeitung damals als auch facebook heute haben ein hohes Ablenkungspotential. Bei Goethe führte das dazu, dass er sich das Zeitunglesen verbat, um die Arbeiten am Faust zu Ende bringen zu können. Und was lernen wir als Anwälte ganz praktisch daraus ?
Wie kann man heute noch konzentriert arbeiten, wenn nicht nur die Kommunikation per E-Mail verfolgt wird, sondern daneben die große Schar der „Freunde“ auf facebook auf dem Laufenden gehalten werden und zudem die Themen auf ICQ und skype beachtet werden wollen ? Spätestens dann muss man feststellen, dass multi-tasking nicht funktioniert. Und was soll ein Anwalt mit Mitarbeitern, die ihre Arbeitszeit in sozialen Netzwerken verbringen ? Antwort: schnell enttlassen, wenn der Vertrag, was nur zu empfehlen ist, die Nutzung der Zeit und der Arbeitsmittel zu diesem Zweck untersagt.
Die Arbeitswelt wird immer schneller. Vor Einführung des Telefaxes erhielt man von dem Mandanten einen Anruf, in dem der Eingang eines zu prüfenden Vertrages avisiert wurde. Man hatte Zeit, sich darauf vorzubereiten. Das Ergebnis erwartete der Mandant unter Berücksichtigung der Postlaufzeit. Mit Einführung des Telefaxes wurde die Zeit wesentlich knapper: Nach dem Anruf kam das Telefax und der Mandant rief sofort nach Erhalt an, um das Ergebnis zu erfragen. Mit der E-Mail verkürzte sich zwar die Zeit durch das Medium E- Mail statt Fax nur unwesentlich, aber die Menge an „Informationen“ kann seitdem fast beliebig gesteigert werden. Während niemand auf die Idee kam, mehrere hundert Seiten per Telefax zu senden, werden heute oft ohne Sinn und Verstand per E-Mail Anlagen versandt. Das führt zu weiterem Zeitdruck, weil auch große Mengen gesichtet werden müssen, die sich danach als unergeibig erweisen.
Häufig muss man feststellen, dass unter dieser Arbeitsweis die Präzision erheblich leidet. Es ist so, als ob die fehlende Präzision in der Sache durch die Masse an Anlagen zur E-Mail ausgeglichen werden soll. Genau das Gegenteil aber tritt ein: die fehlende Präzision führt zu mehr Arbeit durch mehr und intensivere Nachfragen, und die Sichtung der von Anlagen und die notwendige Ablage, selbst wenn sie nur digital erfolgt, kostet mehr Zeit.
E-Mails sind auf jeden Fall ein sinnvolles tool für schnelle Kommunikation. Sie sind aber, unreflektiert eingesetzt, auf dem besten Wege, zu einem Synonym für sinnloses Versenden von Daten zu verkommen, wenn man das Medium nicht pflegt. Ich muss dabei immer an die Aussage eines hochrangigen Einkäufers eines Automobilherstellers denken. In Seminaren seines Arbeitgebers wird den Mitarbeitern beigebracht, erst die Arbeit zu machen und dann den E-Mail Eingang zu prüfen. Grund: wer erst einmal anfängt, die E-Mails zu bearbeiten, schaffe seine Arbeit nicht. Diese Arbeitsanwesiung ist für die Arbeit des Beraters nicht sinnvoll, sie zeigt aber, dass in den großen Firmen offensichtlich viel Unsinn per E-Mail versandt wird.
Einen noch groteskeren Befund offenbart aber die weitere Aussage des eben genannten Einkäufers, wie er mit den tausenden E-Mails verfährt, die er nach seinem Urlaub im Posteingang vorfindet. Er löscht den gesamten Posteingang mit der Begründung: „wichtiges kommt wieder“. Die Entwicklung gäbe ihm recht: von ca. 90 % der E-Mails im Posteingang, die er gelöscht habe, höre er nie wieder etwas. Nur ca. 10 % der E-Mails seien es dem Absender wert, nachverfolgt zu werden und eine Antwort zu erhalten Dass auch dieses Verhalten für den Berater nicht angezeigt ist, brauche ich nicht zu erwähnen. Es zeigt aber wiederum, wieviel „Müll“ per E-Mail versandt wird.
Was heißt das für den Anwalt ? zunächst einmal ganz einfach: zurück zum Wesentlichen; ein geordneter Gedankengang erspart unsinnige Recherchen. Ich muss erst das Problem lokalisieren, dann kann ich zu den dann erkannten verbliebenen Streitfragen recherchieren. Nur so bildet sich im Laufe der Zeit ein Judiz, dass bei der Einordnung von Problemen hilft und dabei hilft, den Hasen im Pfeffer zu finden. Alles andere ist die Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen.
Das bedeutet weiter, die Organisation im Büro und die eigene Arbeit so zu gestalten, dass es nicht mehr Ablenkungen als notwendig gibt. Das ist angesichts der notwendigen Präsenz für die Mandanten und die zu führenden Telefonate usw. schon schwer genug. Eine konzenrtrierte Arbeit setzt gute Organisation voraus. Dazu gehört es, die Dinge tage- wochen- und monatsweise zu planen, die zu bearbeiten sind. Den Fristen nimmt man ganz einfach den Druck, indem man das Büro darauf einrichtet, die Fristen zwei Wochen vor Ablauf zu erledigen.
Facebook, twitter und co. haben im Büro während der Arbeitszeit keinen Platz. Sie sind nicht nur Zeitfresser, sondern lenken von den wichtigen Aufgaben ab und tragen dazu bei, dass konzentriertes Arbeiten nicht möglich ist.
