Kategorien-Archiv Die Anwaltschaft

VonProf. Dr. Wolfgang Sturm

Wenn Juristen Juristen beschäftigen – dann werden Probleme bekannt, die sonst niemand hätte (wenn das die Mandanten wüssten)

Ein Streit, besonders vor Gericht, hat häufig skurrile Züge. Besonders skurril werden die Züge aber oft immer dann, wenn Juristen gegeneinander antreten. So bedurfte es erst der Entscheidung des BGH vom 8. April 2013 (Anwaltsblatt 6/2013, 466), um zu wissen, dass die Pflicht, eine bestimmte Anzahl von Fortbildungsstunden nachzuweisen, nicht mit dem Nachweis, dass diese Pflicht auch tatsächlich erfüllt worden ist, verwechselt werden darf. Ah ja.

Was war geschehen? Die Rechtsanwaltskammer Celle hatte einen Fachanwalt aufgefordert, den Nachweis zu erbringen, dass er die nach der Berufsordnung vorgeschriebenen insgesamt 10 Stunden Fortbildung p.a. absolviert hatte. Der Rechtsanwalt wies darauf hin, dass er die 10 Stunden Fortbildung erbracht habe, er reichte aber hartnäckig die Nachweise dafür nicht ein. Die Anwaltskammer wiederrief die Zulassung des Anwalts als Fachanwalt. Dagegen wendete sich der Kollege bei dem Anwaltsgerichtshof. Dort reichte er auch die Nachweise über die Fortbildung ein.

Damit wäre das Thema eigentlich erledigt gewesen, eigentlich. Wenn da nicht die Kammer nochmal eins drauf gesetzt hätte. Sie sah das anders und bliebe bei dem Widerruf der Zulassung als Fachanwalt. Denn der Anwalt habe zwar die Fortbildung nachgewiesen, das aber nicht rechtzeitig.

Dagegen wehrte sich der Kollege bei dem BGH. Der gab dem Kollegen recht. Sehr scharfsinnig differenzierte der B GH zwischen der Verpflichtung, eine bestimmte Anzahl von Stunden für die Fortbildung pro Jahr abzuleisten davon, die Erfüllung dieser Pflicht auch nachgewiesen zu haben. Wenn die Fortbildungspflicht erfüllt worden sei, komme ein Widerruf der Zulassung mit der Begründung des fehlenden Nachweises nicht in Betracht.  

Es bedurfte also einer Entscheidung des BGH, damit dem Kollegen der Titel eines Fachanwaltes erhalten blieb. Wenn man sich jetzt fragt, ob das Ganze nicht auch wesentlich einfacher – ohne der BGH – hätte erledigt werden können, kommt man relativ einfach zu der Frage, warum die Rechtsanwaltskammer die Zulassung des Widerrufs noch aufrecht erhalten hatte, nachdem der Kollege die Nachweise eingereicht hatte. Geht man dann noch weiter ins Detail, fragt man sich aber auch schon vorgelagert, warum es dem Kollegen trotz mehrfacher Aufforderung durch die Rechtsanwaltskammer nicht möglich gewesen ist, die von ihm erbetenen Nachweise der Rechtsanwaltskammer gegenüber zu (einigermaßen) rechtzeitig zu erbringen.

Lange Rede kurzer Sinn: ein unsinniger, aber lehrreiche Rechtsstreit.

Fazit: das dürften die Mandanten des Kollegen besser nicht wissen, und wir alle sollten hoffen, dass diese Anwaltskammer und allen anderen Anwaltskammern auch demnächst – nicht nur in solchen Fragen – deutlich souveräner und entspannter bleiben.

ws

VonProf. Dr. Wolfgang Sturm

Die Vergütung anwaltlicher Leistungen – Vorsicht Falle oder: wie blöd muss man sein – Mandant und Anwalt? zugleich Nachdenkliches über ein eigentlich nicht so schwieriges Thema

