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Pflichtteilsansprüche bei Schenkungen zu Lebzeiten: Erst rechnen, dann klagen

Schwamb und Wiesinger haben in NJW 2025, 3033 einen für die Praxis hervorragend geeigneten Aufsatz zu Pflichtteilsansprüchen bei Schenkungen zu Lebzeiten geschrieben, der einmal mehr zeigt, dass blinder Aktionismus nur schadet. Die Autoren raten – zu Recht – dazu, die im Erbrecht teils sehr kniffligen Fragen erst sehr sorgfältig aufzuklären, zumal sich daraus oft auch prozessuale Besonderheiten ergeben.

Wir fassen die wesentlichen Inhalte und Ergebnisse dieses praxisnahen Aufsatzes hier zusammen:

Executive Summary

Wer Pflichtteilsansprüche nach einer lebzeitigen Schenkung geltend machen will, muss zunächst sorgfältig prüfen und exakt rechnen: Wie hoch ist der reale Nachlass? Welche Schenkungen sind ergänzungspflichtig und in welcher Höhe? Wie greift das Abschmelzungsmodell? Gibt es Ausnahmen bie dem Fristbeginn? Ohne diese Vorprüfung drohen Fehlbeträge, Verjährung und unnötige Verfahren. Das in der NJW 2025, 3033 eingangs skizzierte Beispiel zeigt: Die dogmatisch korrekte Reihenfolge der Berechnung entscheidet, ob ein Anspruch trägt – oder krachend scheitert.

Sachverhalt aus NJW 2025, 3033:  

Der Erblasser hinterlässt Ehefrau und zwei erwachsene Söhne. Die Erbfolge richtet sich nach einem notariellen Erbvertrag. Danach wurde der Erblasser von seiner Ehefrau als Alleinerbin beerbt. Diese wurde zur befreiten Vorerbin bestimmt. Zum alleinigen Nacherben wurde Sohn 1 bestimmt. Sohn 2 soll laut Erbvertrag nach den gesetzlichen Bestimmungen pflichtteilsberechtigt sein.

Nach dem von der Alleinerbin erstellten Nachlassverzeichnis verfügte der Erblasser nicht über nennenswerte Vermögenswerte, so dass der Reinerlass des Nachlasses nahezu kein Vermögen aufwies. Allerdings verfügte der Erblasser über eine Teileigentumseinheit („TE“) und eine Wohneigentumseinheit („WE“). Diese hatte er Jahre zuvor in Miteigentumsanteile zu je 500/1000 aufteilen lassen. Über zehn Jahre vor seinem Tod hat der Erblasser 500/1000 an der WE als ehebedingte Zuwendung zum vorzeitigen Ausgleich des Zugewinns an seine Ehefrau übertragen. Ebenfalls über zehn Jahre vor seinem Tod hat der Erblasser 500/1000 an der TE schenkweise an Sohn 2 übertragen. Das erfolgte ohne Ausgleichsverpflichtung, wobei sich der Beschenkte die Zuwendung aber auf sein gesetzliches Pflichtteilsrecht anrechnen lassen muss. Die anderen 500/1000 an der TE hat der Erblasser etwa zwei Jahre vor seinem Tod seinem Sohn 1 geschenkt. Auch diese Schenkung sollte sich der Beschenkte auf seine Pflichtteilsansprüche anrechnen lassen müssen. Die Schenkungen erfolgten unter Nießbrauchsvorbehalt für den Erblasser, wobei dieser Nießbrauch im Falle des Vorversterbens des Erblassers im Todeszeitpunkt auf seine Ehefrau übergehen sollte. Im Todeszeitpunkt verfügte der Erblasser noch über 500/1000 an der WE. Etwa fünf Jahre vor seinem Tod hat der Erblasser einen fünfstelligen Geldbetrag an einen ehemaligen Mitarbeiter verschenkt.

Vor diesem Hintergrund fordert Sohn 2 von der Alleinerbin die Auszahlung eines Pflichtteilsanspruchs. Fraglich ist dabei, ob vor dem dargestellten Hintergrund überhaupt noch ein Auszahlungsanspruch besteht oder die lebzeitige Schenkung diesen bereits übersteigt.

