Kategorien-Archiv Zivilprozeßrecht

VonProf. Dr. Wolfgang Sturm

Die lieben Fristen, E-Mails und Gerichte – warum einfach, wenn’s auch schwer geht – die Entscheidungen des BGH vom 04.11.2014 – II ZB 25/13 und vom 18.03.2015 – XII ZB 424/14)

BVerfGFristwahrende Schriftsätze müssen unterschrieben sein. Die elektronische Form (sie setzt eine qualifizierte elektronische Signatur voraus) ersetzt die Schriftform. Die Schriftform wird auch durch ein unterzeichnetes Telefax gewahrt, wenn die Seite mit der Unterschrift vor Fristablauf bei dem Gericht eingeht. Die Schriftform wird dagegen durch ein Telefax nicht gewahrt, wenn das Telefax nicht unterschrieben, sondern die Unterschrift dort (nur) eingescannt oder mit einem Faksimilestempel aufgebracht ist. Der Grund für den kleinen aber feinen Unterschied ist nachvollziehbar: Es geht darum sicherzustellen, dass die beim Gericht eingereichte Urkunde wirklich auf Veranlassung des Absenders erstellt worden ist, und dass es sich nicht um einen Entwurf handelt. Es geht also darum die Identität des Urhebers feststellen zu können.

Wird ein im Original eigenhändig unterzeichneter Schriftsatz eingescannt und sodann als Anhang zu einer E-Mail als PDF-Datei an ein Gericht verschickt, genügt nach der Rechtsprechung der Ausdruck einer auf diesem Weg übermittelten Datei der Schriftform. Das bestätigen die beiden Entscheidungen des BGH vom 04.11.2014 und vom 18.03.2015. Für die Wahrung der Frist maßgebend ist aber nach den Entscheidungen des BGH nicht der Eingang der E-Mail bei dem Gericht, sondern der Zeitpunkt, zu dem die PDF-Datei mit der Unterschrift von dem Gericht ausgedruckt wird. In der Entscheidung des BGH vom 04.11.2014 hatte der Kläger leider Pech. Der Ausdruck seiner vor Fristablauf eingegangenen PDF-Datei erfolgte erst nach Fristablauf.

Die von dem BGH vorgenommene Differenzierung ist nur auf den ersten Blick in sich stimmig. Aus unserer Sicht sprechen die besseren Argumente dafür, für die Wahrung der Frist den Eingang der E-Mail mit der PDF-Datei als maßgebend und ausreichend anzusehen. Der Ausdruck der Datei mit der Unterschrift ist ein rein technischer Vorgang, auf dessen Zeitpunkt der Absender keinen Einfluss hat. Er kann nicht wissen, wann das Gericht die Datei ausdruckt. Die Anforderung des BGH führt zu einer Verkürzung der jeweils um 24:00 Uhr ablaufenden Frist. Denn um diese Zeit wird niemand im Gericht sein, um den Ausdruck der Schriftsätze vorzunehmen. Die Lösung des BGH passt auch nicht zu den Grundsätzen des BGH zur Fristwahrung durch Schriftsätze, die per Telefax an Gerichte geschickt werden. Häufig werden diese Schriftsätze heute gar nicht mehr, wie früher üblich, sofort – passend zum Versand – auf einem Empfangsgerät bei dem Gericht ausgedruckt, sondern dort zumindest zunächst digital gespeichert, und erst später ausgedruckt. Dennoch lässt der BGH auch in diesen Fällen für die Fristwahrung den Eingang des Telefaxes bei Gericht ausreichen. Auf den Ausdruck des Telefaxes stellt der BGH dagegen in diesen Fällen nicht ab. Die soeben beschriebene technische Handhabung des Eingangs von Telefaxen bei vielen Gerichten unterscheidet sich dann aber nicht von dem Eingang einer E-Mail bei Gericht mit einer angehängten PDF Datei, die ein eingescanntes Dokument mit Unterschrift enthält, und die erst später ausgedruckt wird.

Es sprechen daher nach unserer Auffassung die besseren Argumente dafür, auch im Falle des Eingangs von E-Mails nebst PDF-Datei den Eingang der E-Mail bei Gericht für die Fristwahrung ausreichen zu lassen.

