Fristwahrende Schriftsätze müssen unterschrieben sein. Die elektronische Form (sie setzt eine qualifizierte elektronische Signatur voraus) ersetzt die Schriftform. Die Schriftform wird auch durch ein unterzeichnetes Telefax gewahrt, wenn die Seite mit der Unterschrift vor Fristablauf bei dem Gericht eingeht. Die Schriftform wird dagegen durch ein Telefax nicht gewahrt, wenn das Telefax nicht unterschrieben, sondern die Unterschrift dort (nur) eingescannt oder mit einem Faksimilestempel aufgebracht ist. Der Grund für den kleinen aber feinen Unterschied ist nachvollziehbar: Es geht darum sicherzustellen, dass die beim Gericht eingereichte Urkunde wirklich auf Veranlassung des Absenders erstellt worden ist, und dass es sich nicht um einen Entwurf handelt. Es geht also darum die Identität des Urhebers feststellen zu können.
Wird ein im Original eigenhändig unterzeichneter Schriftsatz eingescannt und sodann als Anhang zu einer E-Mail als PDF-Datei an ein Gericht verschickt, genügt nach der Rechtsprechung der Ausdruck einer auf diesem Weg übermittelten Datei der Schriftform. Das bestätigen die beiden Entscheidungen des BGH vom 04.11.2014 und vom 18.03.2015. Für die Wahrung der Frist maßgebend ist aber nach den Entscheidungen des BGH nicht der Eingang der E-Mail bei dem Gericht, sondern der Zeitpunkt, zu dem die PDF-Datei mit der Unterschrift von dem Gericht ausgedruckt wird. In der Entscheidung des BGH vom 04.11.2014 hatte der Kläger leider Pech. Der Ausdruck seiner vor Fristablauf eingegangenen PDF-Datei erfolgte erst nach Fristablauf.
Die von dem BGH vorgenommene Differenzierung ist nur auf den ersten Blick in sich stimmig. Aus unserer Sicht sprechen die besseren Argumente dafür, für die Wahrung der Frist den Eingang der E-Mail mit der PDF-Datei als maßgebend und ausreichend anzusehen. Der Ausdruck der Datei mit der Unterschrift ist ein rein technischer Vorgang, auf dessen Zeitpunkt der Absender keinen Einfluss hat. Er kann nicht wissen, wann das Gericht die Datei ausdruckt. Die Anforderung des BGH führt zu einer Verkürzung der jeweils um 24:00 Uhr ablaufenden Frist. Denn um diese Zeit wird niemand im Gericht sein, um den Ausdruck der Schriftsätze vorzunehmen. Die Lösung des BGH passt auch nicht zu den Grundsätzen des BGH zur Fristwahrung durch Schriftsätze, die per Telefax an Gerichte geschickt werden. Häufig werden diese Schriftsätze heute gar nicht mehr, wie früher üblich, sofort – passend zum Versand – auf einem Empfangsgerät bei dem Gericht ausgedruckt, sondern dort zumindest zunächst digital gespeichert, und erst später ausgedruckt. Dennoch lässt der BGH auch in diesen Fällen für die Fristwahrung den Eingang des Telefaxes bei Gericht ausreichen. Auf den Ausdruck des Telefaxes stellt der BGH dagegen in diesen Fällen nicht ab. Die soeben beschriebene technische Handhabung des Eingangs von Telefaxen bei vielen Gerichten unterscheidet sich dann aber nicht von dem Eingang einer E-Mail bei Gericht mit einer angehängten PDF Datei, die ein eingescanntes Dokument mit Unterschrift enthält, und die erst später ausgedruckt wird.
Es sprechen daher nach unserer Auffassung die besseren Argumente dafür, auch im Falle des Eingangs von E-Mails nebst PDF-Datei den Eingang der E-Mail bei Gericht für die Fristwahrung ausreichen zu lassen.
