Kategorien-Archiv Philosophisches Nachdenkliches

VonProf. Dr. Wolfgang Sturm

Die Tücke des Objekts: Videokonferenz: Dichtung und Wahrheit oder: es ist noch schlimmer als gedacht

Die Videokonferenz hält Einzug in die Gerichtssäle. Wenn da nur nicht die verdammte Technik wäre, oder besser gesagt, wenn sie vorhanden oder besser noch, wenn sie vorhanden wäre und funktionierte.

Wer 1.400 km wegen einer mündlichen Verhandlung zu einem Landgericht fahren muss, der ist froh, dass es die Videokonferenz gibt. Noch fröhlicher ist er, dass das Prozessgericht über die Technik verfügt. Doch dann beginnt die Geschichte: für das Gericht, vor dem der Termin stattfindet, ist dies die erste Videokonferenz und damit die „Premiere“. Da nicht jeder Anwalt eine teure Anlage kaufen oder leasen möchte (geht nur über ISDN, also Telefon) ist es eine Variante, ein System bei einem nahe gelegenen Gericht zu nutzen. Und da kommt der Tragödie zweiter Teil: sage und schreibe ein Landgericht im Umkreis von 50 km verfügt über eine Videokonferenzanlage. Die aber wurde vor 10 Jahren gekauft, hat nie funktioniert, hat wohl auch keinem gefehlt, sonst hätte man sie zum Laufen gebracht. Die einzelnen Teile der Anlage sind nicht im Haus. Sie müssten erst beschafft werden. Kostenpunkt für uns: 1.000,00 EUR. Also: Thema erledigt. Dafür gab es den Hinweis, dass das örtliche Verwaltungsgericht, der Technik im Regelfall sehr aufgeschlossen, zwar keine Videokonferenz, wohl aber einen Videorecorder habe…. Vielleicht versuchen wir es ja mal mit dem…..        

Fazit: alle reden von der Umwelt, aber die Anwälte verbringen jedes Jahr Millionen von km auf der Straße, obwohl dies mit der Videokonferenz nicht notwendig wäre.

VonProf. Dr. Wolfgang Sturm

BGH-Beschluss vom 21.12.2010 macht das EGVP zur bösen „Wundertüte“ ?: Einleuchtendes, aber auch Fragen über Fragen

Der BGH hat mit Beschluss vom 21.12.2010 (VI ZB 28/10, AnwBl. 4 / 2011) entschieden, dass bei Nutzung des EGVP eine digitale Signatur auch tatsächlich von dem postulationsfähigen Anwalt vorgenommen werden müsse. Im Fall des BGH hat eine angestellte nichtfachliche Mitarbeiterin die Signaturkarte des Anwalts verwendet. Nach Ablauf der Rechtsmittelfrist wurde eine fehlerhafte Signatur festgestellt.

Nicht erstaunlich, so jedenfalls auf den ersten Blick. Genauso wie ein Schriftsatz nur von einem postulationsfähigen Anwalt unterschrieben werden darf, nicht aber von einem  nichtfachlichen Mitarbeiter, genauso darf auch die Signaturkarte nur von einem Anwalt verwendet werden. So weit so gut, oder? Hier aber beginnen die Fragen: wenn, wie in dem vom BGH entschiedenen Fall, das EGVP eine Sende- und eine Empfangsbestätigung ausgeworfen hat, wie konnte der Anwalt dann erkennen, dass ein Signaturfehler vorliegt ? Welchen Wert haben dann die Bestätigungen ? Sie sind doch der Nachweis dafür, dass ein Schriftsatz fristgerecht eingegangen ist. Sonst dürfte die Frist im Fristenbuch nicht ausgetragen werden.