Für die Praxis allerdings bleibt es bei der Empfehlung, keine Experimente zu unternehmen, sondern auch hier den sichersten Weg zu wählen: Entweder Versand fristwahrender Schriftsätze per Telefax, und zwar so rechtzeitig, dass notfalls der fristwahrende Eingang auf anderem Wege sichergestellt werden kann, oder aber Versand per EGVP mit qualifizierter elektronischer Signatur. Vorsicht Falle: bei dem Versand per EGVP ist immer zu prüfen, ob das jeweilige Gericht überhaupt an dem Verfahren teilnehmen. Jedenfalls in Nordrhein-Westfalen ist die Zahl der teilnehmenden Zivilgerichte außerordentlich gering.
WS

VonProf. Dr. Wolfgang Sturm

Die „Steinzeitjustiz“ des BGH und die lieben Fristen; muss ein Anwalt bis 24:00 Uhr versuchen, ein fristwahrendes Telefax zu versenden? „Lassen Sie es nicht so weit kommen“ – BGH – Beschluss vom 04.11.2014 (II ZB 25/13)

BVerfGDie von Gerichten an die Anwaltschaft gestellten Anforderungen erstaunen die eigentlich nicht für ausgeprägte Faulheit bekannte Anwaltschaft immer wieder. Schnell können Rechtsanwälte da zum Opfer eines angesichts der in Gerichten vorgehaltenen Technik nur als „Steinzeitjustiz“ zu bezeichnenden Standards werden. Bekanntlich gibt es zwar das EGVP schon seit über 10 Jahren. Es ist aber ein mehr als nur trauriger Befund, dass auch heute noch nur eine verschwindend geringe Anzahl von Zivilgerichten an diesem System teilnimmt. Wer also Schriftsätze fristwahrend am letzten Tag an ein Zivilgericht schicken möchte, der läuft erhebliche Gefahr, in die Falle der Steinzeitjustiz zu geraten. Wenn er wegen des um 24:00 Uhr drohenden Fristablaufs darauf angewiesen ist, den Schriftsatz noch am Tag des Fristablaufs so zum Gericht zu befördern, dass dort auch die letzte Seite des fristwahrenden Schriftsatzes mit der Unterschrift eingeht, dann hat er neben der Möglichkeit des persönlichen Einwurfs oder des Einwurfs durch Boten nur die heute schon sehr steinzeitmäßig anmutende Möglichkeit, den Schriftsatz per Telefax zu versenden. Wer nutzt so etwas heute noch intensiv?

Wie gleich zu zeigen sein wird, hat der BGH in seiner Entscheidung vom 4. November 2014 zwar die Möglichkeit zugelassen, den fristwahrenden Schriftsatz auch per E-Mail zu übersenden. Die Frist ist aber – warum eigentlich? – nur dann gewahrt, wenn der Ausdruck der Anlage zu der E-Mail vor Fristablauf erfolgt. Und da zeigen sich ganz deutlich die Unterschiede zwischen Anwaltschaft und Gericht. Wer als Anwalt gegen 21:00 Uhr am Tag des Fristablaufs entnervt den Faxversand wegen der Dauerbelegung des einen Telefaxanschluss des Gerichts aufgibt, sollte nicht glauben, dass der Versand des Schriftsatzes als Anlage zu der einer E-Mail fristwahrend ist. Das wäre er zwar, wenn die Anlage vor Fristablauf ausgedruckt würde. Ein Ausdruck um 21:00 Uhr wird aber bei keinem Gericht in der Bundesrepublik mehr erfolgen.

Der BGH hatte über folgenden Sachverhalt zu entscheiden: Der Rechtsanwalt hatte einen fristgebundenen Schriftsatz an das Berufungsgericht schicken wollen. Die einzige Telefaxnummer des Gerichts war aber lange Zeit besetzt. In seiner Not verschickte der Rechtsanwalt den Schriftsatz am Tage des Fristablaufs kurz vor 19:00 Uhr als Anlage per E-Mail an das Berufungsgericht. Dort wurde die Anlage am Tag nach Fristablauf ausgedruckt. Der BGH kam in seinem Beschluss zu dem Ergebnis, der Rechtsanwalt habe den Faxversand „schuldhaft vorschnell aufgegeben“. Ob der Anwalt gehalten gewesen wäre, die Übermittlungsversuche gegebenenfalls bis 24:00 Uhr fortzusetzen, ließ der BGH dagegen ausdrücklich offen. Auf jeden Fall sei eine Beendigung der Versuche kurz nach 19:00 Uhr vorschnell gewesen. Dem Antrag auf Wiedereinsetzung gab der BGH nicht statt.

