News

BGH zur Maklerprovision, dem Halbteilungsgrundsatz und zum Begriff des Einfamilienhauses (Urteile vom 06.03.2025 Urteil I ZR 32/24 und I ZR 138/24)

Der sogenannte Halbteilungsgrundsatz wurde mit der Reform des Maklerrechts in Deutschland eingeführt und ist in § 656c BGB geregelt. Er besagt, dass bei der Vermittlung von Kaufverträgen über Einfamilienhäuser und Eigentumswohnungen die Maklerprovision nicht einseitig dem Käufer auferlegt werden darf. Stattdessen muss die Partei, die den Makler beauftragt hat, mindestens die Hälfte der Maklerprovision übernehmen.

Rechtliche Grundlage (§ 656c BGB)

  • Wird der Makler vom Verkäufer beauftragt, darf die Provision höchstens zur Hälfte auf den Käufer abgewälzt werden.
  • Hat der Käufer den Makler beauftragt, gilt dasselbe Prinzip – er kann maximal 50 % der Provision vom Verkäufer verlangen.
  • Eine vollständige Übertragung der Maklerprovision auf den Käufer ist unwirksam.

Beispiel für eine zulässige Aufteilung:

  • Der Verkäufer beauftragt einen Makler mit einer Provision von 6 % des Kaufpreises.
  • Der Verkäufer darf mit dem Käufer vereinbaren, dass dieser höchstens 3 % übernimmt.
  • Mindestens 3 % muss der Verkäufer selbst tragen.

Warum eine nicht beauftragte Partei keine Provision zahlen muss

Das BGH-Urteil vom 6. März 2025 (I ZR 138/24) stellt klar, dass eine Partei, die den Makler nicht beauftragt hat, nicht verpflichtet werden kann, eine Maklerprovision zu zahlen. Das bedeutet:

  1. Kein Vertrag, keine Zahlungspflicht:
    Wer keinen Maklervertrag unterschreibt, ist grundsätzlich nicht provisionspflichtig. Eine Maklerprovision kann nur durch eine vertragliche Vereinbarung entstehen.
  2. Umgehung durch Kaufpreisreduzierung unzulässig:
    Ein Trick, den manche Verkäufer angewandt haben, war die vollständige Überwälzung der Maklerkosten auf den Käufer bei gleichzeitiger Reduzierung des Kaufpreises. Der BGH hat entschieden, dass dies nicht zulässig ist – die formale Reduzierung des Kaufpreises ändert nichts daran, dass der Verkäufer seinen gesetzlichen Anteil an der Provision tragen muss.
  3. Schutz des Käufers:
    Der Käufer soll davor geschützt werden, in einer wirtschaftlich schwächeren Position zu sein und die gesamten Maklerkosten tragen zu müssen. Durch den Halbteilungsgrundsatz bleibt eine faire Verteilung gewahrt.

Gestaltungsmöglichkeiten für Verkäufer und Käufer

  • Verkäufer sollten darauf achten, dass sie sich an die gesetzlichen Vorgaben halten und nicht versuchen, die gesamte Maklerprovision auf den Käufer abzuwälzen. Andernfalls riskieren sie, dass die Vereinbarung unwirksam ist und der Käufer den zu viel gezahlten Anteil zurückfordern kann.
  • Käufer sollten prüfen, ob die Maklerprovision korrekt aufgeteilt wurde. Falls ihnen die volle Provision in Rechnung gestellt wird, können sie sich auf § 656c BGB berufen und eine Rückzahlung verlangen.

Das Urteil des BGH vom 06.03.2025 (I ZR 32/24) stärkt die Rechte von Immobilienkäufern weiter und verhindert, dass sie unfair belastet werden. In diesem Verfahren ging es um die Frage, wann ein Objekt als Einfamilienhaus gilt und somit der Halbteilungsgrundsatz des § 656c BGB auf die Maklerprovision Anwendung findet. Der BGH entschied, dass der Anwendungsbereich des Halbteilungsgrundsatzes eröffnet ist, wenn das angebotene Objekt erkennbar Wohnzwecken der Mitglieder eines einzelnen Haushalts dient. Der Wohnzweck ergibt sich aus dem Gesamteindruck, wobei grundsätzlich ein objektiver Maßstab heranzuziehen ist. Eine Einliegerwohnung oder eine untergeordnete gewerbliche Nutzungsmöglichkeit stehen der Einordnung als Einfamilienhaus nicht entgegen. ​

Gestaltungsmöglichkeiten für Verkäufer und Käufer:

  • Verkäufer: Bei der Einordnung eines Objekts als Einfamilienhaus sollten objektive Maßstäbe angelegt werden. Im Zweifel ist von einem Einfamilienhaus auszugehen, um Unsicherheiten zu vermeiden.​
  • Käufer: Bei Objekten mit Einliegerwohnungen oder geringfügiger gewerblicher Nutzung sollte geprüft werden, ob diese als Einfamilienhaus gelten, um von den entsprechenden Regelungen zu profitieren.

Sind Tätowierer steuerrechtlich Gewerbetreibende oder Künstler? Das Finanzgericht Düsseldorf entschied am 18.02.2025 auf Kunst und gegen die Gewerbesteuer (4 K 1875/23 G,AO)

Man muss Tattoos nicht mögen. Niemand ist verpflichtet, sich ein Tattoo stechen zu lassen. Steuerrechtlich ist aber die Frage zu beantworten: ist Tätowieren Kunst oder doch bloß ein (besonders filigraner) Handwerksbetrieb? Hier gilt wie so häufig: es kommt darauf an. Es kommt nämlich auf den Einzelfall an. Mit Urteil vom 18.02.2025 hat das Finanzgericht Düsseldorf darauf in einem bei ihm rechtshängigen Verfahren eine klare Antwort gefunden: Tätowieren ist Kunst. Und damit entfällt die Gewerbesteuer.