Geradezu bizarr ist – aber nur auf den ersten Blick – der Sachverhalt, über den das LG Dusiburg mit Urteil vom 12.10.2012 (7 S  51/12, BRAK Mitt. 2013, 30 f.) zu entscheiden hatte. Ein nähere Befassung zeigt gleich mehrere Abgründe auf beiden Seiten. Was war geschehen?  Eine Mandantin war abgemahnt, zur Abgabe einer Unterlassungserklärung und zur Zahlung von 750 EUR Schadensersatz aufgefordert worden. Die Mandantin beauftragte eine Kanzlei mit der Vertretung ihrer Interessen. Die Kanzlei schloß mit ihr eine Vergütungsvereinbarung mit einem „Kostenrahmen“ zwischen 226 und max. ca. 2.600 EUR. Zahlen sollte die Mandantin nach Abschluss der Sache 2.562,90 EUR. Zahlen wollte die Mandantin aber nur 190 + USt als Erstberatungsgebühr (§ 34 Abs. 1 S. 3 RVG). AG und LG gaben der Mandantin recht.

Auf den ersten Blick einleuchtend. Denn bei einem Interesse von 750 EUR ein Honorar von rd.  2.600 EUR zu fordern, ist – rückblickend betrachtet – wirtschaftlich evident unsinnig. Andererseits führt das LG Dusiburg in seinem Urteil – dankenwerterweise – selbst aus, dass Anwälte im Regelfall nicht verpflichtet sind, ungefragt im Voraus über die Höhe des Honorasrs aufzuklären. Im Stretifall sah das LG die Kanzlei dazu wegen des krassen Missverhältnisses wegen Honorar und Interesse der Mandantin aber als verpflichtet an. Und hier reibt sich der kundige Thebaner ein wenig die Augen und sagt: Moment mal, hatte die Mandantin nicht schon zu Beginn des Mandates erfahren, dass der Kostenrahmen zwischen 226 und max. 2.600 EUR liegt? dann aber war ihr doch das Missverhältnis bekannt. Denn schon ein mit 750 EUR weit unter dem max. Betrag liegendes Honorar stünde ja in der Denkwelt des LG in einem krassen Missverhältnis. Die Kanzlei hatte dann also die Mandantin doch aufgeklärt. Und wer aufgeklärt ist, kann sich doch nicht darauf berufen, nicht aufgeklärt worden zu sein.

Die naheliegende Frage, warum die Mandantin denn nicht gefragt hat, was es mit dem Rahmen auf sich hat und auch die eben so naheliegende Frage, warum die Mandantin denn einen solchen – offensichtlichen, sich jedermann sofort erschließenden – Unsinn unterschrieben hat, stellte das LG nicht.  Natürlich kann man die einfache Gleichung aufstellen, jeder dümmer Menschen sind, umso mehr müssen sie über die Konsequenzen ihres Handelns aufgeklärt werden. Wie weit aber geht das oder besser gefragt, was soll man denn in den Fällen wie dem hier vorliegenden machen, wenn die ganze Aufklärung nichts hilft? Gilt dann die Formel: je dümmer, desto schutzwürdiger? das entspräche jedenfalls dem weit verbreiteten Irrtum, dass in unserem Staat für jeden gesorgt wird, und dass man selbst nichts dafür machen muss. Es gibt ja genug böse Reiche, die soviel Geld haben, dass sie gefälligst alle anderen mit durchfüttern.

Der GRund für das Urteil des LG kann aber auch banal sein. was nicht sein kann, das nicht sein darf. Wir hören nicht häufig von Kollegen, dass Richter nicht selten Honorare (zudem mit USt) mit Bruttogehältern vergleichen. Dass dies von wenig Weitblick zeugt, ist nicht erläuterungsbedürftig. Auch Sprüche von Richtern wie: „wir schreiben die Urteile, ihr Anwälte die Rechnungen“, zeugt von einem sehr unverhohlenen Neid. Wobei es jedem Richter freistand oder besser gesagt, jederzeit freisteht, den Beruf des Richters an den Nagel zu hängen und Anwalt zu werden.