1. Worum geht es – und was zeigt das Eingangsbeispiel?

Der Beitrag in der NJW 2025, 3033 veranschaulicht an einem prägnanten Beispiel die typischen Stellschrauben: Wer ist pflichtteilsberechtigt? Welche Schenkung ist berücksichtigungsfähig? Wie wird sie bewertet? Welcher Zeitraum (10‑Jahres‑Frist) ist einschlägig? Die Quintessenz: Nicht jede lebzeitige Zuwendung führt automatisch zu einer Ergänzung – und nicht in voller Höhe. Die Berechnung folgt einem strengen, mehrstufigen Prüfpfad.

2. Der Prüfpfad in der Praxis – Schritt für Schritt

Schritt 1: Pflichtteilsberechtigung und Erbfall
– Feststellen, ob eine Pflichtteilsberechtigung vorliegt (z. B. Abkömmlinge, Ehegatte, Eltern).
– Zeitpunkt des Erbfalls bestimmen; hieran knüpfen Fristen und Bewertungsstichtage an.

Schritt 2: Ausgangsnachlass ermitteln
– Aktiva/Passiva des Nachlasses sorgfältig inventarisieren.
– Der reale Reinnachlass bildet den Ausgangspunkt der Pflichtteilsquote.

Schritt 3: Ergänzungspflichtige Schenkungen identifizieren
– Welche Zuwendungen sind Schenkungen i. S. d. Pflichtteilsergänzung?
– Ausnahmen beachten (Anstandsschenkungen, Gelegenheitsgeschenke, entgeltliche Komponenten bei gemischter Schenkung).
– Vorsicht bei Übertragungen unter Vorbehalt (Nießbrauch/Wohnrecht): Sie wirken sich auf Fristlauf und Bewertung aus.

Schritt 4: 10‑Jahres‑Frist und Abschmelzungsmodell
– § 2325 BGB arbeitet mit einer zeitlichen Begrenzung: Schenkungen innerhalb von 10 Jahren vor dem Erbfall können zu berücksichtigen sein.
– Abschmelzung: Je weiter die Schenkung zurückliegt, desto geringer die Anrechnung (jährliche Reduktion).
– Sonderregeln bei Schenkungen unter Ehegatten und bei Vorbehalten im Blick behalten; so wie hier bei den vornbehaltenen Nießbräuchen (Fristbeginn kann sich verschieben).

Schritt 5: Bewertung der Schenkung
– Maßgeblich ist der Wert zum Schenkungszeitpunkt, ggf. mit Anpassungen; bei Vorbehalten ist deren wirtschaftlicher Wert abzuziehen.
– Gemischte Schenkung: Nur der unentgeltliche Anteil ist ergänzungspflichtig – sorgfältige Bewertung ist Pflicht.

Schritt 6: Fiktiver Nachlass und Quote
– Reeller Reinnachlass plus anzurechnende (abgeschmolzene) Schenkungswerte ergeben den fiktiven Nachlass.
– Pflichtteil = Quote (z. B. 1/2 des gesetzlichen Erbteils) vom fiktiven Nachlass; hiervon ist der reale Pflichtteil (ohne Ergänzung) abzuziehen → Ergänzungsbetrag.

Schritt 7: Gegen wen richtet sich der Anspruch?
– Primär gegen den Erben (Pflichtteilsergänzung); reicht der Nachlass nicht, kann – unter Voraussetzungen – ein Anspruch gegen den Beschenkten (§ 2329 BGB) folgen.

Schritt 8: Verjährung
– Regelmäßige Verjährung nach Kenntnisprinzip; Fristbeginn erfordert positive Kenntnis von Erbfall, Berechtigung und schenkungserheblichen Tatsachen.
– Frühzeitig Auskunftsansprüche sichern, um die Rechnung führen zu können.

3. Typische Fehlerquellen – was das Beispiel lehrt

• Zu früh geklagt: ohne belastbare Bewertung (z. B. Grundstückswert, Abzug Vorbehalte) scheitern Ansprüche am Beweis.
• Falscher Adressat: Ergänzung direkt gegen den Falschen (Beschenkten statt Erben).
• Abschmelzung ignoriert: Wer „brutto“ statt „abgeschmolzen“ rechnet, produziert Mondforderungen.
• Sonderregeln bei Ehegatten und beim Nießbrauch übersehen: Fristbeginn und Bewertung sind anders als bei Schenkungen an Dritte.