Der Fall: Ein Tätowierer, ein Finanzamt und die Frage nach der Schöpfungshöhe

Der Kläger war ein erfahrener Tätowierer, der nicht einfach nur Motive aus dem Katalog in Haut ritzt, sondern seine Kunstwerke individuell für jeden Kunden entwirft. Sein Argument: Jedes seiner Tattoos ist ein Unikat, eine künstlerische Schöpfung, die aus einer kreativen Idee geboren wird.

Das sah das Finanzamt allerdings anders. Für die Behörde war die Tätigkeit bloße Handwerkskunst. Ein Handwerk, mit klarem Auftragsverhältnis, vorher definierten Vorgaben und in erster Linie einer Dienstleistung, die nach Kundenwunsch erbracht wird. Und damit viel Gewerbesteuer an.

Das Finanzgericht Düsseldorf entschied zugunsten des Tätowierers. Die Begründung? Kunst ist zweckfrei.

Natürlich, ein Tattoo bleibt auf dem Körper des Trägers (meistens) ein Leben lang. Aber hat es eine Funktion? Nein. Ein gutes Tattoo verschönert, erzählt eine Geschichte, transportiert Emotionen. Es hat keinen über den ästhetischen Genuss hinausgehenden Gebrauchswert. Und genau das ist die Definition von Kunst.

Besonders spannend ist, dass das Gericht sich nicht mit oberflächlichen Argumenten begnügte. Es analysierte detailliert die künstlerische Qualität des Schaffensprozesses, die individuelle Gestaltung und den kreativen Gehalt. Und all das führte zu dem Schluss: Ein Tätowierer, der eigenständig Motive entwirft und künstlerisch umsetzt, ist kein Gewerbetreibender, sondern Freiberufler.

Warum dieses Urteil so wichtig ist

Dieses Urteil könnte für die gesamte Tattoo-Branche ein Gamechanger sein. Denn wenn Tätowierer als Künstler anerkannt werden, könnte das weitreichende Folgen haben – von steuerlichen Vorteilen bis hin zur gesellschaftlichen Anerkennung als echte Kunstform.

Lange Zeit wurde Tätowierkunst eher als Subkultur betrachtet. Doch spätestens, seit sich Museen und Galerien mit der Körperkunst beschäftigen und Tätowierungen als ernstzunehmendes Medium in der Kunstszene angekommen sind, wird klar: Hier geht es um mehr als bloße Hautbilder.

Und was heißt das jetzt für alle anderen?

  • Für Tätowierer: Die Aussicht, ihre Tätigkeit als Kunst anerkennen zu lassen, wächst. Wer eigene Motive entwirft und individuell gestaltet, könnte sich auf dieses Urteil berufen.
  • Für das Finanzamt: Der Kampf ist noch nicht vorbei. Es bleibt abzuwarten, ob es den Fall in die nächste Instanz bringt.
  • Für Steuerberater: Zeit, sich mit neuen Argumentationslinien vertraut zu machen.
  • Für Kunden: Sie tragen künftig nicht nur ein Tattoo, sondern womöglich ein offiziell anerkanntes Kunstwerk auf der Haut.

Das Finanzgericht hat die Revision zum Bundesfinanzhof zugelassen. Es bleibt abzuwarten, wie der Bundesfinanzhof entscheidet.

Zu den (starken) Rechten eines Kommanditisten in der KG

In einer Kommanditgesellschaft (KG) sind die Rechte und Pflichten klar verteilt. Der persönlich haftende Gesellschafter („Komplementär“) übernimmt die Geschäftsführung und haftet unbeschränkt, während der Kommanditist nur beschränkt haftet und von der Geschäftsführung ausgeschlossen ist. ​Was aber ist, wenn der Kommanditist die Vermutung oder gar konkrete Anhaltspunkte dafür hat, dass der Komplementär pflichtwidrig zum Schaden der KG handelt?

Einsichts- und Auskunftsrechte des Kommanditisten

Gemäß § 166 Abs. 1 HGB hat der Kommanditist das Recht, eine Abschrift des Jahresabschlusses zu verlangen und dessen Richtigkeit durch Einsicht in die Bücher und Papiere der Gesellschaft zu prüfen. Dieses Recht kann im Gesellschaftsvertrag nicht ausgeschlossen oder unzulässig beschränkt werden

Bei konkreten Anhaltspunkten für unredliche Geschäftsführung steht dem Kommanditisten zudem ein außerordentliches Kontrollrecht zu. Dieses erlaubt es ihm, unabhängig vom Jahresabschluss jederzeit Auskünfte über die Geschäftsführung des Komplementärs einzuholen und die entsprechenden Unterlagen der Gesellschaft einzusehen. ​

Verdacht auf Pflichtverletzungen des Komplementärs

Bei konkreten Anhaltspunkten für unredliche Geschäftsführung steht dem Kommanditisten ein außerordentliches Kontrollrecht zu. Dieses erlaubt es ihm, unabhängig vom Jahresabschluss jederzeit Auskünfte über die Geschäftsführung des Komplementärs einzuholen und die entsprechenden Unterlagen der Gesellschaft einzusehen. ​