Von wenig Weitblick zeugt aber auch das Verhalten der Kanzlei. Wie kann ich als Dienstleister, der von zufriedenen Kunden und deren Empfehlungen lebt, auf die Idee kommen, ein solches Honorar zu verlangen? wer ein solches Mandat annimmt, das in dem Urteil des LG beschrieben ist, der kann davon ausgehen, dass nur ein solches Honorar akzeptiert werden wird, das maximal 500 EUR beträgt. Wenn man aber meint, das sei zu wenig, dann ist es besser, die Finger von dem Mandat zu lassen und den Rechtssuchenden an geeignete Kollegen zu verweisen, die bereit sind, dafür (gut) zu arbeiten.

VonProf. Dr. Wolfgang Sturm

Das Anwaltsgedicht zum Jahresende 2012 – kurze und ehrliche Bestandsaufnahme einer Spezies

Das Jahr ist um,
ach wie zu dumm.
Verjährt dann doch so dies und das,
und das macht nur dem Schuldner Spaß.

Der Anwalt aber, der hat’s schwer,
sitzt manche Stunde mehr und mehr,
je näher das Jahresende rückt,
weil die Verjährung den Mandanten nicht entzückt.

Von wegen „Frohe Weihnacht“ oder „guten Rutsch“,
verjähren Forderungen, sind die Mandanten futsch.
Drum schnell noch auf jetzt ins Büro,
wenn andre‘ auf dem Weihnachtsmarkt sind froh.

Doch sehen wir es einmal ganz genau,
der Glühwein schmeckt doch wirklich keiner Sau.
Dem Konsument wird davon schlecht,
dem Wirt ist das bei den hohen Preisen recht.

Denn ist der Kopf erst wieder clean,
der Konsument geht wieder hin.
Der Weihnachtsmarkt schlägt alle in den Bann,
Gott sei Dank, dass der Anwalt in’s Büro gehn kann.

Schaut man bei Ein – und Verkaufspreis genauer hin,
kommt dem Juristen schnell der Wucher in den Sinn.
Und schaut man weiter auf die Ingredienz,
der Chemiker erkennt: die Ursache so mancher Pestilenz.

Was nützt das Stöhnen, was das Klagen,
zum Ende dieses Jahres seiner Tagen.
Zählt doch das Klagen zu des Anwalts Profession,
denn was Gescheitres anderes kann er schon?

Ja sicher, er kann auch beraten,
doch muss auch solches Werk gar recht geraten.
Bei kleinsten Fehlern droht die Haftung,
und das erhöht die Magensaftung.

Der Anwalt wird jetzt plötzlich ganz modern,
und mancher hört das gar nicht gern.
Nicht nur gekonnt sein will das BGB,
es muss auch sein das EGVP.

Die Videokonferenz, die hätte ich fast vergessen,
doch wie kann ich das sagen, so vermessen.
Gibt es die Technik zwar, doch leider nicht
…………bei dem Gericht.

Drum bleibt mir auch für dieses Jahr nur festzuhalten,
bei Anwälten bleibt vieles, wieder mal, beim Alten.
In diesem Sinne wünsc’h ich allen für das neue Jahr:
Nicht jammern, sondern klagen, dann kommt ihr besser klar.
WS

VonProf. Dr. Wolfgang Sturm

Das Anwaltsbüro – nur im Team sind gute Leistungen möglich; dazu brauchen wir aber loyale, flexible und mitdenkende Mitarbeiter

Sie schätzen Ihre Mitarbeiter. Das ist gut. Schätzen aber auch umgekehrt Ihre Mitarbeiter Sie und Ihr Büro? Die Welt ändert sich, und mit wird sich die Anwaltschaft ändern. Natürlich kann kann auch man auch weiter wie bisher arbeiten, über kurz oder lang wird man dabei aber zu den Verlierern gehören.

Veränderungen sind nicht auf den Anwalt / die Anwältin beschränkt. Die Entwicklung geht an den Mitarbeitern nicht vorbei. Stand früher für viele das Schreiben im Vordergrund, sind heute aktive, motiverte, aus eigenem Antrieb arbeitende und flexible Mitarbeiter gesucht. Word, outlook, excel und power point sind perfekt zu beherrschen. Ein Muss ist freundliches Auftreten und gute, zum Büro passende Kleidung. Das wird heute nicht nur, aber auch über das Gehalt honoriert. Wer dagegen nur auf Anweisung arbeitet und dabei noch Fehler macht, und den „Chef“ aufhält, weil er nicht in der Lage ist, Wichtiges von Unwichtigem zu trennen, der läuft Gefahr, den Anforderungen nicht gerecht zu werden und schießt sich selbst, und zwar dauerhaft, ins Abseits. Dabei ist es recht einfach, im Team zu arbeiten. Das aber setzt die Bereitschaft voraus, sich für das Team einzusetzen, nicht andere für sich arbeiten zu lassen (TEAM = Toll, Ein Anderer Machts), und zudem eine Blick für das Wesentliche zu haben.