4. Praxisleitfaden (Checkliste)

1. Berechtigung und Erbfall klären.
2. Reinnachlass ermitteln.
3. Schenkungen (Art, Zeitpunkt, Vorbehalte, gemischt?) sichten.
4. Frist & Abschmelzung berechnen (Schenkungskette!).
5. Bewertung (Gutachten/Marktwert; Abzug Vorbehalte).
6. Fiktiver Nachlass bilden, Quote anwenden, Ergänzung errechnen.
7. Anspruchsrichtung festlegen (Erbe/Beschenkter, Rangfolge).
8. Verjährung und Auskunft sichern.

5. Fazit

Blinder Eifer schadet nur. Besonders in erbrechtlichen Angelegenheiten – insbesondere bei Pflichtteilsergänzung wegen Schenkungen – gilt: Erst prüfen, dann rechnen, dann handeln. Ohne belastbare Bewertung und genaue Abschmelzungsprüfung wird sonst ohne Not gestirtten.

Vorsicht Falle bei Auslandsvermögen: die Rechtslage ist kompliziert. Erleichterungen in der EU ab dem 17. August 2015

Bei Erbfällen mit Auslandsvermögen, und sei es noch so klein  stellt sich die Frage, welches Erbrecht Anwendung findet. Die damit verbundenen Schwierigkeiten werden anhand des nachfolgenden deutsch-französischen Beispiels deutlich:
Nach deutschem Recht bestimmt sich das Erbrecht nach der Staatsangehörigkeit des Erblassers. Bei Immobilien hingegen knüpft Frankreich an deren Belegenheit an, also französisches Recht. Bei sonstigen Nachlasswerten entscheidet der letzte Wohnsitz des Verstorbenen. Stirbt also eine Deutsche oder ein Deutscher mit Hausbesitz in Frankreich, wird derzeit das Haus nach französischem Recht vererbt. Der übrigen Nachlass unterliegt dagegen französischem oder deutschem Erbrecht. Die neue Europäische Erbrechtsverordnung regelt, welches nationale Erbrecht anzuwenden ist, wenn Vermögen in mehreren EU-Staaten zu vererben ist.

Das neue Recht gilt ab dem 17. August 2015. Es gilt das Recht des „gewöhnlichen Aufenthalts“. Lebt und stirbt ein Deutscher in Frankreich, unterliegt die Erbschaft dementsprechend französischem Recht. Ausnahme: im Testament wird ausdrücklich die Anwendung deutschen Erbrechts festgelegt. Ausländische Erbregelungen können stark von deutschem Recht abweichen. Sie können Nachteile, gegebenenfalls aber auch Vorteile für die Erben mit sich bringen. Jeder Betroffene sollte also jetzt schon prüfen lassen, welches Erbrecht für ihn günstiger ist. Wer möchte, dass das Erbrecht des Landes angewandt wird, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, muss dies ausdrücklich im Testament festlegen. Lebt also beispielsweise eine Deutsche oder ein Deutscher in Frankreich und möchte, dass deutsches Erbrecht im Erbfall angewendet wird, so muss dies klar aus dem letzten Willen hervorgehen.

Die neuen Vorschriften sehen außerdem ein Europäisches Nachlasszeugnis vor. Damit können Erben überall in der EU ohne weitere Formalitäten ihre Rechtsstellung nachweisen.

Ungelöst dagegen bleiben viele steuerliche Themen. Hier kassiert im Zweifel insbesondere bei Immobilien jeder Staat, und damit doppelt. DBAs in diesem Bereich sind rar gesät.
ws

EuErbVO – Wortungetüm mit großer praktischer Bedeutung – Europäische VO zum Internationalen Erb- und Erbverfahrensrecht vereinfacht künftig die Erbfolge

Die Europäische VO zum Internationalen Erb- und Erbverfahrensrecht (VO (EU) Nr. 650/2012, ABL EU 27.07.2012, L 201, 107) ist am 16. August 2012 in Kraft getreten. Sie gilt nach einer Übergangsfrist von drei Jahren in den Mitgliedsstaaten  der VO (sie gilt nicht in Großbritannien), also für Erbfälle ab dem 17. August 2015. Vereinfacht gesagt kann man dann abweichend von dem Aufenthaltsrecht als Erblasser das Heimatrecht wählen. Es ist also schon jetzt für Deutsche mit Wohnsitz im EU – Ausland möglich, für den Erbfall ab dem 17. August 2015 deutsches Erbrecht zu wählen. Tritt der Erbfall vor dem genannten Zeitpunkt ein, bleibt es bei dem bisherigen Recht.