Wenn der Kommanditist den Verdacht hat, dass der Komplementär z.B. Kunden der KG auf ein ihm allein gehörendes Unternehmen überträgt oder Gelder der KG zweckwidrig verwendet, sollte er folgende Schritte in Erwägung ziehen:​

  1. Ausübung des außerordentlichen Kontrollrechts: Der Kommanditist sollte zunächst sein außerordentliches Kontrollrecht nutzen, um detaillierte Informationen über die Geschäftsführung und die finanziellen Transaktionen der KG zu erhalten.​
  2. Einschaltung eines Anwalts: Ein spezialisierter Anwalt kann den Kommanditisten dabei unterstützen, diese Informationen zu erhalten und die Informationen zu bewerten und weitere rechtliche Schritte vorzubereiten.​
  3. Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen: Sollten sich die Verdachtsmomente bestätigen, kann der Kommanditist Schadensersatzansprüche gegen den Komplementär geltend machen. Häufig wird auch der Tatbestand der Untreue gemäß § 266 StGB erfüllt sein.​
  4. Antrag auf Ausschluss des Komplementärs: Bei schwerwiegenden Pflichtverletzungen kann der Kommanditist beim zuständigen Gericht den Ausschluss des Komplementärs aus der Gesellschaft beantragen. Ein solcher Ausschluss setzt jedoch das Vorliegen eines wichtigen Grundes voraus. ​

Rechtsprechung zur Stärkung der Informationsrechte

Die Rechtsprechung hat die Informationsrechte des Kommanditisten in den letzten Jahren gestärkt:​

  • BGH-Beschluss vom 14. Juni 2016 (Az.: II ZB 10/15): Der Bundesgerichtshof entschied, dass dem Kommanditisten bei Vorliegen von Anhaltspunkten für unredliche Geschäftsführung ein außerordentliches Kontrollrecht zusteht. Dieses Urteil stärkt die Position des Kommanditisten hinsichtlich seiner Informationsrechte. ​
  • BGH-Beschluss vom 12. Januar 2016 (Az.: II ZB 23/14): In diesem Beschluss wurde klargestellt, dass das Informationsrecht des Kommanditisten nicht auf die Prüfung des Jahresabschlusses beschränkt ist, sondern auch darüber hinausgehende Auskünfte umfasst, sofern ein berechtigtes Interesse besteht. ​

Zum steuerlichen Abzug von Strafverteidigungskosten als Werbungskosten (FG Düsseldorf, Urteil vom 22.3.2024 – 3 K 2389 / 21 E)

Mit Urteil vom 22.3.2024 (3 K 2389 / 21 E) hat das Finanzgericht Düsseldorf im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des BFH bestätigt, dass Kosten der Strafverteidigung als Werbungskosten abziehbar sind, wenn der strafrechtliche Vorwurf, gegen den sich der Steuerpflichtige zur Wehr setzt, durch sein berufliches Verhalten veranlasst ist. Das ist immer dann der Fall, wenn die dem Steuerpflichtigen zur Last gelegte Tat in Ausübung und nicht nur bei Gelegenheit der beruflichen Tätigkeit begangen worden ist.

Ob der Tatvorwurf zu Recht erhoben wurde, ist für die steuerrechtliche Beurteilung der Strafverteidigungskosten unerheblich.

Das ist eine gute Nachricht für alle Steuerpflichtigen, die sich, was nicht selten der Fall ist, wegen zu Unrecht erstatteter Strafanzeigen zur Wehr setzen müssen.

Wenn aber das Verhalten des Steuerpflichtgen von privaten Gründen getragen wurde, dann schließt ein sogenannter überlagernder privater Veranlassungszusammenhang den beruflichen Zusammenhang aus. Dann sind die Strafverteidigungskosten steuerlich nicht abzugsfähig. Ein solcher privater Veranlassungszusammenhang liegt insbesondere dann vor, wenn der Steuerpflichtige seinen Arbeitgeber bewusst und vorsätzlich schädigen wollte oder sich oder einen Dritten durch die schädigende Handlung bereichert hat. Allein der Vorwurf in einer Strafanzeige, der Steuerpflichtige habe mit Schädigungsvorsatz gehandelt, reicht nicht dafür aus, private Gründe anzunehmen.

Erstaunlich sind die ausführlichen Passagen des Urteils zu diesem Thema, weil das Ermittlungsverfahren gegen den Steuerpflichtigen nach § 170 Abs. 2 StPO, also mangels hinreichenden Tatverdachts, eingestellt worden war.

Das Finanzgericht Thüringen hat in seinem Urteil vom 12. Februar 2014,3 K 926 / 13, eine andere Auffassung als das Finanzgericht Düsseldorf vertreten. Das Finanzgericht Düsseldorf hat daher die Revision zum Bundesfinanzhof zur Fortbildung des Rechts zugelassen.

Was bedeutet das alles für die Praxis? Staatsanwälte sind schnell bei der Hand, ein Verfahren nicht, was eigentlich geboten wäre, nach § 170 Abs. 2 StPO mangels hinreichenden Tatverdachts oder sogar wegen erwiesener Unschuld einzustellen, sondern ein Verfahren entweder nach § 153 StPO wegen geringer Schuld oder aber nach § 153a StPO gegen Zahlung einer Geldauflage einzustellen. Eine Verfahrenseinstellung nach § 153 oder 153a StPO hat zwar den Vorteil, dass Strafklageverbrauch eintritt. Eine Einstellung des Verfahrens nach den beiden genannten Normen kann aber den steuerrechtlichen Nachteil haben, dass die aufgewandten Strafverteidigungskosten von den Finanzbehörden auch bei beruflicher Veranlassung wegen einer angeblich privaten Überlagerung steuerlich nicht zum Abzug zugelassen werden.