Dazu gehört es heute selbstverständlich auch, das Büro nicht einfach zu verlassen, wenn „Feierabend“ ist. Es gehört kein hoher Grad an Aufmerksamkeit dazu zu erkennen. dass ein Freiberufler keine 38,5 Stunden Woche hat. Quintessenz: für gute Mitarbeiter gibt es eine Zukunft in Anwaltsbüros mit interessanten Perspektiven. Gut wird aber nur, wer an sich arbeitet und sich fortbildet. Für die Mitarbeiter, die diesen Anforderungen nicht genügen und Änderungen nicht akzeptieren, wird es dagegen zunehmend eng werden. Sie werden zudem die Erfahrung machen, dass die Anforderungen überall hoch sind. Pflegen Sie Ihre Mitarbeiter. Sie sind wichtig. Aber stellen Sie sich auch kritisch die Frage, ob Ihre Mitarbeiter die an sie gestellten Anforderungen erfüllen. Wenn nicht, wird es Zeit für ein Gespräch. Wenn Sie erkannt haben,  dass eine weitere Zusammenarbeit nicht sinnvoll ist, handeln Sie konsequent. Abwarten hat noch nie etwas verbessert. Und der Glaube an Selbstheilungskräfte ist schon häufiger als gewünscht  enttäuscht worden.
ws

VonProf. Dr. Wolfgang Sturm

Unternehmen beklagen zunehmend Schäden durch E-Mail Flut – und wie sieht es bei den Anwälten aus? die meisten wären froh, wenn sie dieses Problem hätten

Unternehmen beklagen zunehmend, dass sie unter der E-Mail Flut leiden, die extern wie intern verschickt werden. Es gäbe zuviele unwichtige E-Mails, mit denen Mitarbeiter ihre wertvolle Zeit vergeudeteten.  Interessant, interessant aber auch, einen Blick darauf zu werfen, wie es mit den Anwälten in diesem Bereich steht.

Bevor das Kind mit dem Bade ausgeschüttet wird, sollte man aber auch hier genauer hinsehen. Mit E-Mails ist es wie mit anderen Hilfsmitteln auch: sie ersetzen weder die Arbeit noch das Denken. Und genau da liegt oft der Hase im Pfeffer. Viele Menschen sind ernsthaft der Meinung, wenn sie möglichst vielen Adressaten E-Mails mit möglichst vielen Anlagen senden, dann hätten sie gute Arbeit geleistet. Dabei bleibt nicht  nur das Denken auf der Strecke. Eine solche Kommunikation  führt zu erheblicher Mehrarbeit. E-Mails bewirken dann genau das Gegenteil von dem, wozu sie gedacht sind. E-Mails sollen die Kommunikation beschleunigen und den Versand umfangreicher Dokumente erleichtern. Wenn aber eine E-Mail wie ein „Streuwurf“ verwendet wird, kann dieses Ziel nur verfehlt werden.  Gut gemeint ist eben wie so oft das Gegenteil von gut.

Ein weiterer Grund für die berechtigte Klage liegt darin, dass viele Absender – wie in der sonstigen Kommunikation auch – leider nicht in der Lage sind, sich vorzustellen, welche Informationen der Adressat haben will und wie man ihm die Arbeit einfach macht. Das ist kein Problem, dass es erst seit dem Zeitaler der E-Mails gibt. Dieses Thema ist ein grundsätzliches der Einstellung zur Arbeit und der Fähigkeit, mit anderen Menschen zusammenzuarbeiten. Hier gilt oft die Definition „Team = Toll, ein anderer macht’s“ Das ist vielen sicher noch aus der Schule von der Gruppenarbeit her bekannt. Und leider hat sich für die meisten daran bis heute nicht viel geändert. Bei E-Mails gilt: „Aus den Augen, aus dem Sinn.“  Ist die E-Mail verschickt, hat man ein Thema erledigt, so der Irrglaube. Diese Themen sind zuerst zu lösen, wenn man in Unternehmen E-Mails weiter als sinnvolles tool einsetzen möchte, was unverzichtbar ist.