Für die Praxis kann man nur die einfach zu befolgende Empfehlung aussprechen, Fristen nicht am letzten Tag, sondern nach Möglichkeit spätestens eine Woche vor Fristablauf zu erledigen. Dann wird man in die hier geschilderte Problematik nicht hineingeraten. Wenn aber Gesetzgeber und Gerichte es mit den Fristen ernst meinen, und es auch verständlicherweise zugelassen ist, eine Frist bis zur letzten Sekunde auszunutzen, dann darf dies nicht durch überspannte Anforderungen an das Einhalten von Fristen in Fällen der hier geschilderten Art konterkariert werden. Im Alltag eines Anwalts gibt es eine Vielzahl von Haftungsfallen, und die Hektik und der Stress sind allegegenwärtig. Auch Anwälte sind keine Maschinen. Wir haben den Eindruck, dass dieser Aspekt bei Entscheidungen der Gerichte, die wie dieser hier Schadensersatzansprüche nach sich ziehen, nicht ausreichend berücksichtigt wird.
ws

VonProf. Dr. Wolfgang Sturm

„Ein Mensch, der sich ein Schnitzel briet, bemerkte, dass es ihm mißriet. Doch weil er es sich selbst gebraten, tat er, als sei es ihm geraten“. Warum Richter und Anwälte Vergleiche lieben

Das Zitat von Eugen Roth passt einmal mehr wie die Faust auf’s Auge. Die Mediation und die Streitvemeidung sind en vogue. Das ist grundsätzlich gut so, ist aber letzlich nur alter Wein in neuen Schläuchen. Jeder seriöse Berater wird seinen Mandanten nicht in einen Streit treiben, sondern immer eine Einigung anstreben. Wenn es dann aber nur um eines Vergleichs willen zu Auswüchsen kommt, die dazu führen, dass das Recht kein Recht mehr ist, dann ist die Grenze des Erträglichen überschritten. Leider gehört es zu täglichen Praxis nicht weniger Gerichte, Prozesse nicht lege artis zu führen, sondern die Parteien um jeden Preis zu einem Vergleich zu bringen. Manches, was bei Gerichten geboten wird, ist schon fast Rechtsverweigerung. Ein Vergleich spart das Urteil und damit die Arbeit; das kann schon dazu verleiten, es mit der eigentlichen Arbeit nicht so genau zu nehmen, sondern den „Aufhänger“ zu suchen, an dem man einen Vergleich aufziehen kann. Irgendein Haar in der Suppe wird man schon finden, und sein es noch so sehr „an den Haaren herbeigezogen“. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Und für die Anwälte hat so ein Vergleich auch etwas Gutes: ein schnelles Ende macht einen Prozess bei Abrechnung nach Gebührenordnung, bei dem die Zeit und damit der Einsatz des Anwalts absurderweise nicht relevant sind, lukrativer als ein zu Ende geführter Prozess. Da kann es dem einen oder anderen Kollegen schon mal passieren, das Honorarinteresse über das Interesse des Mandanten zu stellen. Und auch die Kolklegen, die handwerklich schlecht arbeiten, haben nichts gegen Vergleiche einzuwenden. Denn wenn erst einmal das vernichtende Urteil im Haus ist, sieht es schlecht aus. Selbst die Aussicht auf die Berufung ist dann kein Trost, wenn des Mandant wegen des klaren Urteil die Fehler des eigenen Anwalts erkennt und der für die Berufung das Büro wechselt.

