Am 1. März 2023 berichteten wir über einen für jeden Steuerpflichtigen bemerkenswerten Vorgang. Es sind seitdem fast zwei Jahre ins Land gegangen, das Thema ist aber, soweit ersichtlich, noch immer nicht aufgearbeitet.
Worum geht es? Es geht um die in Mecklenburg-Vorpommern begründete sogenannte Klimastiftung. Nach der Satzung soll sie um Umweltschutz und Klima bemüht sein. Die Idee hinter dieser Stiftung war es aber, die von den USA gegen Russland verhängten Sanktionen im Zusammenhang mit dem Projekt Nordstream 2 aktiv zu umgehen und die wahren Aktivitäten zu verschleiern. Interessant ist es, in welch kurzer Zeit diese Stiftung die behördliche Genehmigung erhalten hatte.
Die nicht gemeinnützige Stiftung wurde von einer russischen Firma mit 20,0 Mio Euro ausgestattet. Der Strickmusterfehler dabei war, dass die Zuwendung eine Schenkung war, die der Schenkungsteuer unterliegt. Das Thema hat nicht nur eine steuerliche, sondern auch eine strafrechtliche Dimension. Es ging also schnell um die Frage, ob die Schenkungsteuererklärung fristgerecht eingereicht worden ist.
Seinerzeit hatte man der Öffentlichkeit die abenteuerliche Geschichte einer Finanzbeamten präsentiert, die die Steuererklärung der Stiftung angeblich aus Panik vor persönlichen Konsequenzen in einem Kamin zu Hause verbrannt haben soll. Das sollte erklären, warum die Steuererklärung im Finanzamt nicht auffindbar war.
Die Angelegenheit ist schon längst aus den Medien verschwunden. Auf die von uns erstattete Strafanzeige gegen die Verantwortlichen haben wir nichts wirklich relevantes gehört. Es würde nicht verwundern, wenn die Sache so lange liegenbleibt, bis sie verjährt ist.
Mit Urteil vom 21.11.2024 – VII ZR 39/24, NJW 2025, 435, entschied der BGH über die Frage der Haftung des Betreibers einer Waschstraße für die Beschädigung eines mit einem serienmäßigen Heckspoiler ausgestatteten Fahrzeugs.
In der Entscheidung ging es um einen Land Rover, Range Rover Sport HSE. Dieses Fahrzeug ist serienmäßig mit einem Heckspoiler ausgestattet. Während des Waschvorgangs wurde der Heckspoiler abgerissen, wodurch Schäden am Heck des Fahrzeugs entstanden. Das Amtsgericht verurteilte den Beklagten, Betreiber der Waschstraße, antragsgemäß. Das Landgericht Münster wies die Klage ab.
Der BGH entschied im Kern, dass im vorliegenden Fall eine schuldhafte Pflichtverletzung durch den Betreiber der Waschstraße entgegen der Auffassung des Landgerichts Münster – widerleglich – zu vermuten sei. Denn die Schadensursache stamme allein aus dessen Obhuts- und Gefahrenbereich.
Nach Auffassung des BGH habe der Betreiber der Waschstraße diese Vermutung nicht entkräften können. Wörtlich heißt es in der Entscheidung in Rz. 33, 34 (zitiert nach beck online):
„33Das nach den Feststellungen des BerGer. in der Waschanlage angebrachte, mit „Allgemeine Geschäftsbedingungen Autowaschanlagen/Portalwaschanlagen“ überschriebene Schild reicht als Hinweis schon deshalb nicht aus, weil es ausdrücklich nur „nicht ordnungsgemäß befestigte Fahrzeugteile oder (…) nicht zur Serienausstattung des Fahrzeugs gehörende Fahrzeugteile (zB Spoiler, Antenne, Zierleisten oä)“ erwähnt. Nicht nur fällt der Heckspoiler des klägerischen Fahrzeugs nicht hierunter, weil er zur Serienausstattung gehört (und ordnungsgemäß befestigt war), sondern die ausdrückliche Beschränkung auf nicht serienmäßige Fahrzeugteile ist sogar geeignet, bei dem Kunden das Vertrauen zu begründen, mit einem serienmäßig ausgestatteten Pkw die Anlage gefahrlos benutzen zu können.