FG Münster vom 23.01.2025 (12 K 19/14 E): Verjährung verhindert Steueränderung – Warum das Finanzamt zu spät kam

Am 23. Januar 2025 entschied das Finanzgericht (FG) Münster in einem bemerkenswerten Fall über einen Sachverhalt aus dem Jahr 2001. Es ging im Kern über die Reichweite der steuerlichen Festsetzungsverjährung. Das Gericht stellte klar: Die Frist war abgelaufen, so dass der Änderungsbescheid rechtswidrig war.

Hintergrund des Falls

Die Klägerin hatte im Jahr 2001 Einkünfte aus einem Einzelunternehmen erzielt. In ihrer Steuererklärung machte sie Vermittlungsprovisionen geltend, die angeblich an ihre Mutter sowie an die Mutter ihrer Schwägerin geflossen waren. Diese Kosten wurden vom Finanzamt zunächst akzeptiert.

Doch im Jahr 2006 wurde die Steuerfahndung aktiv. Die Ermittler stellten fest, dass die genannte Mutter der Klägerin damals 77 Jahre alt war und vermutlich gar keine Vermittlungsleistungen erbracht hatte. Dies weckte den Verdacht der Steuerhinterziehung. Im Anschluss leitete das Finanzamt ein Steuerstrafverfahren gegen die Klägerin ein.

Das Problem der Verjährung

Hier kommt der Knackpunkt des Falls: Steuerbescheide dürfen nur innerhalb einer bestimmten Frist geändert werden. Im Regelfall beträgt diese Festsetzungsfrist vier Jahre. Bei Steuerhinterziehung verlängert sie sich jedoch auf zehn Jahre (§ 169 Abs. 2 S. 2 AO).

Das Finanzamt stützte sich auf diese verlängerte Frist, als es im Jahr 2010 einen geänderten Steuerbescheid für 2001 erließ. Doch hier machte das FG Münster einen entscheidenden Punkt:

  • Die zehnjährige Frist beginnt nicht mit dem Veranlagungsjahr (also 2001), sondern erst mit dem Jahr, in dem die Steuererklärung eingereicht wurde.
  • Im vorliegenden Fall war die Steuererklärung für 2001 im Jahr 2002 abgegeben worden.
  • Damit begann die zehnjährige Frist Ende 2002 zu laufen und lief Ende 2012 ab.
  • Der Änderungsbescheid vom 28. Januar 2010 wurde innerhalb dieser Frist erlassen, doch das Einspruchsverfahren zog sich hin: Die Entscheidung über den Einspruch erfolgte erst am 27. November 2013.

Warum war die Verjährung dann trotzdem eingetreten?

Das FG Münster wies darauf hin, dass die Festsetzungsfrist nicht unbegrenzt durch ein Einspruchsverfahren verlängert werden kann. Nach § 171 Abs. 3a AO endet die Frist spätestens ein Jahr nach Abschluss einer Steuerfahndungsprüfung – auch wenn das Einspruchsverfahren noch läuft.

Im vorliegenden Fall war das Steuerstrafverfahren gegen die Klägerin bereits 2006 abgeschlossen. Die Festsetzungsfrist wäre also spätestens Ende 2007 abgelaufen, wenn nicht die zehnjährige Frist wegen Steuerhinterziehung gegriffen hätte. Doch diese endete, wie bereits dargestellt, Ende 2012. Da der Einspruchsbescheid erst im November 2013 erging, war die Verjährung eingetreten – und der Steuerbescheid nicht mehr haltbar.

Urteil und Bedeutung

Das Finanzgericht Münster hob den Änderungsbescheid auf, weil die Verjährung bereits eingetreten war. Damit machte das Gericht deutlich:

  • Selbst bei Steuerhinterziehung muss das Finanzamt genau auf die Fristen achten.
  • Auch eine laufende Einspruchsentscheidung kann eine bereits abgelaufene Festsetzungsfrist nicht mehr verlängern.
  • Steuerpflichtige können sich auf den Grundsatz der Rechtssicherheit berufen, wenn die Behörde zu spät kommt.

Das Urteil hat weitreichende Bedeutung für Steuerpflichtige und Finanzämter, insbesondere wenn Steuerhinterziehung im Raum steht. Die Finanzverwaltung muss sicherstellen, dass sie ihre Bescheide innerhalb der gesetzlich zulässigen Zeiträume erlässt – sonst kann selbst ein begründeter Steueranspruch nicht mehr durchgesetzt werden.

Da die Revision zugelassen wurde, bleibt abzuwarten, ob der Bundesfinanzhof (BFH) dieses Urteil bestätigen wird.

Wenn der Ehevertrag zur Farce wird – Ungleiche Verhandlungspositionen und die Gefahr der Nichtigkeit

Eheverträge sollen Sicherheit geben. Sie ermöglichen es Ehepartnern, bereits vor der Hochzeit Regelungen zu treffen, die im Falle einer Trennung und Scheidung Streit vermeiden sollen. Doch was ist, wenn der Ehevertrag von Anfang an auf wackligen Beinen steht? Besonders problematisch wird es, wenn einer der Partner bei der Vertragsunterzeichnung in einer deutlich schwächeren Verhandlungsposition war – etwa, weil die Braut hochschwanger und wirtschaftlich abhängig war.