Für die Praxis allerdings bleibt es bei der Empfehlung, keine Experimente zu unternehmen, sondern auch hier den sichersten Weg zu wählen: Entweder Versand fristwahrender Schriftsätze per Telefax, und zwar so rechtzeitig, dass notfalls der fristwahrende Eingang auf anderem Wege sichergestellt werden kann, oder aber Versand per EGVP mit qualifizierter elektronischer Signatur. Vorsicht Falle: bei dem Versand per EGVP ist immer zu prüfen, ob das jeweilige Gericht überhaupt an dem Verfahren teilnehmen. Jedenfalls in Nordrhein-Westfalen ist die Zahl der teilnehmenden Zivilgerichte außerordentlich gering.
WS
Die von Gerichten an die Anwaltschaft gestellten Anforderungen erstaunen die eigentlich nicht für ausgeprägte Faulheit bekannte Anwaltschaft immer wieder. Schnell können Rechtsanwälte da zum Opfer eines angesichts der in Gerichten vorgehaltenen Technik nur als „Steinzeitjustiz“ zu bezeichnenden Standards werden. Bekanntlich gibt es zwar das EGVP schon seit über 10 Jahren. Es ist aber ein mehr als nur trauriger Befund, dass auch heute noch nur eine verschwindend geringe Anzahl von Zivilgerichten an diesem System teilnimmt. Wer also Schriftsätze fristwahrend am letzten Tag an ein Zivilgericht schicken möchte, der läuft erhebliche Gefahr, in die Falle der Steinzeitjustiz zu geraten. Wenn er wegen des um 24:00 Uhr drohenden Fristablaufs darauf angewiesen ist, den Schriftsatz noch am Tag des Fristablaufs so zum Gericht zu befördern, dass dort auch die letzte Seite des fristwahrenden Schriftsatzes mit der Unterschrift eingeht, dann hat er neben der Möglichkeit des persönlichen Einwurfs oder des Einwurfs durch Boten nur die heute schon sehr steinzeitmäßig anmutende Möglichkeit, den Schriftsatz per Telefax zu versenden. Wer nutzt so etwas heute noch intensiv?
Wie gleich zu zeigen sein wird, hat der BGH in seiner Entscheidung vom 4. November 2014 zwar die Möglichkeit zugelassen, den fristwahrenden Schriftsatz auch per E-Mail zu übersenden. Die Frist ist aber – warum eigentlich? – nur dann gewahrt, wenn der Ausdruck der Anlage zu der E-Mail vor Fristablauf erfolgt. Und da zeigen sich ganz deutlich die Unterschiede zwischen Anwaltschaft und Gericht. Wer als Anwalt gegen 21:00 Uhr am Tag des Fristablaufs entnervt den Faxversand wegen der Dauerbelegung des einen Telefaxanschluss des Gerichts aufgibt, sollte nicht glauben, dass der Versand des Schriftsatzes als Anlage zu der einer E-Mail fristwahrend ist. Das wäre er zwar, wenn die Anlage vor Fristablauf ausgedruckt würde. Ein Ausdruck um 21:00 Uhr wird aber bei keinem Gericht in der Bundesrepublik mehr erfolgen.
Der BGH hatte über folgenden Sachverhalt zu entscheiden: Der Rechtsanwalt hatte einen fristgebundenen Schriftsatz an das Berufungsgericht schicken wollen. Die einzige Telefaxnummer des Gerichts war aber lange Zeit besetzt. In seiner Not verschickte der Rechtsanwalt den Schriftsatz am Tage des Fristablaufs kurz vor 19:00 Uhr als Anlage per E-Mail an das Berufungsgericht. Dort wurde die Anlage am Tag nach Fristablauf ausgedruckt. Der BGH kam in seinem Beschluss zu dem Ergebnis, der Rechtsanwalt habe den Faxversand „schuldhaft vorschnell aufgegeben“. Ob der Anwalt gehalten gewesen wäre, die Übermittlungsversuche gegebenenfalls bis 24:00 Uhr fortzusetzen, ließ der BGH dagegen ausdrücklich offen. Auf jeden Fall sei eine Beendigung der Versuche kurz nach 19:00 Uhr vorschnell gewesen. Dem Antrag auf Wiedereinsetzung gab der BGH nicht statt.