34Ebenso wenig stellt der darunter befindliche Zettel mit der Aufschrift „Keine Haftung für Anbauteile und Heckspoiler!“ einen ausreichenden Hinweis dar. Angesichts des darüber befindlichen Schildes mit der ausdrücklichen Beschränkung auf nicht zur Serienausstattung gehörende Teile wird für den Kunden schon nicht hinreichend klar, dass – gegebenenfalls – von diesem Hinweis auch die Nutzung der Waschanlage durch Fahrzeuge mit serienmäßigem Heckspoiler erfasst sein soll.“
Die Entscheidung des BGH stellt die Betreiber von Waschanlagen vor erhebliche Probleme. Im Ergebnis werden die Betreiber dazu übergehen müssen, die AGB neu zu fassen und Fahrzeuge vor dem Einfahren in den Waschstraße zu prüfen und sie nicht einfahren zu lassen. Interessant ist die Anmerkung von Knoche zu der Entscheidung, abgedruckt in der NJW direkt hinter dem Urteil des BGH.
Unter Steuerberatern ist die Betriebsaufspaltung beliebt. Allerding birgt sie, wenn sie unerkannt ist, erhebliche, teils existenzielle Risiken. Eine Betriebsaufspaltung endet, wenn entweder die personelle oder die sachliche Verflechtung zwischen Besitz – und Betriebsunterrnehmen endet. Das kann auch gegen den Willen des Steuerpflichtigen passieren, z.B. im Falle der Insolvenz der Betriebs GmbH. Denkbar sind auch gut gemeinte Übertragungen in der Familie, die ungewollt die personelle Verflechtung entfallen lassen.
Wenn eine Betriebsaufspaltung (ungewollt) endet, sind zum einen die stillen Reserven im Besitzunternehmen aufzudecken und zu versteuern. Doch damit nicht genug. Aufzudecken und zu versteuern sind auch die stillen Reserven im Betriebsunternehmen. Bei der im Mittelstand häufig anzutreffenden Konstellation, bei der eine Person Alleineigentümer des betrieblich genutzten Grundbesitzes und des sosntigen Anlagevermögens und zugleich Mehrheitsgesellschafter der Betriebs GmbH ist, sind auch die stillen Reserven aus der Beteiligung an der Betriebs GmbH aufzudecken und zu versteuern. Bei einer Beteiligung mit einem Wert von 20,0 Mio. EUR und einem Buchwert von 20 TEUR ist das ein Gewinn von 19,98 Mio. EUR, der zu versteuern ist, obwohl es, anders als beim Verkauf, keinen Geldzufluss gibt. Hinzu kommt der zu versteuernde Gewinn aus dem Besitzunternehmen.
Insbesondere im Mittelstand muss der Berater dieses Thema präsent haben. Mandanten sind gut beraten, das Risiko der ungewollten Beendigung der Betriebsaufpaltung durch Umstrkturierung auszuschließen. Fragen Sie uns, wir haben die Lösung.
Für unsere Kanzlei und das Notariat hatten wir vor Corona für 15.000,00 EUR ein Videokonferenzsystem angeschafft. Ziel war es, damit nicht nur die (damals bald kommende) Gründung von GmbHs per Videokonferenz für unsere Mandanten erledigen zu können, sondern auch, im anwaltlichen Bereich Fahrt- und Reisezeiten im Zusammenhang mit Rechtsstreiten vor den Gerichten zu reduzieren, letztlich auch im Interesse der Umwelt. Unsere hohen Erwartungen sind leider nicht erfüllt worden. Es hat bis heute, Februar 2023, gedauert, bis überhaupt ein paar wenige Gerichte sich mit dem Thema Videokonferenz befasst haben. Von einem weit verbreiteten oder flächendeckenden Einsatz dieser Technik kann keine Rede sein. Tatsache ist, dass es nur sehr wenige Gerichte gibt, die überhaupt über die Technik verfügen. Und diese Gerichte, wie bei dem Landgericht Weiden in der Oberpfalz (rd. 500 km von unserem Kanzleisitz entfernt) zu erfahren war, zu erfahren war, lehnen den Einsatz dieser Technik geradezu hartnäckig ab. Ob das mit der generellen Abneigung in Bayern gegenüber Preußen zu tun hat, möchten wir nicht behaupten. Aber eine Tatsache bleibt eine Tatsache.