Künftig wird das Vererben also deutlich einfacher, weil sich viele Testierende in dem ihnen bekannten Recht bewegen können. Schon jetzt gilt es, das neue Recht in relevanten Fällen im Interesse der Mandanten zu beachten.
ws

OLG Hamm vom 28. Februar 2013: Pflichtteilsstrafklausel schützt vor Zugriff des Trägers der Sozialhilfe, kann aber auch nachteilig sein

Pflichtteilstrafklauseln sind ein beliebtes Instrument in Testamenten, um dem Willen des Erblassers Geltung zu verschaffen. Vereinfacht gesagt bewirken sie, dass ein Pflichtteilsberechtigter, meist Kinder, der nach dem Tode des Erstversterbenden von Ehegatten seinen Pflichtteil geltend gemacht hat, nach dem Tode des überlebenden Ehegatten auch nur den Pflichtteil erhält. Die Klausel muss aber mit Bedacht eingesetzt werden. Es kommt immer darauf an, welches Ziel die Ehegatten verfolgen, wie ein Urteil des OLG Hamm jetzt wieder einmal zeigt.

Am 28. Februar 2013 hat das OLG Hamm (I-10 U 71/12) entschieden, dass eine solche Pflichtteilsstrafklausel in einem Ehegattentestament von dem überlebenden Ehegatten nicht mehr „ausgehebelt“ werden kann und daher auch dann eingreift, wenn ein Träger der Sozialhilfe beim Tode des Erstversterbenden aus übergegangenem Recht für eines der Kinder den Pflichtteil verlangt hat.

In dem von dem OLG Hamm entschiedenen Fall hatte ein Landschaftsverband als Träger der Sozialhilfe nach dem Tode des Vaters aus übergegangenem Recht für die jüngste Tochter den Pflichtteilsanspruch gegen die überlebende Mutter erfolgreich geltend gemacht. Die Mutter setzte in einem späteren Testament alle ihre vier Töchter zu gleichen Teilen als Erben ein. Im Hinblick auf die jüngste, behinderte Tochter ordnete sie eine Vorerbschaft an, wobei ihre Schwestern Nacherben sein sollten. Damit sollte ein weiterer Zugriff des Landschaftsverbandes auf das Erbe der behinderten jüngsten Tochter bei Versterben der Mutter verhindert werden. Nach dem Tode der Mutter im Jahr 2010 verlangte der Landschaftsverband aus übergegangenem Recht für die jüngste Tochte von den drei weiteren Schwestern erneut den Pflichtteil. Die Schwestern verweigerten dies unter Hinweis auf die Vorerbschaft.

Das OLG Hamm gab dem Kläger recht. Es kam zu dem Schluss, dass die Pflichtsstrafklausel aus dem Berliner Testament der Eltern eingriff. Sinnvoller wäre es hier wohl gewesen, schon für den ersten Todesfall des zuerst Versterbenden der Ehegatten für das jüngste Kind eine Vor-und Nacherbfolge anzuordnen. Ob diese Erbschaft hätte ausgeschlagen werden können, war aus dem Sachverhalt nicht zu erkennen.
ws

Vorsicht bei Vermögensübertragungen und der 10-Jahres-Frist nach § 2325 BGB

Der Gesetzgeber hat in § 2325 BGB für Erblasser die Möglichkeit geschaffen, einzelnen Personen Sondervorteile zuzuwenden. Nach § 2325 Abs. 3 Satz 2 BGB bleiben Schenkungen unberücksichtigt, die 10 Jahre vor dem Erbfall gemacht worden sind. Nach § 2325 Abs. 3 Satz 1 BGB werden Schenkungen nur innerhalb des ersten Jahres vor dem Erbfall in vollem Umfang, innerhalb jedes weiteren Jahres vor dem Erbfall um jeweils 1/10 weniger berücksichtigt.

Erblasser haben so die Möglichkeit, in großem Umfang dem Zugriff missliebiger Pflichtteilsberechtigter zu entziehen, wenn sie denn früh genug mit dem Schenken anfangen.