Der Fall: Schwanger, abhängig und unter Druck

Stellen wir uns die folgende Situation vor: Ein Paar erwartet bereits das dritte gemeinsame Kind. Zwei Kinder sind noch minderjährig, die Frau ist mit dem dritten Kind schwanger. Die Hochzeit steht an, und der zukünftige Ehemann als der wirtschaftlich Stärkere besteht auf einem Ehevertrag, den er seiner Braut diktiert: „friss, Vogel oder stirb.“ Die werdende Mutter, emotional und wirtschaftlich in einer ohnehin verletzlichen Lage, unterschreibt – möglicherweise, ohne sich umfassend beraten zu lassen.

In so einem Fall stellt sich die Frage: Kann ein solcher Vertrag, zumal nach langer Ehe, wirklich Bestand haben?

Die Rechtsprechung: Schutz vor einseitiger Benachteiligung

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in mehreren Urteilen betont, dass Eheverträge sittenwidrig und damit nichtig sein können, wenn sie eine einseitige und unzumutbare Benachteiligung eines Ehepartners bewirken. Dabei kommt es nicht nur auf den Inhalt des Vertrags an, sondern auch auf die Umstände, unter denen er zustande gekommen ist.

Gerade wenn eine Frau bei Vertragsunterzeichnung schwanger ist und sich in einer wirtschaftlichen Abhängigkeit befindet, spricht das stark für eine ungleiche Verhandlungsposition. Besonders, wenn sie sich ohne unabhängige Rechtsberatung auf einen Vertrag einlässt, der für sie erhebliche Nachteile bedeutet, kann dies zur Nichtigkeit des Vertrags führen.

Kriterien für die Sittenwidrigkeit eines Ehevertrags

Ein Ehevertrag wird besonders kritisch gesehen, wenn:

  • Eine deutliche strukturelle Unterlegenheit des benachteiligten Ehegatten vorlag (z. B. wirtschaftliche Abhängigkeit, Schwangerschaft, emotionale Drucksituation).
  • Kernbereiche des Scheidungsfolgenrechts (Unterhalt, Versorgungsausgleich) einseitig geregelt oder gar ausgeschlossen wurden.
  • Kein fairer Verhandlungsspielraum für den schwächeren Ehepartner bestand: „entweder Du unterschreibst oder Du bist alleinerziehende Mutter von drei Kindern.
  • Eine Beratung durch einen unabhängigen Anwalt nicht erfolgt ist.

Der BGH zur Unwirksamkeit einseitig benachteiligender Eheverträge

In Fällen wie dem oben beschriebenen könnte ein Gericht zu dem Schluss kommen, dass sich der wirtschaftlich stärkere Ehegatte eine unbillige Position verschafft hat. Besonders, wenn der Vertrag elementare Rechte der wirtschaftlich schwächeren Person aushebelt – etwa den Anspruch auf nachehelichen Unterhalt oder den Versorgungsausgleich –, wird häufig geprüft, ob die Vereinbarung sittenwidrig ist.

Der BGH hat beispielsweise im Urteil vom 11. Februar 2004 (XII ZR 265/02) einen Ehevertrag für unwirksam erklärt, weil die Frau in einer wirtschaftlich und emotional stark unterlegenen Position war. Der Vertrag schloss Unterhalt und Versorgungsausgleich vollständig aus – eine Regelung, die zu einer einseitigen Lastenverteilung führte.

Ähnlich urteilte der BGH in einem Fall, in dem eine Ehefrau vor der Eheschließung schwanger war und auf wesentliche Scheidungsfolgen verzichten sollte. Hier erkannte das Gericht die strukturelle Unterlegenheit und erklärte den Vertrag für unwirksam (BGH, Urteil vom 25. Mai 2005 – XII ZR 296/01).

Fazit: Eheverträge sind kein Freibrief für einseitige Regelungen

Eheverträge können eine sinnvolle Möglichkeit sein, finanzielle Fragen frühzeitig zu klären. Der Abschluss eines Ehevertrages ist oft sinnvoll. Eheverträge dürfen aber nicht dazu genutzt werden, einen Ehegatten in eine schutzlose Lage zu bringen. Wer vor der Eheschließung einen Vertrag unterzeichnet, sollte sicherstellen, dass er oder sie ausreichend beraten wurde und keine wesentlichen Rechte aufgegeben werden.

Gerade wenn eine Frau bei der Unterzeichnung schwanger ist und bereits kleine gemeinsame Kinder betreut, kann eine ungleiche Verhandlungsposition vorliegen. In solchen Fällen haben Gerichte in der Vergangenheit immer wieder entschieden, dass ein Ehevertrag unwirksam ist, wenn er sich als grob einseitig herausstellt.

Kurz gesagt: Ein Ehevertrag, der eine bereits wirtschaftlich und familiär stark gebundene Person weiter benachteiligt, kann schnell zu einem Fall für die Gerichte werden – und letztlich für unwirksam erklärt werden.

Sprechen Sie uns an; wir prüfen Ihren Ehevertrag auf (Un)Wirksamkeit und zeigen Ihnen Wege auf, wie Sie mit einem unwirksamen Ehevertrag umgehen können. Übrigens: Vermögen zu „verschieben“ ist selten ein guter Rat und kann empfindliche strafrechtliche Folgen haben.