Mittlerweile haben wir unser für teures Geld angeschafftes Videokonferenzsystem, zumindest bildlich gesprochen, auf den Schrott geworfen. Denn der Standard, der bis zum Beginn von Corona der auch von dem Finanzgericht Münster verwendete Standard war, ist heute nicht mehr der Standard. Nach unseren Erfahrungen sind die Videokonferenzsysteme bei den Gerichten anscheinend zur Spielwiese technikbegeisterter Angehöriger der Gerichtsbarkeit geworden. Anders ist es fast nicht zu erklären, dass auch in Nordrhein-Westfalen Landgerichte in unterschiedlichen Städten verschiedene Systeme einsetzen. Eins aber haben alle Systeme gemeinsam: Mit der von uns vor Corona für teures Geld angeschafften Videokonferenzanlage möchte keines dieser Systeme kommunizieren. Jetzt geht das, was vor Corona als Unmöglichkeit galt: Eine Videokonferenz über das Internet zu führen. Das andere mithören oder sogar die mündliche Verhandlung verbotenerweise mitverfolgen oder in das Internet stellen können, interessiert niemanden. Es geht aber doch. Nur die Rechtsanwälte müssen sich mit dem völlig schwerfälligen „beA“ herumplagen. Das fängt damit an, dass der Rechtsanwalt beim Login über das Internet in das beA die PIN zweimal eingeben muss. Ich habe mir einmal die Freude gemacht und bei dem Support nachgefragt, warum man das nicht ändern kann. Ich erhielt eine über mehrere Seiten gegebene Erklärung. Eine einleuchtende oder nachvollziehbare Antwort auf die Frage, warum man bei die doppelte Eingabe nicht entfallen lassen konnte, habe ich aber nicht erhalten.
Auch das ist ein weiterer verstörender Befund: In Deutschland wächst nicht die Wirtschaft, es wächst die Bürokratie. Am Ende verwalten wir uns noch selbst. Arbeiten möchte ohnehin schon niemand mehr. Die Zukunft wird spannend.
Am 18. Januar 2023 (und damit 21 Jahre nach dem Streitjahr) entschied das Finanzgericht Münster zu Az. 13 K 150/19 AO in einer Steuersache des Jahres 2002 unseres Geschäftsführers, Herrn Professor Dr. Wolfgang Sturm (“Kläger”). Worum ging es? Ein Finanzamt im Süden Deutschlands hatte den Kläger als Gesellschafter einer GbR behandelt, an der er nie beteiligt war. Eigentlich das dem Finanzamt im Süden schon auffallen müssen. Denn es gab nichts, woraus das Finanzamt hätte ersehen können, dass der Kläger Gesellschafter dieser GbR geworden wäre. Der Kläger wunderte sich über die Höhe der ihm zugerechneten Einkünfte und legte gegen den ihm bekannt gegebenen Feststellungsbescheid (das war nicht der Feststellungsbescheid, aus dem die Einkünfte der GbR, an der er beteiligt war, stammten) Einspruch ein. Nach Jahren oder besser gesagt Jahrzehnten korrigierte das Finanzamt im Süden Deutschlands den Fehler. In diesem Zusammenhang fiel dem Finanzamt auf, dass in dem Feststellungsbescheid, der dem Klägern bekannt gegeben worden war, auch Steueranrechnungsbeträge enthalten waren. In einer separaten Mitteilung an das für den Kläger zuständige Finanzamt Detmold teilte das Finanzamt aus dem Süden aber mit, dass eine Änderung wegen der Anrechnungsbeträge nicht mehr in Betracht käme. Das interessierte aber das für die Einkommensteuer des Klägers zuständige Finanzamt Detmold nicht. Das Finanzamt