Für die Praxis kann man nur die einfach zu befolgende Empfehlung aussprechen, Fristen nicht am letzten Tag, sondern nach Möglichkeit spätestens eine Woche vor Fristablauf zu erledigen. Dann wird man in die hier geschilderte Problematik nicht hineingeraten. Wenn aber Gesetzgeber und Gerichte es mit den Fristen ernst meinen, und es auch verständlicherweise zugelassen ist, eine Frist bis zur letzten Sekunde auszunutzen, dann darf dies nicht durch überspannte Anforderungen an das Einhalten von Fristen in Fällen der hier geschilderten Art konterkariert werden. Im Alltag eines Anwalts gibt es eine Vielzahl von Haftungsfallen, und die Hektik und der Stress sind allegegenwärtig. Auch Anwälte sind keine Maschinen. Wir haben den Eindruck, dass dieser Aspekt bei Entscheidungen der Gerichte, die wie dieser hier Schadensersatzansprüche nach sich ziehen, nicht ausreichend berücksichtigt wird.
ws
Und wieder einmal kann ich mir nur verwundert die Augen reiben: es gibt Probleme, die sind wirklich dringend. Dann gibt es kleinere Probleme, die warten können und die schnell gelöst sind. Und leider gibt es immer wieder solche Probleme, auf die wirklich niemand gewartet hat, und die es gar nicht geben dürfte. Ein solches Problem, zugleich ein Armutszeugnis für ein technisch fortschrittliches Land, ist die Kommunikation mit den Zivilgerichten. Die Verwaltungsgerichte, insbesondere die Finanzgerichte, sind deutlich weiter in der Technik. Problemlos können Rechtsanwälte mit Verwaltungs-und Finanzgerichten per EGVP oder per Telefax kommunizieren. Das unsinnige beifügen von Abschriften für die übrigen Beteiligten entfällt. Diese Art der Kommunikation bringt eine erhebliche Arbeitsersparnis mit sich.
Ganz anders sieht es in der Welt der Zivilgerichte aus. Jedenfalls in Nordrhein-Westfalen verfügen Zivilgerichte nur ganz ausnahmsweise über ein EGVP. Wer mit Zivilgerichten über EGVP kommuniziert, muss den Schriftsätzen keine beglaubigte und keine einfache Abschrift beifügen. Das würde in der Tat auch etwas merkwürdig anmuten und wäre genauso, als würde man einem Empfänger eine E-Mail dreimal schicken.
Wer aber mit Zivilgerichten korrespondiert, die sich dem EGVP verweigert haben, hat die Wahl, die Schriftsätze nach „alter Väter Sitte“ nebst beglaubigter und einfacher Abschrift per Post in erforderlicher Anzahl zu verschicken. Bei umfangreichen Verfahren mit sechs Gegnern und mit vielen Anlagen sind ein Exemplar mit Anlagen für das Gericht und sechs beglaubigte und sechs einfache Abschriften. Alternativ dazu besteht auch die Möglichkeit, alles per Telefax zu schicken, und zwar wohl gemerkt in der gleichen Anzahl. Bei einem Schriftsatz von 60 Seiten und 200 Seiten Anlagen gewähren das 13 Exemplare multipliziert mit 260 Seiten, insgesamt also 3380 Seiten. Von den Experten unter den Rechtsanwälten, die grundsätzlich alles vorab per Telefax und dann noch im Original auf dem Postweg hinterher schicken, wollen wir gar nicht sprechen.
Allein dieser kleine Ausflug in die Mathematik zeigt, wie unsinnig es ist, wenn Gerichte sich dem EGVP verweigern.