Auch wenn es während der Ehe Schenkungen gegeben hat, ist das ein für beide Ehegatten zu lösendes Thema. Das liegt
(a) an der Anlaufhemmung für die Verjährung bei der Schenkungsteuer nach § 170 Abs. 1 Nr. (5) Ziffer 2 AO: „Für die Erbschaftsteuer (Schenkungsteuer) beginnt die Festsetzungsfrist
……..bei einer Schenkung nicht vor Ablauf des Kalenderjahrs, in dem der Schenker gestorben ist oder die Finanzbehörde von der vollzogenen Schenkung Kenntnis erlangt hat“
,
und
(b) daran, dass entgegen weitverbreiteter Meinung auch der Schenker Schuldner der Schenkungsteuer ist (§ 20 Abs. 1 Satz 1 ErbStG: „Steuerschuldner ist der Erwerber, bei einer Schenkung auch der Schenker“).

Auch bei diesem Thema haben wir für Sie gute Lösungen.

Bei Eigentumswohnungen führen Zahlungen in die Erhaltungsrücklage der Wohnungseigentümergemeinschaft nicht zu Werbungskosten (Urteil des BFH vom 14. Januar 2025 – IX R 19/24)

Der Bundesfinanzhof („BFH“) hatte darüber zu entscheiden, ob die Zuführung von Hausgeldzahlungen eines Wohnungseigentümers zur Erhaltungsrücklage der Wohnungseigentümergemeinschaft zu steuerlich abzugsfähigen Werbungskosten des Wohnungseigentümers bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung (§ 21 EStG) führt.

Mit seiner Entscheidung vom 14. Januar 2025 hat der Bundesfinanzhof das abgelehnt. Zwar werde der Wohnungseigentümergemeinschaft mit Wirkung seit dem 1.12.2020 die volle Rechtsfähigkeit zuerkannt. Damit gehört die Erhaltungsrücklage auch zum Gemeinschaftsvermögen der Wohnungseigentümergemeinschaft. Auch zivilrechtlich steht das der Rücklage zugeführte Vermögen nur der Wohnungseigentümergemeinschaft zu. Der einzelne Wohnungseigentümer hat hieran keinen rechtlich anzuerkennenden, frei verkaufbaren Anteil.

Allerdings, so der BFH, ändert das nichts an dem Umstand, dass zum Zeitpunkt der Zahlung des der Rücklage zuzuführenden Betrages noch kein für den Werbungskostenabzug ausreichender Zusammenhang mit den Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung besteht. Denn in diesem Stadium ist noch gar nicht absehbar, ob, wann und in welcher Höhe welche Erhaltungsmaßnahmen am Gemeinschaftseigentum durchgeführt werden.

Die Entscheidung des BFH ist richtig.

Nicht richtig dagegen sind die Überlegungen des BFH zu der Erhaltungsrücklage bei dem Verkauf des Wohnungeigentums. Verkauft der in die Rücklage einzahlende Wohnungseigentümer sein Eigentum, bevor Erhaltungsmaßnahmen durchgeführt werden, kann er die Zahlung in die Erhaltungsrücklage endgültig nicht als Werbungskosten abziehen. Er wird aber, so der BFH, von dem Käufer für den dem Käufer wirtschaftlich zugute kommenden Rücklagenbestand einen Kaufpreisaufschlag erhalten.

Diese Annahme des BFH können wir aus unserer Praxis jedenfalls nicht bestätigen. Die Höhe der auf einen Wohnungseigentümer rechnerisch entfallenden Rücklage der Wohnungseigentümergemeinschaft spielt bei Verhandlungen über den Kaufpreis keine Rolle. Andererseits geht der Abzug der Zahlungen in die Rücklage nicht verloren. Denn soweit diese Zahlungen später für Erhaltung Aufwendungen verwendet werden, führen diese zu Werbungskosten bei dem aktuellen Eigentümer des Wohnungseigentums.

Der typisch stille Gesellschafter und das Steuerrecht (FG München, Urteil vom 19.03.2024, 6 K 820/21)

Das Steuerrecht ist meist nicht ganz so einfach wie das Zivilrecht. das gilt auch für die stille Gesellschaft. Während das Zivilrecht nur die stille Gesellschaft (§§ 230 ff. HGB) kennt und diese Gesellschaft wegen des Grundsatzes der Vertragsfreiheit weitgehend frei gestaltet werden darf, ist das Steuerrecht anders: es kennt, je nach Ausgestaltung des Vertrages, den sgenannten typisch stillen Gesellschafter einerseits und den atypisch stillen Gesellschafter andererseits. Der typisch Stille erzielt Überschusseinkünfte aus § 20 Abs. 1 Nr. 4 EStG, der atypisch Stille ist Mitunternehmer und erzielt Gewinneinkünfte aus § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG.

Nach § 232 Abs. 2 Satz 1 HGB nimmt der stille Gesellschafter an dem Verlust nur bis zum Betrag seiner Einlage teil. Was aber passiert mit einem rechnerisch auf den stillen Gesellschafter entfallenden Verlustanteil, der die Einlage des Stillen übersteigt? Und weiter: was passiert steuerrechtlich, wenn der Stille aus der Gesellschaft ausscheidet, mit dem auf ihn entfallenden neagativen Konto, das seine Einlage überstiegen hat?

Zivilrechtlich ist die Frage einfach: Der stille Gesellschafter haftet dafür nicht.

Steuerrechtlich hatte sich damit das Finanzgericht München in seinem Urteil vom 19.03.2024 (FG München, Urteil vom 19. März 2024 – 6 K 820/21, juris) zu befassen.