Detmold forderte von dem Kläger die Steueranrechnungsbeträge zurück. Das Finanzamt Detmold, dem auch hätte auffallen müssen, dass nicht nur die Einkünfte, sondern auch die Steueranrechnungsbeträge nicht mehr angerechnet werden dürfen, schlief auch grandios über alle diese Tatsache hinweg. Dafür behauptete es frech, all dies hätte dem Kläger, dem der relevante Feststellungsbescheid war gar nicht bekannt gegeben worden war, auffallen müssen. Um den Streit zwischen Kläger und Finanzamt zu entscheiden, erließ das Finanzamt Detmold einen Abrechnungsbescheid. Dagegen klagte der Kläger. Der Berichterstatter des Finanzgerichts Münster folgte der Auffassung des Klägers und legte seine Auffassung in einem Hinweisbeschluss dar. In der mündlichen Verhandlung dann sah die Welt aber ganz anders aus. Es ging hier um Fragen der Auslegung des Feststellungsbescheides und um andere Themen. Der Senat teilte mit, man könne die Entscheidung des Finanzamtes so oder so auslegen. Am Ende legte das Finanzgericht die Entscheidung des Finanzamtes im Sinne des Finanzamtes aus. In der Entscheidung vertrat das Finanzgericht die Auffassung, dass für die Wirksamkeit eines an mehrere Beteiligte gerichteten Feststellungsbescheides die Bekanntgabe an nur einen Adressaten erforderlich, aber auch ausreichend sei. Das ist in der Tat der Stand der Rechtsprechung des BFH. Aber auch schon aus dem Gesetz, § 183 Abs. 2 AO, ergibt sich, dass ein Feststellungsbescheid dann gesondert bekanntzugeben ist, wenn der Finanzbehörde bekannt ist, dass Streitigkeiten zwischen den Gesellschaftern bestehen. Auf dieses Thema ging das Finanzgericht in seiner Entscheidung schon gar nicht mehr ein.
Das Finanzgericht wies die Revision zum Bundesfinanzhof nicht zu. Wir haben daher davon abgesehen, für die Geschäftsführer in dieser Angelegenheit weiter tätig zu werden. Die Entscheidung des Finanzgerichts ist, auch wenn wir sie für falsch halten, jetzt rechtskräftig.
Quintessenz auch hier leider: Die Maßstäbe, die die Finanzverwaltung gerne an die Steuerpflichtigen angelegt und bei deren Verletzung Steuerpflichtige schnell kriminalisiert werden, gelten natürlich für die Finanzverwaltung nicht. Die Finanzverwaltung darf vielmehr Fehler ohne Ende machen, ohne die Konsequenzen dafür tragen zu müssen. Wer aber, ein Steuerpflichtiger macht etwas falsch. Dann droht sofort die Steuerfahndung. Auf dem Finanzgericht ersparen wir nicht den Hinweis, dass es sich die Sache nach unserer Auffassung einfach gemacht und nicht alle Facetten der Angelegenheit ausgeleuchtet hat. Schade.
Alle Jahre wieder sehen Wähler erstaunt, dass Politiker vor den Wahlen ihre mehr oder weniger guten Ideen zur Zukunft unseres Landes ausbreiten. Dabei sind die Politiker bemüht, ihr Klientel zu mobilisieren, indem sie deren Wünsche bedient. Ein immer wieder beliebtes Thema sind die Steuern. Besonders beliebt ist es bei vielen Wählern, wenn lautstark Steuererhöhungen bei den Steuern gefordert werden, die das eigene Klientel nicht zu zahlen hat. Das ist bei der Erbschaftsteuer so, aber auch bei der Vermögensteuer, die es aktuell zwar nicht gibt, deren Einführung von vielen Politkern auf den Tisch gebracht wird.