Nicht dass wir uns falsch verstehen. Ein Vergleich kann die Wahl der Wahl sein. Ob das aber so ist, hängt davon ab, dass der Mandant alle Chnacen und Risiken des Streits kennt; nicht nur die rechtlichen, sondern auch die wirtschaftlichen. Und da stellen wir immer wieder fest, dass den Mandanten ein Vergleich nicht erklärt, sondern schöngeredet wird. Mandanten erkennen das im Zeitalter des internets immer häufiger., und das ist auch gut so. Am Ende des Tages ist Geiz eben nicht geil. Richtige gute Qualität ist eben nicht zum Discounttarif zu haben.
ws

VonProf. Dr. Wolfgang Sturm

Rechtsbehelfsbelehrung ab 2013 auch im Zivilprozess – Erste Hilfe für den Bürger, keine Entlastung für die Anwälte (m/w); das „Trüffelschwein“ ist weiter gefragt

Die ZPO sieht im Regelfall keine „Rechtsbehelfsbelehrung“ vor. Es ist daher Sache der Parteien oder der Anwälte, das zulässige Rechtsmittel einzulegen. Und da kann man die tollsten Geschichten erleben. In anderen Verfahrensordnungen, wie zum Beispiel der VwGO (§ 117 Abs. 2 Nr. 6 VwGO) oder der FGO (§ 105 Abs. 2 Nr. 6 FGO) dagegen sind solche „Belehrungen“ Standard. Das soll jetzt geändert werden. Auch die ZPO soll nach dem Willen des Gesetzgebers Regelungen zu dem jeweils zulässigen Rechtsmittel erhalten.

Was für ein Fortschritt! Allerdings wäre es ja zu einfach, dies so zu regeln wie in der VwGO oder der FGO. Nein, die Rechtsbehelfsbelehrung soll nicht etwa Anwälten das Einlegen von Rechtsmitteln erleichtern. Sie soll allein anwaltlich nicht vertretenen „Bürgern“, wie es die Bundesregierung nennt, die Orientierung erleichtern, um unzulässige Rechtmittel der „Bürger“ zu vermeiden. Deshalb soll nach der ZPO –  Novelle nur in den Verfahren, in denen eine anwaltliche Vertretung nicht vorgeschrieben ist, der „Bürger“ über Form, Frist und zuständiges Gericht für das Rechtmittel zukünftig durch eine Rechtsbehelfsbelehrung unterrichtet werden. Das Gesetz soll Anfang 2013 in Kraft treten.

Uns Anwälten bleibt es also künftig weiterhin nicht erspart, in etwas weniger erforschten Gebieten wie ein Trüffelschwein das zulässige Rechtsmittel zu finden.

VonProf. Dr. Wolfgang Sturm

Gutes Benehmen bei Anwälten ist Glücksache – schlechtes Benehmen dagegen Absicht und hat Methode; kann ein Antrag auf Terminverlegung schamlos sein? das kommt darauf an; hier wohl schon – Geschichten aus Ostwestfalen-Lippe

Der Ruf der Anwaltschaft ist nicht durchgängig schlecht, es gibt aber immer wieder Vertreter der Zunft (m/w), die es mit Gewalt darauf anlegen, sich selbst in ein schlechtes Licht zu rücken und damit der ganzen Anwaltschaft einen Bärendienst zu erweisen. „Winkeladvokaten“ sollte man diese  Kollegen (m/w – das gilt aber hier immer, ohne dass wir es ausdrücklich erwähnen) nicht mehr nennen, nach einer kürzlich veröffentlichten Entscheidung eines (humorlosen?) Gerichts aus dem rheinischen Raum (wir berichteten an dieer Stelle darüber) kann das Ärger geben ; aber „Rabulist“ passt auch gut.

Gutes Benehmen ist bei dieser Spezies wirklich absolute Glücksache, denn Absicht kann gutes Benehmen bei den Vertretern dieser Zunft nicht sein. Wer sich jetzt fragt, wie sich das schlechte Benehmen dieser Spezies im Alltag zum Ärger der übrigen Teilnehmer am Geschehen auswirkt, dem sei das folgende Beispiel nahegebracht: Vor einem Landgericht, nennen wir es einmal mit dem Fantasienamen „Detmold“, fand im November 2011 eine mündliche Verhandlung statt. Der Anwalt der Beklagtenseite bestritt alles, auch den ungünstigen mündlichen Vortrag der eigenen Partei in der Verhandlung. Vergleichsbemühungen scheiterten, der Kollege (m) verkündete mit großer Geste, es sei ein Einfaches, sich in 20 Minuten außergerichtlich zu einigen. Wegen der Liquidität der beklagten Gesellschaft müsse man aber noch mit dem Steuerberater sprechen (??!!). Dass die Beklagte „klamm“ zu sein schien, war schon vor dem Rechtsstreit klar, aber eine solche Ausrede hatten wir bis dato auch noch nie gehört.