Das Finanzgericht kommt zu dem Ergebnis, dass das negative Einlagenkonto des still Beteiligten, das unter der Position „sonstige Vermögensgegenstände“ bei der GmbH bilanziert ist und mit dem das Entstehen und die Entwicklung der dem stillen Gesellschafter zuzuweisenden Verlustanteile, die über seine Einlage hinausgingen, abgebildet wurden, nicht auf die GmbH übergeht. Die bisher dem stillen Gesellschafter zugewiesenen Verlustanteile, die bei dem Stillen zu einem negativen Einlagenkonto geführt haben, sind beim stillen Gesellschafter gem. §§ 9, 20 Abs. 1 Nr. 4 i.V.m. § 15a EStG als Werbungskosten bei der Ermittlung der Kapitaleinkünfte zu berücksichtigen.

Die GmbH als Geschäftsinhaber kann das bei der GmbH bilanzierte negative Einlagenkonto des still Beteiligten nicht gewinnwirksam ausbuchen.

Auch wenn die GmbH als Geschäftsinhaber mit dem Ausscheiden des stillen Gesellschafters die tatsächlich entstandenen betrieblichen Verluste wirtschaftlich endgültig zu tragen hat, sieht das Gesetz eine „Überleitung“ der dem stillen Gesellschafter zugewiesenen Verluste auf den Geschäftsinhaber nicht vor. Die Verluste des stillen Gesellschafters können nur von diesem steuerlich geltend gemacht werden. Ob sich diese Verluste beim stillen Gesellschafter steuerlich auswirken, ist für einen Ansatz beim Geschäftsinhaber nicht erheblich.

Was bedeutet das im Ergebnis für die Praxis? Der typisch stille Gesellschafter trägt die Verluste nur bis zu dem Betrag seiner Einlage. Darüber hinausgehende Verlustanteile werden dem stillen Gesellschafter zwar zugerechnet. Sie wirken sich aber bei dem stillen Gesellschafter zunächst nicht aus. Er kann diese Verlustanteile aber mit künftigen Überschüssen aus der stillen Gesellschaft verrechnen. In der Handels- und Steuerbilanz des Geschäftsinhabers mindern diese rechnerisch auf den stillen Gesellschafter entfallenden Verlustanteile nicht den Jahresfehlbetrag des Geschäftsinhabers.

Steuerrechtlich werden die über den Betrag der Einlage hinausgehenden und nach § 15a Abs. 4 EStG gesondert festzustellenden Verlustanteile dem stillen Gesellschafter zugerechnet.

Wird die stille Gesellschaft beendet und besteht ein nicht ausgeglichener Verlustanteil des stillen Gesellschafters, dann trägt der Geschäftsinhaber endgültig die bislang dem stillen Gesellschafter zugerechneten Verlustanteile. Dessen Einkünfte sind entsprechend zu reduzieren.

Bei dem stillen Gesellschafter dagegen gleichen sich die Einkünfte aus dem Wegfall eines die Einlage übersteigenden Verlustes mit dem verrechenbaren Verlustvortrag nach § 15a EStG aus, so dass sich bei dem stillen Gesellschafter im Regelfall keine steuerrechtlichen Konsequenzen ergeben.

Gegen die Entscheidung des Finanzgerichts München ist bei dem Bundesfinanzhof unter dem Aktenzeichen XI R 18/24 ein Revisionsverfahren anhängig.

Die Finanzverwaltung und die (von ihr oft penetrant) verletzte Pflicht, Steuerbescheide zu begründen (§ 121 AO)

Vor dem Gesetz“ ist ein von Franz Kafka 1915 veröffentlichter Text, der auch als Türhüterlegende oder Türhüterparabel bekannt ist. In dem Text geht es um den Versuch eines Mannes vom Lande, in das „Gesetz“ zu gelangen. Der Mann erfährt von einem Türhüter, der vor der Tür steht, dass es möglich sei, zum Gesetz zu gelangen, aber nicht zum gegenwärtigen Zeitpunkt. Er wartet sein ganzes Leben darauf, dass ihm der Türhüter Einlass gewährt. Er versucht sogar, den Türhüter zu bestechen. Er bittet sogar die Flöhe im Pelzkragen des Türhüters, ihm zu helfen. Aber alles ist vergeblich.

Kurz bevor der Mann vom Lande stirbt, fragt er den Türhüter, warum in all den Jahren niemand außer ihm Einlass verlangt hat. Der Türhüter antwortet, dieser Eingang sei nur für ihn bestimmt gewesen. Er werde ihn jetzt schließen.

So komme ich mir vor, wenn ich Finanzbehörden bitte, Steuerbescheide zu begründen. Ich schreibe gegen eine Wand. Das letzte mir sehr präsente Beispiel betrifft eine Mandantin, die bis zu 2013 mit knapp über 1 % an einer GmbH & Co. KG („KG“) beteiligt war. Nach einer jahrelang dauernden Betriebsprüfung, an der die Mandantin nicht beteiligt war, erließ das Finanzamt für die Jahre 2009 bis 2014 Im Dezember 2024 geänderte Feststellungsbescheide. Vor ca. einem Jahr geriet die KG in Insolvenz. Die unserer Mandantin im Wege der Einzelbekanntgabe bekanntgegebenen Feststellungsbescheide für diese KG wichen erheblich von den vorausgegangenen Bescheiden ab. Die Rubrik „Erläuterungen“ zu den Bescheiden verwies lapidar auf den Bericht über die Betriebsprüfung.

Gegen die Bescheide legten wir Einspruch ein. Begründen konnten wir den Einspruch nicht; denn wir konnten und können bis heute mangels Begründung nicht prüfen, wie das Finanzamt die Änderungen in den Bescheiden begründen möchte.