Und warum gibt es überhaupt die genannten Bestätigungen, wenn ein Signaturfehler vorliegt, der Fehler wird ja nicht erst später entdeckt („Unterschrift der ReNo“), das System muss doch, wenn es für Rechtssicherheit in der Anwendung stehen soll, unverzüglich einen Fehler der Signaturkarte melden. Denn nur dann hat man die Chance, den Fehler zu beheben, zur Not ein Telefax zu senden oder sich ins Auto zu setzen. Hier den Anwalt ernsthaft auf die Wiedereinsetzung zu verweisen, ist kein praktischer Rat, wenn man zudem berücksichtigt, dass Anwälte nur dann pflichtgemäß handeln, wenn sie den sichersten Weg gehen.

Das hieße dann: Hände weg vom EGVP !! lieber wieder die Gerichte mit Telefaxen vorab bombardieren und dann alles noch einmal per Post hinterhersenden.

Wenn der Gesetzgeber die elektronische Signatur zulässt, dann muss er auch in Kauf nehmen, dass die Signaturkarte nicht von der Person, auf die sie ausgestellt ist, verwendet wird. Das ist dem System immanent und in Kauf genommen.

Und was ist in all den anderen Fällen, in denen kein Signaturfehler gemeldet wird, obwohl der Anwalt die Karte nicht bedient hat ? Alles unzulässige Schreiben. Also: ab sofort alles als unzulässig rügen, was per EGVP kommt, was für ein Spaß.

Ich glaube bei allem Verständnis, dass der BGH dem EGVP mit seiner Entscheidung einen Bärendienst erwiesen hat. Das ohnehin schon leider wenig genutzte System wird so vollends verkümmern. Also dann: auf auf, zurück in die Steinzeit !!!

VonProf. Dr. Wolfgang Sturm

Hätte Goethe einen facebook account gehabt ? Und was lernen die Anwälte ganz praktisch daraus ?

Die erste Frage des Titels stellte die FAZ am 3. März 2011 im Feuilleton – Teil und gab mit „Ja“ die vermutlich richtige Antwort darauf.

Der Autor kam in seinem lesenwerten Beitrag in der FAZ auf die neuen Medien im Lichte der Zeit und zog eine Parallele zwischen facebook als neuem Medium heute und der Zeitung als zu Goethes Zeiten neuem Medium. Und hier wiederholt sich die Geschichte. Sowohl die Zeitung damals als auch facebook heute haben ein hohes Ablenkungspotential. Bei Goethe führte das dazu, dass er sich das Zeitunglesen verbat, um die Arbeiten am Faust zu Ende bringen zu können. Und was lernen wir als Anwälte ganz praktisch daraus ?

Wie kann man heute noch konzentriert arbeiten, wenn nicht nur die Kommunikation per E-Mail verfolgt wird, sondern daneben die große Schar der „Freunde“ auf facebook  auf dem Laufenden gehalten werden und zudem die Themen auf ICQ und skype beachtet werden wollen ? Spätestens dann muss man feststellen, dass multi-tasking nicht funktioniert. Und was soll ein Anwalt mit Mitarbeitern, die ihre Arbeitszeit in sozialen Netzwerken verbringen ? Antwort: schnell enttlassen, wenn der Vertrag, was nur zu empfehlen ist, die Nutzung der Zeit und der Arbeitsmittel zu diesem Zweck untersagt.    

Die Arbeitswelt wird immer schneller. Vor Einführung des Telefaxes erhielt man von dem Mandanten einen Anruf, in dem der Eingang eines zu prüfenden Vertrages avisiert wurde. Man hatte Zeit, sich darauf vorzubereiten. Das Ergebnis erwartete der Mandant unter Berücksichtigung der Postlaufzeit.  Mit Einführung des Telefaxes wurde die Zeit wesentlich knapper: Nach dem Anruf kam das Telefax und der Mandant rief sofort nach Erhalt an, um das Ergebnis zu erfragen. Mit der E-Mail verkürzte sich zwar die Zeit durch das Medium E- Mail statt Fax nur unwesentlich, aber die Menge an „Informationen“ kann seitdem fast beliebig gesteigert werden. Während niemand auf die Idee kam, mehrere hundert Seiten per Telefax zu senden, werden heute oft ohne Sinn und Verstand per E-Mail Anlagen versandt. Das führt zu weiterem Zeitdruck, weil auch große Mengen gesichtet werden müssen, die sich danach als unergeibig erweisen.