Zu beachten ist aber, dass nach herrschender Meinung und Rechtsprechung eine Schenkung erst dann als geleistet gilt, wenn der Übergeber auf den Nießbrauch oder die Nutzungsrechte verzichtet hat, oder wenn er verstirbt. In den klassischen Fällen der Vermögensübertragung gegen Vorbehaltsnießbrauch ist das nicht der Fall. Ein Trost aber bleibt: Wenn der Wert der Schenkung für den Pflichtteilsergänzungsanspruch ermittelt wird, kann der kapitalisierte Wert des vorbehaltenen Nießbrauchs abgezogen werden. Dadurch vermindert sich der Pflichtteilsergänzungsanspruch.

BGH ändert Rechtsprechung zur Pflichtteilsergänzung (§ 2325 BGB) mit Urteil vom 23. Mai 2012

Pflichtteilsergänzungsansprüche nach § 2325 BGB sollen den Pflichtteilsberechtigten davor schützen, dass der Nachlass durch Schenkungen „ausgehöhlt“ wird. Das könnte ohne Pflichtteilsergänzungsanspruch eintreten. Denn der Anspruch des Pflichtteilsberechtigten richtet sich nach dem Nachlass. Ist dieser Nachlass aber geschmälert, würde ein Pflichtteilsanspruch teilweise leerlaufen. Um dieses Ergebnis zu verhindern, ordnet § 2325 BGB, vereinfacht gesagt, an, dass bestimmte Schenkungen in bestimmtem Umfang dem Nachlass zur Berechnung des Pflichtteilsanspruchs wieder hinzugerechnet werden.

In der bisherigen Rechtsprechung verlangte der BGH, dass der Pflichtteilsberechtigte, der Pflichtteilsergänzungsansprüche geltend macht, bereits im Zeitpunkt der Schenkung pflichtteilsberechtigt war. Wer also nach früherer Rechtsprechung im Zeitpunkt der Schenkung noch gar nicht geboren war, oder wer durch z.B. seine Eltern vom Pflichtteilsanspruch ausgeschlossen war, der konnte eine Pflichtteilsergänzung wegen Schenkungen in vielen Fällen nicht verlangen.

Diese Rechtsprechung wurde von der Literatur zu Recht kritisiert. Denn ob ein Pflichtteilsergänzungsanspruch bestand oder nicht, war teilweise reiner Zufall. Diese Zufälligkeit hat der BGH jetzt mit Urteil vom 23. Mai 2012 (IV ZR 250/11, NJW Spezial 2012, 519) beseitigt.

Vertrauen ist gut, (gute) Verträge sind besser – Geschichten aus dem wahren Leben – die junge Witwe, der Bierkönig, die Stiftung und die (nicht lege artis erfolgte?) Anfechtung

Das wahre Leben spielt sich nicht in der Welt der Juristen ab, sondern in der Welt ihrer Mandanten. Und die ist nicht so, wie Juristen das in ihrer Ausbildung gelernt haben. Wer das als Berater nicht verstanden hat, hat den Beruf verfehlt. Daher sind Rechtsanwälte gut beraten, das, was sie in der Ausbildung gelernt  haben, nicht als Heiligtum, sondern als Werkzeugkasten („tool-kit“) zu betrachten, den es einzusetzen gilt, um die Mandate und die mit ihnen verbundenen häufig komplexen Probleme bestmöglich zu lösen.

Wer seinen Beruf so versteht und sich engagiert und ohne Rücksicht auf Zeiten mit den Problemen seiner Mandaten, auch mit denen, sich die bei der Bearbeitung erschließen und an die der Mandant gar nicht gedacht hat, befasst, der trifft immer häufiger auf ein „Geiz ist geil“ Phänomen. Die Bereitschaft, individuelle gute Lösungen besser zu bezahlen als den „Anzug von der Stange“, nimmt immer mehr ab. Das ist erstaunlich, weil für Produkte wie das iphone ohne mit der Wimper zu zucken sogar uangemessene Preise gezahlt werden.   

Nehmen wir einmal als Beispiel die Patientenverfügung: die Bereitschaft, dafür einem Anwalt eine Vergütung zu zahlen, ist angesichts der Massen an „Mustern“ im Internet sehr gering. Eines aber ist sicher: das bloße Ausfüllen von Mustern und das Ankreuzen nach „mutliple choice“ ersetzen keine (wohlgemerkt) qualifizierte Beratung. Wenn der Anwalt aber auch nicht mehr macht, als das Muster mit Namen usw. zu versehen, ist die Einstellung, dafür kein nennenswertes Honorar zu zahlen, auch für uns verständlich.