Wer bislang geglaubt hat, dass das bürgerliche Lager das unüberwindliche Bollwerk gegen solche Überlegungen darstellt, der befindet sich, wenn er sich das Thema genau ansieht, im Irrtum. So war auch von Friedrich Merz im Handelsblatt vom 21.05.2021 zu lesen:
„Ich stehe einer höheren Erbschaftsteuer offen gegenüber. In der Folge einer Reihe von Verfassungsgerichtsurteilen müsse ein beträchtlicher Erbschaftsteil für Familien steuerfrei bleiben. Wenn das darüber hinausgehende Vermögen mit niedrigen Steuersätzen breiter besteuert werden soll, kann man darüber reden.“
Wir müssen uns also darauf einstellen, dass die neue Regierung, wie auch immer sie aussieht, nicht zuletzt wegen der Belastungen durch COVID 19 und der Flutkatastrophe, an der Steuerschraube drehen wird. Daher werden wir mit Erhöhungen der Erbschaftsteuer und der Einkommensteuer rechnen müssen. Bei der Einkommensteuer könnte es z.B. sein, dass die Spekulationsfrist von 10 Jahren ganz abgeschafft wird.
Was heißt das? Das heißt, dass insbesondere das Übertragen von Vermögen auf die Kinder gar nicht früh genug erfolgen kann. Denn wir müssen hier nicht nur Änderungen des ErbStG zum Nachteil der Bürger fürchten (z.B. könnten die Freibeträge nur noch alle 20 statt bisher 10 Jahre „erneuert“ werden), sondern mit höheren Steuern aus tatsächlichen Gründen rechnen. Ich nenne hier nur die in den letzten 5 Jahren massiv gestiegenen Werte für Grundbesitz.
Das bedeutet: Warten bringt nix, jeder Steuerpflichtige muss das Thema der Vermögensnachfolge aktiv angehen, um Steuern, die ganz legal nicht gezahlt werden müssen, auch wirklich nicht zu zahlen. Dazu gehört es insbesondere, dieses Thema durchdacht und zügig anzugehen.
nws
Mit Beschluss vom 08.07.2021 (1 BvR 2422/17) hat das Bundesverfassungsgericht über die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Höhe von Nachzahlungs- und Erstattungszinsen (§ 233a AO) i.H.v. 6% p.a. entschieden. Kurz gefasst hat das Gericht folgendes beschlossen:
Für die Jahre 2010 bis 2013 hält das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) die Höhe der Zinsen noch als verfassungsgemäß. Ab 2014 ist die Regelung dagegen verfassungswidrig. Allerdings erklärt das Gericht die aktuellen Regeln mit den hohen Zinsen für die Jahre bis 2018 für weiterhin anwendbar. Erst für Verzinsungszeiträume, die in das Jahr 2019 und später fallen, darf das bisherige Recht nicht mehr angewendet werden. Das Gericht hat den Gesetzgeber verpflichtet, bis zum 31.07.2022 für die Zeiträume ab dem Jahr 2019 eine verfassungsgemäße Neuregelung zu treffen.
Die Entscheidung ist zu begrüßen. Allerdings ist es für die Steuerpflichtigen enttäuschend, dass der ihnen gewährte Rechtsschutz für die Jahre 2014 bis 2018, also immerhin für 5 Jahre, trotz der von dem Gericht festgestellten Verfassungswidrigkeit im Ergebnis leerläuft. Denn trotz der Verfassungswidrigkeit erhält kein Steuerpflichtiger die verfassungswidrig erhobenen Zinsen erstattet. Das ist ein trauriger Befund.
nws
Die Verfahrensordnungen mittlerweile aller Gerichtszweige ermöglichen es seit nunmehr rund 20 Jahren, an mündlichen Verhandlungen auch im Wege der Videokonferenz teilnehmen zu können. Schon vor der Corona – Pandemie war es erschreckend, wie wenig Gerichte in der Realität von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht haben. Nur eine verschwindend geringe Zahl an Gerichten verfügt überhaupt über die technischen Möglichkeiten, eine solche Videokonferenz durchzuführen.