Also haben wir jetzt, nach Erhalt der – nichtssagenden – Einspruchsentscheidung, in der dem Steuerpflichtigen völlig absurd mangelnde Begründung der Einsprüche vorgeworfen wurde, Klage erhoben.

Zur Erinnerung: Steuerbescheide sind zu begründen, soweit das zu ihrem Verständnis erforderlich ist (§ 121 Abs. 1 AO). Sehr gut bringt das Seer in Tipke / Kruse auf den Punkt:

Die Begründung ist Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips (BVerfG v. 16.1.1957 – 1 BvR 253/56, BVerfGE 6, 32 [44 f.]; Kischel, Die Begründung [LitV], 64 ff.). Die Begründungspflicht steht im engen Zusammenhang mit dem auch europarechtlich durch Art. 41 II lit. c GrCh fundierten Recht auf Gehör (s. § 91 Rz. 1 ff., § 364 Rz. 1). Die Begründung hat aber auch darüber hinausgehende Zwecke oder Funktionen (ebenso Güroff in Gosch, § 121 Rz. 1): (Autor: Seer)2a–Im Vordergrund steht der Rechtsschutzzweck. Die Begründung soll vor allem sicherstellen, dass der Betroffene seinen Rechtsschutzanspruch (s. Art. 19 IV GG) wirklich nutzen kann. Das kann er nur, wenn er weiß, wie die Behörde ihren VA rechtfertigt, insb. auf welche Rechtsgrundlage sie ihn stützt (s.a. BVerfG v. 16.1.1957 – 1 BvR 253/56, BVerfGE 6, 32 [44]; BVerfG v. 29.10.1975 – 2 BvR 812/73, BVerfGE 40, 276 [286]; BVerfG v. 28.2.1979 – 2 BvR 84/79, BVerfGE 50, 287 [290]; BVerfG v. 12.7.1983 – 1 BvR 1470/82, BVerfGE 65, 76 ff.; BVerfG v. 5.11.1985 – 1 BvR 1434/83, BVerfGE 71, 122 [136] [allerdings durchweg zu Gerichtsentscheidungen]; zum VA s. BVerfG “

Tipke/Kruse, AO/FGO 2025, § 121 AO, Rn. 2

Angesichts dieser klaren Rechtslage ist die geradezu penetrante Verweigerungshaltung von Finanzbehörden besorgniserregend und erinnert stark an die Türhüterparabel.

Das Landgericht Detmold – wie Gerichte arbeiten

Die Welt ändert sich in einer rasanten Geschwindigkeit. Auch die Arbeit in Steuerberatungskanzleien und Anwaltskanzleien hat sich in den letzten zehn Jahren grundlegend gewandelt. Als Stichworte seien nur die digitale Aktenführung, die Spracherkennung und juristische Informationssysteme sowie AI in Form von ChatGPT u.a. genannt. Kanzleien benötigen längst nicht mehr so viel Personal wie noch vor zehn Jahren, sie benötigen dafür aber sehr gut qualifiziertes Personal. Insbesondere standardisierte Rechtsdienstleistungen wie z.B. Entschädigungen nach der EU – Flugverspätungsverordnung bieten flighright.de und andere Anbieter gegen Erfolgsbeteiligung und für die Kunden ohne Kostenrisiko an. Das aber ist erst der Anfang.

Corona hat dazu beigetragen, die in der Justiz lange Zeit stiefmütterlich behandelte Videokonferenz mit Leben zu erfüllen. Das beA verpflichtet Anwälte seit dem 01.01.2022, mit Gerichten nur noch über diese Plattform zu kommunizieren. Schriftsätze können nicht mehr wirksam auf dem Postweg oder per Telefax eingereicht werden. Viele Gerichte haben mittlerweile nachgezogen und führen die Akten nur noch digital. Der deutsche Richterbund Landesverband Berlin forderte die Richterschaft im Oktober 2024 auf, sich der Herausforderung KI zu stellen (https://www.drb-berlin.de/themen-und-positionen/justizthemen/justizthema/news/kuenstliche-intelligenz-im-gerichtssaal).

Erkennbar ist das in der Praxis der Gerichte noch nicht so wirklich. In unserer Kanzlei sind Verfahren bekannt, bei denen Termine von Gerichten mehrfach verlegt werden mussten, und bei denen Gerichte nicht auf die Idee kamen, bei den Verfahrensbeteiligten zuvor passende Termine abzufragen oder mehrere Termine vorzuschlagen. Das Oberlandesgericht Hamm ist hier deutlich weiter. Es schlägt den Verfahrensbeteiligten mehrere Termine vor und fordert die Beteiligten auf, innerhalb sehr kurzer Frist alle einzurichtenden Termine mitzuteilen.

Ein weiterer Kritikpunkt ist die Vorbereitung der mündlichen Verhandlung. Höchst selten gibt es in der ersten Instanz vor der mündlichen Verhandlung Hinweise. Diese Hinweise gibt es bestenfalls in der mündlichen Verhandlung, nicht selten zur Überraschung der Parteien. Auch hier wäre es sinnvoll, wenn die Gerichte den Beteiligten ihre vorläufige Auffassung schon im Vorfeld der mündlichen Verhandlung zur gezielten Vorbereitung und mit dem Ziel kürzerer Verfahren mitteilen würden. Das würde Prozesse deutlich straffen. Allerdings würde das nach unserer Einschätzung für die Richterschaft auch eine deutliche Änderung der Arbeitsweise mit sich bringen. In diesem Bereich können wir eine Verbesserung noch nicht recht erkennen. Wir haben eher den Eindruck, dass hier in weiten Teilen noch so gearbeitet wird wie eh und je.