Wenn aber der Mandant verstanden hat,dass die Patientenverfügung ein komplexes Instrument mit vielen Haken und Ösen, und zudem nur ein Baustein in einem ganzen Strauß von Regelungen ist, und dass er ohne eine gute Lösung anderen Menschen in Situationen, die mit sehr großer Wahrscheinlichkeit bis hin zur Sicherheit eintreten werden, im schlimmsten Fall ausgeliefert ist, dann ändert sich die Situation und es wird schnell klar, welchen Wert gute Beratung hat.

Diese Erkenntnis gilt auch für den Fall des „Bierkönigs“ aus Frankfurt, Dessen junge Witwe ließ jetzt vom OLG Frankfurt am 15.06.2012 (7 U 221/11) feststellen, dass sie Alleinerin nach dem „Bierkönig“ geworden ist. Streitig war dies, weil die junge attraktive Witwe erst Erbin geworden war, nachdem der Erblasser einen Erbvertrag, nach dem eine Stiftung statt der Witwe Erbin geworden wäre, angefochten hatte.

Auch hier sieht man, dass gute Beratung teure Verfahren verhindern kann. In dem Fall des „Bierkönigs“ hatte nämlich die Stiftung Morgenluft „gewittert“, weil die notariell beurkundete Anfechtung des Erbvertrages, vereinfacht gesagt, nicht zu 100% lege artis war, und die Stiftung diesen „Hebel“ nutzen wollte, um die Witwe aus dem Rennen zu werfen.  

Das Thema ist durch das OLG noch nicht rechtskräftig entschieden, der BGH wird das letzte Wort haben. Wir lernen daraus, dass gute Beratung extrem wichtig ist. Weil sie aber mehr Zeit in Anspruch nimmt als ein bloßer „Standard“, ist ein dafür geschuldetes Honorar zwangsläufig höher. Gute Mandanten wissen und honorieren das. Sie erwarten aber zu Recht eine Top-Beratung.

Neue EU – Verordnung vereinfacht das Erbrecht mit internationalem Bezug deutlich, erfordert aber gute Beratung

Nachdem das EU-Parlament bereits am 19. März 2012 die neue EU-Erbrechtsverordnung verabschiedet hatte, hat am 8. Juni 2012 auch der Rat der EU-Justizminister der Verordnung zugestimmt. Das ist erfreulich, bringt die Verordnung doch eine wesentliche Vereinfachung. Denn die Verordnung gibt klar vor, welches Erbrecht auf einen internationalen Erbfall anzuwenden ist. Die derzeitigen Schwierigkeiten bei den grenzüberschreitenden Erbsachen werden also künftig beseitigt.

Nach dem neuen, ab 2015 geltenden Recht, gilt Folgendes:

Es wird das Erbrecht des Staates angewendet, in dem der Erblasser seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt hatte.

Für alle Menschen, die auf Dauer in Deutschland leben und dann versterben, gilt also künftig deutsches Erbrecht, gleichgültig, welche Staatsangehörigkeit sie besitzen. Durch Testament oder Erbvertrag kann der Erblasser aber stattdessen auch das Erbrecht des Staates wählen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt. Künftige Erblasser, die im Ausland leben, sollten diese Möglichkeit auch nutzen, denn dass ausländische Erbrecht kann sehr stark vom deutschen Erbrecht abweichen.

Die Verordnung bringt aber auch weitere Vorteile. Es soll ein europäisches Nachlassverzeichnis eingerichtet werden. Dadurch soll ein Erbe seine Erbenstellung leichter nachweisen können. Außerdem wird mit Inkrafttreten der Verordnung ein nationaler Erbnachweis, zum Beispiel der deutsche Erbschein, in anderen Mitgliedstaaten nach den Regeln der Verordnung anerkannt. Künftig muss man also nicht mehr in jedem Mitgliedstaat einen neuen Erbnachweis beantragen.