Hier ist besonders das Finanzgericht in Münster zu loben. Es hat von Anfang an die Möglichkeit der Videokonferenz konsequent genutzt. Das Finanzgericht bietet auch Erörterungstermine im Wege der Videokonferenz an. Erst vor kurzem hatten wir einen solchen Termin. Der Berichterstatter hatte den Termin hervorragend vorbereitet und durchgeführt. Das Finanzgericht Münster gehört damit leider zu den ganz wenigen Gerichten in der Bundesrepublik, die diese Technik aktiv einsetzt. Die meisten anderen Gerichte befinden sich insoweit noch im tiefsten Dornröschenschlaf.
Wer jetzt gedacht hätte, dass die Corona-Pandemie, die zu einem wahren Boom bei den Anbietern von Videokonferenzsystemen geführt hat, wegen der angeordneten Reduzierung der persönlichen Kontakte auch die Justiz dazu bewegt hätte, verstärkt auf den Einsatz von Videokonferenzen zu setzen, der sieht sich getäuscht. Auch heute, nach über einem Jahr in der Corona Pandemie, verfügt die weitaus überwiegende Mehrheit der Gerichte noch nicht einmal über ein solches System. Und die wenigen Gerichte, die über ein solches System verfügen, lehnen, von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, Videokonferenzen durchweg ab. Die Ablehnung wird häufig damit begründet, dass das Verfahren für eine Videokonferenz nicht geeignet sei. Für mich hat sich bis heute nicht erschlossen, warum dieses Argument stichhaltig ist. Gerichte, die Anträge auf die Durchführung von Videokonferenzen ablehnen, müssen sich mit den Ablehnungen aber keine große Mühe machen. Die Beschlüsse sind nicht anfechtbar.
Stattdessen muten Gerichte es den Parteien und ihren Prozessbevollmächtigten noch immer zu, Anfahrtswege von bis zu 600 km (eine Strecke) an einem Tag auf sich zu nehmen, um an einer Verhandlung teilzunehmen, die vielleicht 30 – 120 Minuten dauert. Würde man hier die Maßstäbe des Arbeitszeitgesetzes ansetzen, müssten Rechtsanwälte die Teilnahme an solchen Verhandlungen als gesetzeswidrig ablehnen. Leider besteht auch nicht immer die Möglichkeit, auf öffentliche Verkehrsmittel zurückzugreifen. So ist beispielsweise das Landgericht in Weiden in der Oberpfalz mit öffentlichen Verkehrsmitteln nur sehr schlecht zu erreichen. Hier bleibt also keine andere Wahl, als die eigentlich unzumutbare An- und Abreise mit dem Pkw und damit über 1.000 km an einem Tag auf sich zu nehmen.
Diese von uns als „Verweigerungshaltung“ wahrgenommene Einstellung vieler Gerichten erstaunt angesichts der Tatsache, dass im Interesse des Klimaschutzes und der Umwelt Fahrten mit dem Pkw in anderen Bereichen möglichst vermieden werden sollen. All das gilt scheinbar nicht, wenn Rechtsanwälte und Parteien im Namen der Justiz unterwegs sind.
Wir können uns in diesem Zusammenhang auch nicht des Eindrucks erwehren, dass die geringe Verbreitung der Videokonferenztechnik auch auf eine in der Richterschaft anzutreffende Bequemlichkeit zurückzuführen ist. Populistisch gesprochen ist es für einen Richter, der klimapolitisch korrekt mit dem Fahrrad zum Gericht radelt, ja auch einfacher, die Parteien und ihre Prozessbevollmächtigte vor Gericht „erscheinen“ zu lassen als sich mit der Videokonferenztechnik herumzuärgern.