Wer sich der Lösung der Probleme im Zusammenhang mit E-Mails annimmt, muss aber tiefer gehen. Die Misere fängt schon bei banalen Themen an. Genauso, wie schon der Betreff eines Briefes prägnant, aber erschöpfend sein sollte, genauso ist es bei der E-Mail. Schon hier fangen Pleiten, Pech und Pannen an.

Das Deaster setzt sich in dem Text der E-Mail selbst fort. Eine E-Mail ist leseunfreundlich. Häufig erscheinen E-Mails auf dem Bildschirm des Empfängers ganz anders als der Absender sie auf seinem Schirm gesehen hat. Auch hier gilt: genauso wie jeder Brief eine Visitenkarte des Unternehmens ist, genauso ist das eine E-Mail. Bei aller Eile: Schreibfehler haben weder hier noch dort etwas zu suchen. Und wenn noch nicht einmal genug Zeit (oder schlimmer noch: Kenntnis) vorhanden ist, fehlerfrei zu schreiben, dann kommt schnell der Verdacht auf, dass das gleiche wohl auch für die fachliche Befassung gilt. Auch ist es eine Binsenweisheit, dass in Hektik und Eile erstellte Lösungen und Dokumente selten gut durchdacht sind. Aber das kann man ja, was bei Anwälten häufig so ist, mit der Stärke der Ausdrucks – vermeintlich – wieder wettmachen.

Ein weiteres Übel sind E-Mails, die sich über mehrere Seiten auf dem Bildschirm erstrecken. Ich möchte (auch) mit meinen E-Mails überzeugen. Das aber setzt voraus, dass ich bei dem Empfänger keinen Widerstand beim Lesen hervorrufe. Bei längeren Texten bietet es sich an, den Text in ein Schreiben zu setzen und das Schreiben als pdf Datei der E-Mail beizufügen. Die Hauptaussagen gehören dann dennoch in die E-Mail, damit der Empfänger weiß, was ihn in der Anlage erwartet.

Ein großes Thema ist auch die Disziplinlosigkeit bei der Auswahl, besser gesagt der Eingrenzung der Adressaten der  E-Mail: wer muss die E-Mail erhalten? Im Zweifel ist es immer gut, „den Chef“ cc zu setzen. Denn dann hat man ihn ja unterrichtet. Soll er sich doch melden, wenn was nicht gefällt.

Und mit den Anlagen zur E-Mail ist es wie mit den Medikamenten: viel hilft viel. Ohne Sinn und Verstand werden die Adressaten mit virtuellem Papier versehen nach dem Motto: „ich bin zu faul zum Suchen, das überlasse ich Ihnen. und weil ich nicht weiß, was ich machen soll, habe ich Ihnen vorsorglich noch mehr geschickt.

Und wie sieht es in der Anwaltschaft aus? Sehr gemischt. Generell dürfte gelten: je größer die Kanzlei, desto höher die Akzeptanz von E-Mails. Viele Anwälte lehnen noch heute, jedenfalls für sich persönlich, den Einsatz eines PCs ab. Und wenn sie ihn nutzen, dann als Schreibmaschine mit Löschfunktion. Eine richtig zwingende Notwendigkeit gibt es für Anwälte nicht, sich mit moderner Kommunikation zu befassen. Reagiert wird erst dann, wenn es nicht anders geht. Als Beispiel nenne ich das elektronische Handelsregister. Geradezu stiefmütterlich behandelt sind das EGVP und die Videokonferenz. Diese sehr guten Einrichtungen werden ad absurdum geführt, weil, man glaubt es kaum, die Justiz diese tools blockiert, und weil die tools sehr umständlich sind. Viele Gerichte haben einfach kein EGVP, Anwälte können also mit diesen Gerichten nicht per EGVP kommunizieren. Völlig unverständlich daher das Wehklagen dieser  Gerichte darüber, dass die Gerichtsakten durch Telefaxe und zusätzlich übersandte Originale sinnlos vollgestopft werden. Einfache Abhilfe: EGVP anbieten, und zwar aktiv. Das aber sucht man vergebens. Angesichts der rasanten Entwicklung  um die Jusitz herum kann man mit Fug und Recht sagen: der Stillstand in diesem Bereich ist Rückschritt.