Würde Goethe heute leben, hätte er einen facebook-account. Er würde ihn aber während der Arbeit verbannen.
45 % aller Haftpflichtfälle bei Rechtsanwälten sind nicht auf Fehler in der fachlichen Arbeit, sondern auf einfaches Versäumen von Fristen zurückzuführen (Quelle: GI Service 2011, S. 3, HDI Gerling). Das spricht für erhebliche Defizite in der Organisation und ist damit auch zugleich ein Armutszeugnis für den Berufsstand.
Mangelnde Zeit kann es nicht sein; denn interessanterweise haben die Kollegen immer viel Zeit, wenn es darum geht, „Reparaturversuche“ zu starten. Wiviel einfacher wäre es gewesen, die Frist einzuhalten. Dabei kann die Verantwortung nicht auf die Mitarbeiter im back-office geschoben werden. Fristsachen sind „Chefsache“.
Die von HDI Gerling genannt erschreckend hohe Zahl lässt nur ahnen, wie es mit der Organisation von vielen Anwälten bestellt ist. Wenn schon so wichtige Felder wie die Fristenkontrolle nicht fehlerfrei organsiert sind, wie sieht es dann mit den anderen Feldern aus: wie ist gewährleistet, dass „Fälle“ nicht versanden, weil der Anwalt einfach das bearbeitet, was die Gerichte ihm in den Kalender diktieren ? Und wie stellen Anwälte sicher, dass alle in einen Vertrag aufzunehmenden Punkte dort tatsächlich stehen ?
und was heißt das für die Qualität der fachlichen Arbeit ?
Und nach Vertragsschluss lässt man den Mandanten allein ? das ist keine Arbeit lege artis. Hier muss man dem Mandanten zumindest anbieten, das Vertragsmanagement, wenn auch gegen Honorar, zu übernehmen.
Die -weltfremde- Arbeitsweise vieler Anwälte, die zum schlechten Ruf der Anwälte beigetragen hat, erinnert mich an die verblüffende Antwort eines Mitstreiters im Referendariat auf die Frage eines Richters: „was geschieht, wenn das Urteil verkündet worden ist“ ? erwartet war, dass man dann vollstrecken müsse. Der Mitstreiter antwortete dagegen ungerührt: „dann tritt der Rechtsfrieden ein“.
Man kann nur hoffen, dass die Anwaltschaft ebenso wie der Mitstreiter damals erwacht, ihre Tätigkeit als Dienstleistung versteht und ihre Arbeit auch so macht; dazu gehört es auch, Fristen nicht zu versäumen.
Es ist selten genug, dass Erben sich nicht streiten. Da freut es den Berater, wenn die Finanzverwaltung Ideen zur Auslegung des Testamentes hat, auf die beim besten Willen bislang keiner der Erben gekommen ist und auch nicht kommen konnte, und die im Ergebnis zur Versteuerung von Einnahmen führen, die gar nicht zugeflossen sind. Was war geschehen ? Der Erblasser hatte nicht nur mehrere Erben eingesetzt, sondern angeordnet, dass, bis auf einen Erben, alle anderen fünf Erben (nur) einen bestimmten Geldbetrag und bestimmte Gegenstände erhalten sollten. Ein Erbe sollte alles erhalten, was nicht die übrigen fünf Erben und die Vermächtnisnehmer erhielten (den Rest).
Jetzt hätte sich der eine Erbe über mehrere Jahre mit den fünf übrigen Erben darüber streiten können, ob diese fünf wirklich alle Erben geworden sind oder „nur“ Vermächtnisnehmer waren. Ein unsinniger Streit, der nicht geführt wurde.
Schön, dass die Einsicht siegt. Also Ende gut, alles gut ? Leider nein. Der eine Erbe beantragte bei seinem Finanzamt, ihm die Steuerabzugsbeträge auf die Kapitalerträge zu erstatten, die er allein (nicht aber die anderen fünf Erben mangels Anspruch) aus dem Nachlass erhalten hatte. Nach fast einem halben Jahr kam dann die überraschende Antwort des Amtes: die Zinsen müssten unter den Erben aufgeteilt werden. Der Laie staunt, und der Fachmann wundert sich: Setzt nicht die Besteuerung von Einnahmen Zufluss voraus ? und wo ist der, wenn die besagten fünf Erben nur das erhalten haben, was ihnen nach dem Testament zusteht ? oder anders: warum sollen diese fünf Erben etwas versteuern, was sie nie erhalten haben ?
Ach ja, wie konnten wir das nur übersehen ! die Lösung ist doch einfach: das Finanzamt muss die fünf Erben doch nur auf eine Idee bringen, die sie selbst bisher gar nicht hatten: man kann doch Zinsen verlangen, wenn man sie versteuern muss ! das ist doch unser gutes Recht. Jaja, wenn es schon um das gute Recht geht, dann ist es schnell passiert. Das gilt erst recht, wenn eine Behörde einen zivilrechtlichen Anspruch festgestellt hat (und das trotz Unzuständigkeit !).
Dann findet sich sicher auch ein Kollege, der gerne eine Streit vom Zaun bricht. Das wiederum führt bei den Anwälten zu Einkünften, die das Finanzamt wiederum besteuern kann…
Und die Moral von der Geschicht: versteuere Einkünfte ohne Einnahmen nicht.
Wir berichten, wie es weitergeht. Vielleicht gibt es auch etwas über Amtshaftung zu berichten….