All das deutet darauf hin, dass die Justizverwaltung dem Einsatz der Videokonferenztechnik keine hohe Priorität einräumt. Insgesamt ist das leider ein erschreckendes Beispiel dafür, dass zwar viel von Digitalisierung gesprochen wird, die Praxis aber zeigt, dass Deutschland in diesem Bereich sicherlich keinen der vorderen Ränge im internationalen Bereich besetzt.
ws
Zu den Einkünften aus Kapitalvermögen gehören auch die realisierten Wertveränderungen (Gewinne oder Verluste) aus der Veräußerung von Kapitalanlagen, z.B. Aktien. Das gilt unabhängig von einer Spekulationsfrist. Sie unterliegen in vollem Umfang und unabhängig von einer Haltefrist der Besteuerung. Nach § 20 Abs. 6 Satz 2 EStG dürfen solche Verluste nur mit sonstigen positiven Einkünften aus Kapitalvermögen ausgeglichen werden. Eine weitere Einschränkung der Verlustverrechnung gilt für Verluste aus der Veräußerung von Aktien. Diese dürfen nach § 20 Abs. 6 S. 5 EStG nicht mit anderen positiven Einkünften aus Kapitalvermögen, sondern nur mit Gewinnen, die aus der Veräußerung von Aktien entstehen, ausgeglichen werden.
Der Bundesfinanzhof ist mit seinem Beschluss vom 17. November 2020, VIII R 11/18, zu dem Ergebnis gelangt, dass die eben genannte Regelung in § 20 Abs. 6 EStG einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG bedeutet und damit verfassungswidrig ist. Das Gesetz behandele Steuerpflichtige, die Verluste aus der Veräußerung von Aktien erlitten haben, ohne rechtfertigenden Grund anders als Steuerpflichtige, die Verluste aus der Veräußerung anderer Kapitalanlagen erzielt haben.
Wir dürfen auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gespannt sein. Wir halten den Beschluss und die Auffassung des Bundesfinanzhofes für zutreffend. Steuerfestsetzungen sollten, soweit noch möglich, mit Einspruch angefochten werden. Bei Steuerfestsetzungen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung nach § 164 AO empfehlen wir, einen Änderungsantrag zu stellen, um den Eintritt der Festsetzungsverjährung und die damit verbundenen Nachteile zu vermeiden.
ws
Diese Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs bestätigende Entscheidung wird den Finanzbehörden nicht gefallen. Der Steuerpflichtige darf seine Verhältnisse grundsätzlich so gestalten, dass keine oder möglichst geringe Steuern anfallen und dabei zivilrechtliche Gestaltungen, die vom Gesetz vorgesehen sind, frei verwenden. Eine rechtliche Gestaltung ist erst dann unangemessen, wenn der Steuerpflichtige nicht die vom Gesetzgeber vorausgesetzte Gestaltung zum Erreichen eines bestimmten wirtschaftlichen Ziels gebraucht, sondern dafür einen ungewöhnlichen Weg wählt, auf dem nach den Wertungen des Gesetzgebers das Ziel nicht erreichbar sein soll. Eine Gestaltung, die überhaupt keinen erkennbaren wirtschaftlichen Zweck hat, kann der Besteuerung nicht zugrunde gelegt werden (z.B. Urteile des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 19.01.2017 – IV R 10/14, BFHE 256, 507, BStBl II 2017, 466; vom 08.03.2017 – IX R 5/16, BFHE 257, 211, BStBl II 2017, 930; vom 12.06.2018 – VIII R 32/16, BFHE 262, 74, BStBl II 2019, 221).