Allerdings gilt es, auf der Hut zu sein. Hatte der Erblasser seinen Lebensabend auf Mallorca verbracht und die Anwendung deutschen Rechts nicht geregelt, sehen sich die Erben unerwartet mit spanischem Erbrecht konfrontiert. Und: das Erbschaftsteuerrecht bleibt weiterhin national.

Unterschrift ist Unterschrift und nicht Überschrift, und erst recht nicht „Oberschrift“ – Formgültigkeit eines Testaments

Die deutsche Sprache ist schön und eindeutig. Wenn etwas zur Wirksamkeit unterschrieben sein muss, dann ist das Wort „unter“ wörtlich zu verstehen. Die Unterschrift muss „unter“ dem Text stehen.

Ein Testament ist grundsätzlich nur dann wirksam, wenn es vom Testierenden eigenhändig „unterschrieben“ wurde (§ 2247 BGB). Auch dabei ist „Unterschreiben“ im klassischen Wortsinne zu verstehen, die Unterschrift muss also auch hier „unter“ dem Text stehen und diesen abschließen. Wird die „Unterschrift“ an eine andere Stelle des Textes gesetzt, z.B. an den Anfang, wird ein Testament im Regelfall unwirksam sein.

Nur bei besonderen Umständen kann ein Testament, bei dem die Unterschrift nicht unter, sondern über den Text des Testamentes gesetzt wurde, wirksam sein. Eine solche Ausnahme und damit ein wirksames Testament hatte das Oberlandesgericht Celle (OLG) in seinem Beschluss vom 06.06.2011 angenommen (Aktenzeichen: 6 W 101/11). Dort hatte der Testierende keinen Platz mehr für die Unterschrift, weil das Blatt vollständig beschrieben war. Also entschied er sich für die „Überschrift„. Das OLG entschied, dass das Testament trotz fehlender Unterschrift (und tatsächlicher Überschrift über dem Testamentstext) wirksam ist, weil

„am Ende des Testamentstextes kein Platz mehr für die Unterschrift“

war.

Da die Sache immerhin bis zum OLG ging, kann jedem Testierenden nur empfohlen werden, den sichersten Weg zu gehen und die Variante der „Unterschrift“ zu wählen. Für Anwälte heißt dies: immer das Original zeigen, besser noch zu Aufbewahrung geben lassen. Nur dann ist sichergestellt, dass die Beratung auch zu einem formwirksamen Testament geführt hat.

Vorweggenommene Erbfolge schützt nicht vor dem Finanzamt

Die vorweggenommene Erbfolge, die schenkweise Übertragung von Vermögenswerten zu Lebzeiten, z.B. an die eigenen Kinder, ist grundsätzlich eine gute Sache. Damit kann man steuerliche Freibeträge nutzen und Streitigkeiten beim Erbfall vermeiden. Die vorweggenommene Erbfolge stellt aber kein probates Mittel dar, eigenen Steuerschulden zu entgehen, wie der Fall des Hessischen Finanzgerichts (FG) vom 9. November 2011 (Az.: 3 K 1122/07) zeigt.

Im Verfahren des FG hatten Eltern ein Grundstück im Wege der vorweggenommenen Erbfolge auf die Tochter übertragen. Die Tochter zahlte den Eltern keinen Kaufpreis, sie übernahm aber die dinglichen Lasten des Grundstücks. Die Zins- und Tilgungsleistungen für die Grundschulden verblieben aber bei den Eltern. Außerdem behielten sie sich ein Wohnungsrecht an dem Grundstück vor. Misslich für die Tochter war aber, dass ihre Eltern bei der Übertragung erhebliche Steuerschulden hatten, die das Finanzamt (FA) bereits festgesetzt hatte. Da bei den Eheleuten nichts mehr zu holen war, wandte sich das FA an die Tochter. Das FA focht die Übertragung des Grundstücks an die Tochter an und verlangte von dieser Duldung der Zwangsvollstreckung.

Zu Recht, meinte das FG. Denn das FA habe die Übertragung nach dem Anfechtungsgesetz (AnfG) anfechten können, weil die Übertragung des Grundstücks das FA als Gläubiger benachteilige und es sich bei der Übertragung des Grundstücks um eine unentgeltliche Leistung an die Tochter gehandelt habe. Da die Vollstreckung in das Vermögen der Eltern außerdem nicht zu einer vollständigen Befriedigung des Gläubigers geführt habe, dürfe das FA in das Grundstück vollstrecken.