Daran ist aber auch die Anwaltschaft nicht schuldlos. Als vor einiger Zeit das Thema aufkam, die elektronische Kommunikation mit den Gerichten solle verbindlich werden, hört man von den Kammern als erstes einen gellenden Aufschrei nicht darüber, sondern darüber, dass auch die Kammern zu dieser Art der Kommunikation verpflichtet werden sollten. Die Selbstverwaltung ist sicher ein hohes Gut, sie ist aber kein Selbstzweck. Und so bleibt bei Äußerungen dieser Art der fatale Eindruck, dass die Kammern sich nicht mit dem Thema in der Sache, sondern in einer Nabelschau lieber mit sich selbst und ihrer Selbstverwaltung befassen. Als wir vor Jahren das EGVP bei uns eingeführt haben, erhoffte ich mir Unterstützung von der Kammer. Die war schnell enttäuscht, weil niemand wusste, was das überhaupt war.

Also: auf und zurück in die Steinzeit? nein, auch hier gilt: die Probleme muss der Anwalt selbst anpacken und lösen. Vom Liegenlassen könne Ansprüche verjähren, Probleme in der Kanzlei werden so aber sicher nicht gelöst. Im Gegenteil: man sieht jeden Tag die gleichen Defizite, darf sich aber jeden Tag aus dem gleichen Grund aufregen. Das sollte uns Anwälten zu langweilig sein. Es ist auch ein Armutszeugnis, auf gesetzlichen Zwang beim elektronischen Rechtsverkehr zu warten. Die Anwaltschaft muss hier der Vorreiter sein und sinnvolle tools wie EGVP und Videokonferenzen aktiv einfordern.

 

VonProf. Dr. Wolfgang Sturm

Vom BGH am 05.09.2012 bestätigt: bei den Fristen ist der Anwalt der Dumme / oder: Frust mit der Frist: hätten Sie’s gewusst? wenn ein Fax nicht durchgeht, muss man eine andere Nummer suchen!! / Kontrast zum EB unter Anwälten

Jaja, so ist das mit den Juristen und den Fristen: auf der einen Seite billigen die Gerichte Anwälten ausdrücklich zu, die Frist bis zur letzten Sekunde auszureizen (wozu sind Fristen auch sonst geschaffen?), auf der anderen Seite werden die Damen und Herren Richter schnell schmallippig, wenn es nach Fristversäumnissen um Wiedereinsetzung geht.

Der beste Rat ist wie immer der einfachste: die Fristsachen ausreichende Zeit vor Fristablauf erledigen. Das aber nützt nichts, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist.

In dem vom BGH am 5. September 2012 (VII ZB 25/12, NJW 2012, 3516) entschiedenen Sachverhalt hatte der Kläger am letzten Tag der Frist etliche Male – vergeblich – per Telefax versucht, dem Berufungsgericht einen Antrag auf Verlängerung der Berufungsfrist zuzusenden.  Den Antrag auf Wiedereinsetzung wies der BGH zurück. In wohlgesetzten Worten ließ der den Kläger wissen, dass er aus dem Internet eine weitere Telefaxnummer des Berufungsgerichts „in Erfahrung bringen und den Verlängerungsantrag an dieses Empfangsgerät hätte senden können“.

Das wird dem Kläger, der mit seinen vielen Versuchen ja schon gemeint hatte, alles zur Einhaltung der Frist notwendige getan zu haben, sicher nachhaltig die Sprache verschlagen haben, zumal in der Entscheidung des BGH nicht erwähnt wird, ob denn das vergeblich versandte Telefax des Klägers von diesem anderen „Empfangsgerät“ empfangen worden wäre.