Ach ja, dass die Vergleichsgespräche scheiterten, oder besser gesagt, mangels ernsthaften Interesses der Gegenseite gar nicht erst begannen, hatte ich schon erwähnt? Egal, das folgt ja auch schon aus dem Kontext. Wer jetzt froher Hoffnung war, das Gericht werde auf unseren Antrag hin zügig einen neuen Termin anberaumen, um zu entscheiden, der sah sich getäuscht. Im Januar terminierte das Gericht auf Mitte April 2012. Im März erhielten wir die Ladung zu einem kollidierenden Termin bei einem anderen Landgericht, das von unserer Kanzlei 300 km entfernt ist (und natürlich nicht über eine Videokonferenzanlage verfügt). Also haben wir den später bekannt gewordenen Termin vor dem anderen Landgericht verlegen lassen (müssen). Denn wer zuerst kommt, mahlt zuerst.

Und jetzt kommt der Dreistigkeit des Kollegen Fortsetzung: ca. zwei Wochen vor dem Termin vor dem Landgericht, das wir Detmold genannt hatten, beantragte er Verlegung des Termins wegen eines kollidierenden Termins vor einem in der Nähe liegenden anderen Gericht. Ein Schelm, wer sich denkt, das hätte der Kollege doch früher beantragen können. Ach ja, dann hätte der Kollege das ja auch früher wissen müssen. Das war nicht so ? ja klar, man schaut ja nicht über den Tellerrand, und den Termnkalender hat man nur für heute im Blick. Gut, dass es Mitarbeiter gibt, die nicht schon bei dem Eintragen der Termine Kollisionen feststellen, sondern so ca. ein bis zwei Wochen vor der Kollision (bis jetzt ist ja alles gut gegangen).  Natürlich gab er der Kollege in seinem Antrag die Terminsstunde nicht an (lag überhaupt eine Kollision vor?), erläuterte nicht, dass er die Ladung zu dem angeblich kollidierenden Termin vor der Ladung zu unserem erhalten hat (wer zuerst kommt, mahlt zuerst). Auch gab es keine Begründung, warum aus der „Schar“ der aus dem Briefbogen ersichtlichenAnwälte nicht auch nur ein anderer den Termin, dessen Verlegung er beantragte, nicht hätte wahrnehmen können. Vermutlich wird der Kollege (in freundlicherer Form) sagen, dass außer ihm dort nur Idioten arbeiten. Ohne all diese auf der Hand liegenden Dinge zu erfragen, verlegte das Landgericht (wir hatten es Detmold genannt) den Termin auf Ende Juli.

Der Kollege aber hat mit seinem schamlosen Verhalten alles richtig gemacht: seinem vermutlich „klammen“ Mandanten hat er von November bis Juli, also volle acht Monate, Luft verschafft. Der Dank des Mandanten ist ihm sicher. Dass andere dabei erhebliche Nachteile haben und zum Narren gehalten werden, ist natürlich ohne jedes Interesse. Man vertritt ja nur die Interessen des eigenen Mandanten, auch wenn es schamlos ist. Das Landgericht hat auf unsere Intervention und unsere monita hin den Kollegen immerhin zur Stellungnahme aufgefordert. Wir sind gespannt, was für eine Geschichte er sich einfallen lassen wird. Wir werden berichten. Es ist aber zu vermuten, dass auch diese Geschichte entweder in „Lustige Taschenbücher“ oder in „die tollsten Geschichten von Donald Duck“ Aufnahme finden wird.

VonProf. Dr. Wolfgang Sturm

Ich glaub mich tritt ein Pferd: die Überraschungsentscheidung der Woche: AG Lemgo spricht Klägerin trotz Pflicht zur Nacherfüllung Vergütungsanspruch zu

Das AG Lemgo brauchte sage und schreibe drei mündliche Verhandlungen, zwei Termine zur Vernehmung von Zeugen, wechselte zur Frage der Rügepflicht nach HGB mehrmals die Rechtsauffassung und erließ danach in einem Rechtsstreit (1.200 €), ein Urteil, das sicher beide Parteien überrascht haben wird.