Häufig muss man feststellen, dass unter dieser Arbeitsweis die Präzision erheblich leidet. Es ist so, als ob die fehlende Präzision in der Sache durch die Masse an Anlagen zur E-Mail ausgeglichen werden soll. Genau das Gegenteil aber tritt ein: die fehlende Präzision führt zu mehr Arbeit durch mehr und intensivere Nachfragen, und die Sichtung der von Anlagen und die notwendige Ablage, selbst wenn sie nur digital erfolgt, kostet mehr Zeit. 

E-Mails sind auf jeden Fall ein sinnvolles tool für schnelle Kommunikation. Sie sind aber, unreflektiert eingesetzt, auf dem besten Wege, zu einem Synonym für sinnloses Versenden von Daten zu verkommen, wenn man das Medium nicht pflegt. Ich muss dabei immer an die Aussage eines hochrangigen Einkäufers eines Automobilherstellers denken. In Seminaren seines Arbeitgebers wird den Mitarbeitern beigebracht, erst die Arbeit zu machen und dann den E-Mail Eingang zu prüfen. Grund: wer erst einmal anfängt, die E-Mails zu bearbeiten, schaffe seine Arbeit nicht. Diese Arbeitsanwesiung ist für die Arbeit des Beraters nicht sinnvoll, sie zeigt aber, dass in den großen Firmen offensichtlich viel Unsinn per E-Mail versandt wird.

Einen noch groteskeren Befund offenbart aber die weitere Aussage des eben genannten Einkäufers, wie er mit den tausenden E-Mails verfährt, die er nach seinem Urlaub im Posteingang vorfindet. Er löscht den gesamten Posteingang mit der Begründung: „wichtiges kommt wieder“. Die Entwicklung gäbe ihm recht: von ca. 90 % der E-Mails im Posteingang, die er gelöscht habe, höre er nie wieder etwas. Nur ca. 10 % der E-Mails seien es dem Absender wert, nachverfolgt zu werden und eine Antwort zu erhalten Dass auch dieses Verhalten für den Berater nicht angezeigt ist, brauche ich nicht zu erwähnen. Es zeigt aber wiederum, wieviel „Müll“ per E-Mail versandt wird.    

Was heißt das für den Anwalt ? zunächst einmal ganz einfach: zurück zum Wesentlichen; ein geordneter Gedankengang erspart unsinnige Recherchen. Ich muss erst das Problem lokalisieren, dann kann ich zu den dann erkannten verbliebenen Streitfragen recherchieren. Nur so bildet sich im Laufe der Zeit ein Judiz, dass bei der Einordnung von Problemen hilft und dabei hilft, den Hasen im Pfeffer zu finden. Alles andere ist die Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen.

Das bedeutet weiter, die Organisation im Büro und die eigene Arbeit so zu gestalten, dass es nicht mehr Ablenkungen als notwendig gibt. Das ist angesichts der notwendigen Präsenz für die Mandanten und die zu führenden Telefonate usw. schon schwer genug. Eine konzenrtrierte Arbeit setzt gute Organisation voraus. Dazu gehört es, die Dinge tage- wochen- und monatsweise zu planen, die zu bearbeiten sind. Den Fristen nimmt man ganz einfach den Druck, indem man das Büro darauf einrichtet, die Fristen zwei Wochen vor Ablauf zu erledigen. 

Facebook, twitter und co. haben im Büro während der Arbeitszeit keinen Platz. Sie sind nicht nur Zeitfresser, sondern lenken von den wichtigen Aufgaben ab und tragen dazu bei, dass konzentriertes Arbeiten nicht möglich ist.   

Würde Goethe heute leben, hätte er einen facebook-account. Er würde ihn aber während der Arbeit verbannen.