Es ist zu bedauern, dass es den Gerichten nach unserer Einschätzung häufig am Verständnis dafür fehlt, unter welch enormem Druck Anwälte arbeiten. Die Realität der Anwälte ist weit entfernt von Liebling Kreuzberg oder sonstigen „Gestalten“, die zudem weiß Gott kein Aushängeschild für die Anwaltschaft sind. Ich möchte jedenfalls mit solchen Witzfiguren eben so wenig in einen Topf gesteckt werden wie mit Richterin Salesch oder den Anwälten im Tatort, die nicht so sehr als Organ der Rechtspflege, sondern bestenfalls als Rechtsverdreher, im schlimmsten Fall als Mittäter oder gar Anstifter dargestellt werden. Arbeitszeiten von 60 Stunden und mehr sind kein „Privileg“ der Großkanzleien. Das gleiche gilt für die Flut an E-Mails, Telefaxen und der schönen alten Papierpost.

Wer diese Welt nicht kennt, dem fällt es einfach, mit Abstand betrachtet einem Anwalt zu sagen, was er – ganz einfach – nur hätte machen müssen. Das ist wie bei Fußball: die Väter können vom Spielfeldrand die besten Tore schießen, und auch vom Sofa aus ist die Lage deutlich entspannter als auf dem Platz.

Und einen Punkt blendet der BGH völlig aus: Die Weigerung, die Justiz mit heute technisch selbstverständlichen Einrichtungen wie z.B. dem EGVP zu versorgen, wird so auf dem Rücken der Anwaltschaft ausgetragen. Eine Übermittlung per EGVP wäre sicher geglückt, würde denn das Berufungsgericht an dem Verfahren teilgenommen haben. Und da sieht es in der Tat sehr mau aus.

Der Vorteil des EGVP auch in diesem Fall liegt klar auf der Hand. Per EGVP können mehrere Anwälte Dokumente gleichzeitig an ein Gericht senden. Das ist sicher banal, aber ein wichtiger Unterschied zum guten alten Telefax. Wenn eine anderer sendet, ist das Gerät „besetzt“. Das kommt mir in einem Zeitalter, in dem man E-Mails – nicht erst seit ein paar Jahren – in Sekundenschnelle von Kontinent zu Kontinent senden kann, geradezu vorsintflutlich vor. Es erinnert an die alte „Amtsstube“ und den aufmunternden Ausruf eines seit Jahren auf die Pensionierung wartenden Beamten: „der Nächste bitte“ oder, auch nicht selten, die zeitungslesende Variante dieser Spezies: „warten Sie bitte noch draußen, bis sie gerufen werden“.

So etwa stelle ich mir die Situation vor, der der arme Kollege zum Opfer fiel. Denn damit ist die Geschichte ja nicht zu Ende. Der Mandant wird den Kollegen wegen der vom BGH festgestellten Pflichtverletzung sicher in Anspruch nehmen. Auch das kümmert Richter eher wenig.

In einem schon geradezu bizarren Kontrast dazu steht die Entscheidung des BGH vom 19. April 2012 (IX ZB 303/11, NJW 2012, 2117). In dieser Entscheidung hatte ein Kollege das EB zu einer Entscheidung, die die andere Seite am 3. Juni 2011 erhalten hatte, erst mit Datum 30. Juni 2011 an das Gericht zurück gesandt. Entsprechend entschied der BGH, dass die Berufung, um die es hier ging, zulässig war. Ganz erstaunlich, wie hoch der BGH hier die Anwaltschaft hängt. Aus der Entscheidung zitieren wir wörtlich:

 „6] a) Die Zustellung gegen Empfangsbekenntnis ist dann als bewirkt anzusehen, wenn der Rechtsanwalt das ihm zugestellte Schriftstück mit dem Willen entgegengenommen hat, es als zugestellt gegen sich gelten zu lassen, und dies auch durch Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses beurkundet. Zustellungsdatum ist also der Tag, an dem der Rechtsanwalt als Zustellungsadressat vom Zugang des übermittelten Schriftstücks Kenntnis erlangt und es empfangsbereit entgegengenommen hat. Ein derartiges Empfangsbekenntnis erbringt als Privaturkunde i. S. von § ZPO § 416ZPO (BGH, NJW1990, NJW Jahr 1990 Seite 2125) grundsätzlich Beweis nicht nur für die Entgegennahme des darin bezeichneten Schriftstücks als zugestellt, sondern auch für den Zeitpunkt der Entgegennahme durch den Unterzeichner und damit der Zustellung“.