Das AG Lemgo brauchte sage und schreibe drei mündliche Verhandlungen, zwei Termine zur Vernehmung von Zeugen, wechselte zur Frage der Rügepflicht nach HGB mehrmals die Rechtsauffassung und erließ danach in einem Rechtsstreit (1.200 €), ein Urteil, das sicher beide Parteien überrascht haben wird.
Worum ging es ? Die Beklagte hatte bei der Klägerin eine („Ziehharmonika“)Abdeckung für eine Maschine bestellt. Die Klägerin sah sich die Maschine an und unterbereitete der Beklagten ein Angebot, das diese annahm. Nach Anlieferung und Montage der Abdeckung stellte sich heraus, dass diese zu kurz war. Die Klägerin besserte nach und verlängerte die Abdeckung. Vor dem AG stritten die Parteien darüber, ob für die Nachbesserung eine Vergütung fällig war oder ob es sich um eine nicht zu vergütende Nacherfüllung handelte.
In seinem Urteil folgte das AG der Auffassung der Beklagten, dass die Nacherfüllung nicht vergütet werden müsse. Und jetzt die Überraschung: die Klägerin könne dennoch von der Beklagten eine Vergütung für Verlängerung der Abdeckung beanspruchen, denn die Beklagte habe ja nicht bestritten, dass die Verlängerung die Abdeckung teurer gemacht habe.
Ähm, Räusper, was ist da denn los? wenn eine Partei geltend macht, für die Verlängerung schulde sie nichts, weil es sich um Nachbesserung gehandelt habe, und wenn sie Abweisung der Klage in vollem Umfang beantragt, dann hat sie mehr als deutlich gemacht, dass der Klägerin nichts zusteht. Wenn dann das Gericht in einem Beschluss noch ausdrücklich darauf hinweist, dass die Nacherfüllung kostenlos sei, dann kann man wirklich den Glauben an die Justuz verlieren.
Fazit: Das AG Lemgo ist nur noch Zugangsvoraussetzung für das LG Detmold. Wir sind gespannt, wie das LG entscheiden wird.
Die ZPO verbietet die Überraschungsentscheidung. Sedes materiae ist § 139 Abs. 2 ZPO. Danach darf das Gericht seine Entscheidung auf einen Gesichtspunkt, den eine Partei erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten hat, nur stützen, wenn das Gericht darauf hingewiesen und Gelegenheit zur Äußerung dazu gegeben hat.
In einem von uns betreuten Klageverfahren hatte das Gericht den Widerkläger, der einen auf sehr abenteuerliche Weise berechneten Vergütungsanspruch als Testamentsvollstrecker geltend macht, mit einem Hinweis- und Auflagenbeschluss aus November 2011 nicht nur darauf hingewiesen, dass seine bisherige Berechnungsmethoden nicht zu akzeptieren seien. Es hatte ihm für den weiteren Vortrag eine großzügige Frist gewährt. Hinzu kam, dass wir in dem Verfahren mehrfach und ein OLG den Widerkläger in einem anderen Verfahren bereits 2010 darauf hingewiesen hatten, wie der Widerkläger seine Forderung zu berechnen habe. Sinnvoller Vortrag kam nicht.
In der weiteren mündlichen Verhandlung Anfang März 2012 meinte das Gericht auf unsere Frage nach der Abweisung der der Widerklage, es könne die Widerklage nicht abweisen, weil die Abweisung für den Widerkläger überraschend wäre. Das Gericht habe den Widerkläger auf den insoweit von ihm fehlenden Vortrag zur korrekten Berechnung nicht hingewiesen.
Dass das Gericht den Widerkläger aber bereits mit seinem eigenen Hinweis- und Auflagenbeschluss aus November 2011 nicht nur hingewiesen, sondern auch ausdrücklich zum Vortrag aufgefordert hatte, blieb dabei, aus welchem Grund auch immer, auf der Strecke. Über den weiteren Verlauf der Widerklage werden wir berichten. Wir haben dem Gericht vorsorglich ergänzend zur mündlichen Verhandlung noch einmal schriftlich dargelegt, warum die Abweisung der Widerklage nicht überraschend wäre.