Worum ging es ? Die Beklagte hatte bei der Klägerin eine („Ziehharmonika“)Abdeckung für eine Maschine bestellt. Die Klägerin sah sich die Maschine an und unterbereitete der Beklagten ein Angebot, das diese annahm. Nach Anlieferung und Montage der Abdeckung stellte sich heraus, dass diese zu kurz war. Die Klägerin besserte nach und verlängerte die Abdeckung.  Vor dem AG stritten die Parteien darüber, ob für die Nachbesserung eine Vergütung fällig war oder ob es sich um eine nicht zu vergütende Nacherfüllung handelte. 

In seinem Urteil folgte das AG der Auffassung der Beklagten, dass die Nacherfüllung nicht vergütet werden müsse. Und jetzt die Überraschung: die Klägerin könne dennoch von der Beklagten eine Vergütung für Verlängerung  der Abdeckung beanspruchen, denn die Beklagte habe ja nicht bestritten, dass die Verlängerung die Abdeckung teurer gemacht habe.

Ähm, Räusper, was ist da denn los? wenn eine Partei geltend macht, für die Verlängerung schulde sie nichts, weil es sich um Nachbesserung gehandelt habe, und wenn sie Abweisung der Klage in vollem Umfang beantragt, dann hat sie mehr als deutlich gemacht, dass der Klägerin nichts zusteht. Wenn dann das Gericht in einem Beschluss noch ausdrücklich darauf hinweist, dass die Nacherfüllung kostenlos sei, dann kann man wirklich den Glauben an die Justuz verlieren.

Fazit: Das AG Lemgo ist nur noch Zugangsvoraussetzung für das LG Detmold. Wir sind gespannt, wie das LG entscheiden wird.

VonProf. Dr. Wolfgang Sturm

Auch nicht schlecht: Landgericht kennt eigenen Hinweis-und Auflagenbeschluss nicht – die Überraschungsentscheidung, die keine ist – so gießt man Wasser auf die Mühlen der Prozessverschlepper

Die  ZPO verbietet die Überraschungsentscheidung. Sedes materiae ist § 139 Abs. 2 ZPO. Danach darf das Gericht seine Entscheidung auf einen Gesichtspunkt,  den eine Partei erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten hat, nur stützen, wenn das Gericht darauf hingewiesen und Gelegenheit zur Äußerung dazu gegeben hat.

In einem von uns betreuten Klageverfahren hatte das Gericht den Widerkläger, der einen auf sehr abenteuerliche Weise berechneten Vergütungsanspruch als Testamentsvollstrecker geltend macht, mit einem Hinweis- und Auflagenbeschluss aus November 2011 nicht nur darauf hingewiesen, dass seine bisherige Berechnungsmethoden nicht zu akzeptieren seien. Es hatte ihm für den weiteren Vortrag eine großzügige Frist gewährt. Hinzu kam, dass wir in dem Verfahren mehrfach und ein OLG den Widerkläger in einem anderen Verfahren bereits 2010 darauf hingewiesen hatten, wie der Widerkläger seine Forderung zu berechnen habe. Sinnvoller Vortrag kam nicht.

In der weiteren mündlichen Verhandlung Anfang März 2012 meinte das Gericht auf unsere Frage nach der Abweisung der der Widerklage, es könne die Widerklage nicht abweisen, weil die Abweisung für den Widerkläger überraschend wäre. Das Gericht habe den Widerkläger auf den insoweit von ihm fehlenden Vortrag zur korrekten Berechnung nicht hingewiesen.

Dass das Gericht den Widerkläger aber bereits mit seinem eigenen Hinweis- und Auflagenbeschluss aus November 2011 nicht nur hingewiesen, sondern auch ausdrücklich zum Vortrag aufgefordert hatte, blieb dabei, aus welchem Grund auch immer, auf der Strecke. Über den weiteren Verlauf der Widerklage werden wir berichten. Wir haben dem Gericht vorsorglich ergänzend zur mündlichen Verhandlung noch einmal schriftlich dargelegt, warum die Abweisung der Widerklage nicht überraschend wäre.