Im Streitfall ging es um die Frage, ob eine von dem Steuerpflichtigen gewählte Gestaltung zur Verlustnutzung ein Missbrauch im Sinne von § 42 AO war. Dazu stellt der Bundesfinanzhof in seiner Entscheidung vom 17. November 2020 klar:
„Gestaltungen, die darauf abzielen, dem Steuerpflichtigen die Nutzung eines von ihm erwirtschafteten Verlusts zu ermöglichen, sind in der höchstrichterlichen Rechtsprechung in zahlreichen Entscheidungen nicht als rechtsmissbräuchlich bewertet worden (z.B. Senatsurteile vom 19.08.1999 – I R 77/96, BFHE 189, 342, BStBl II 2001, 43, zur inkongruenten Gewinnausschüttung mit nachfolgender inkongruenter Wiedereinlage; vom 17.10.2001 – I R 97/00, BFHE 197, 63, zur Verlagerung von Zinserträgen; BFH-Urteile vom 29.05.2008 – IX R 77/06, BFHE 221, 231, BStBl II 2008, 789, zur Veräußerung von GmbH-Anteilen an eine beteiligungsidentische GmbH; vom 07.12.2010 – IX R 40/09, BFHE 232, 1, BStBl II 2011, 427, zur ringweisen Anteilsveräußerung; vom 04.12.2014 – IV R 28/11, BFH/NV 2015, 495, zur inkongruenten Gewinnausschüttung; abgrenzend dazu BFH-Urteil vom 18.03.2004 – III R 25/02, BFHE 205, 470, BStBl II 2004, 787, Rz 110, zur Zwischenschaltung einer mit Verlustvorträgen “ausgestatteten” GmbH bei Grundstücksgeschäften). Da das Herbeiführen eines Verlustausgleichs im Kern mit den gesetzlichen Zielsetzungen (Leistungsfähigkeitsprinzip, § 10d EStG) übereinstimmt, ist der Senat zudem davon ausgegangen, dass entsprechende Gestaltungen grundsätzlich nicht durch weitere außersteuerliche Motive gerechtfertigt werden müssen (Senatsurteile in BFHE 189, 342, BStBl II 2001, 43; in BFHE 197, 63).
Im Streitfall diente die Gestaltung im Kern der Nutzung des Verlustvortrags, der sich bei der Klägerin infolge des ausbleibenden wirtschaftlichen Erfolgs aufgebaut hatte. Die Gestaltung kann daher nicht als unangemessen beurteilt werden.
Ob zur Verlustnutzung getroffene Gestaltungen einer Prüfung am Maßstab des § 42 AO standhalten, hängt zunächst von der Qualität der betroffenen Verluste ab. So sind die bei einer auf Einkünfteerzielung gerichteten Tätigkeit selbst erwirtschafteten Verluste anders zu behandeln als auf dem Markt “eingekaufte” Fremdverluste (Mantelkaufgestaltungen). Verluste, die auf der Inanspruchnahme steuerlicher Subventions- und Lenkungsnormen (z.B. Sonderabschreibungen) beruhen, haben wiederum eine andere Qualität.
Im Streitfall hat die Klägerin “echte” betriebswirtschaftliche Verluste erzielt, deren steuerliche Effektuierung grundsätzlich nicht zu beanstanden ist.
Die von der Steuerrechtsordnung grundsätzlich gebilligte Nutzbarmachung von Verlusten besteht darin, dass die Verluste mit positiven Einkünften verrechnet werden. Die dadurch bewirkte Minderung der steuerlichen Bemessungsgrundlage führt aus Sicht des Fiskus zu einer Mindersteuer, weil die positiven Einkünfte seinem Besteuerungszugriff entzogen werden. Auf Seiten des Steuerpflichtigen bewirkt die mit der Verlustnutzung einhergehende Mindersteuer eine Verbesserung der Liquidität.“
Die Entscheidung des Bundesfinanzhofs ist konsequent und für alle Steuerpflichtigen zu begrüßen. Leider müssen wir unserer Praxis immer wieder feststellen, dass die Finanzbehörden diese Grundsätze des Bundesfinanzhofes nicht akzeptieren, sondern häufig als Gestaltungsmißbrauch im Sinne von § 42 AO und sogar als strafbare Steuerhinterziehung eingeordnet werden. Wir werden unsere Mandanten dagegen konsequent schützen und gegen Beamte, die die ihnen vom Gesetz gezogenene Grenzen als Amtsträger überschreiten, auch strafrechtlich zur Verantwortung ziehen lassen .
ws