Sogar Unordnung im Büro des Anwalts wird nicht gerügt, im Gegenteil: sie wird belohnt, wenn der BGH ausführt:

Außerdem kann dem Bevollmächtigten der Kl. das Urteil aus verschiedensten Gründen infolge eines kanzleiinternen Versehens nicht im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit dem Eingang vorgelegt worden sein.“

„Ferner kann das Urteil auf Grund von Nachforschungen innerhalb der Kanzlei des Bevollmächtigten der Kl. aufgefunden worden sein.

Das ist ja schon eine tolle Büroorganisation. Denn wenn „Nachforschungen“ in einem Büro dazu führen, dass Urteile aufgefunden werden, dann müssen die Urteile ja vorher verschwunden sein! Mit einer solchen Büroorganisation mehr Nachsicht zu haben als mit dem Kollegen, der verzweifelt versucht, ein Telefax zu senden und am Empfangsgerät des Gerichts scheitert, ist mir nicht verständlich. Die Entscheidung hat einen weiteren Nachteil: sie ermuntert geradezu die Kollegen, die schon immer die EBs nicht oder viel zu spät zurückreichen, ihr Treiben fortzusetzen.

VonProf. Dr. Wolfgang Sturm

„Ein Mensch, der sich ein Schnitzel briet, bemerkte, dass es ihm mißriet. Doch weil er es sich selbst gebraten, tat er, als sei es ihm geraten“. Warum Richter und Anwälte Vergleiche lieben

Das Zitat von Eugen Roth passt einmal mehr wie die Faust auf’s Auge. Die Mediation und die Streitvemeidung sind en vogue. Das ist grundsätzlich gut so, ist aber letzlich nur alter Wein in neuen Schläuchen. Jeder seriöse Berater wird seinen Mandanten nicht in einen Streit treiben, sondern immer eine Einigung anstreben. Wenn es dann aber nur um eines Vergleichs willen zu Auswüchsen kommt, die dazu führen, dass das Recht kein Recht mehr ist, dann ist die Grenze des Erträglichen überschritten. Leider gehört es zu täglichen Praxis nicht weniger Gerichte, Prozesse nicht lege artis zu führen, sondern die Parteien um jeden Preis zu einem Vergleich zu bringen. Manches, was bei Gerichten geboten wird, ist schon fast Rechtsverweigerung. Ein Vergleich spart das Urteil und damit die Arbeit; das kann schon dazu verleiten, es mit der eigentlichen Arbeit nicht so genau zu nehmen, sondern den „Aufhänger“ zu suchen, an dem man einen Vergleich aufziehen kann. Irgendein Haar in der Suppe wird man schon finden, und sein es noch so sehr „an den Haaren herbeigezogen“. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Und für die Anwälte hat so ein Vergleich auch etwas Gutes: ein schnelles Ende macht einen Prozess bei Abrechnung nach Gebührenordnung, bei dem die Zeit und damit der Einsatz des Anwalts absurderweise nicht relevant sind, lukrativer als ein zu Ende geführter Prozess. Da kann es dem einen oder anderen Kollegen schon mal passieren, das Honorarinteresse über das Interesse des Mandanten zu stellen. Und auch die Kolklegen, die handwerklich schlecht arbeiten, haben nichts gegen Vergleiche einzuwenden. Denn wenn erst einmal das vernichtende Urteil im Haus ist, sieht es schlecht aus. Selbst die Aussicht auf die Berufung ist dann kein Trost, wenn des Mandant wegen des klaren Urteil die Fehler des eigenen Anwalts erkennt und der für die Berufung das Büro wechselt.

Nicht dass wir uns falsch verstehen. Ein Vergleich kann die Wahl der Wahl sein. Ob das aber so ist, hängt davon ab, dass der Mandant alle Chnacen und Risiken des Streits kennt; nicht nur die rechtlichen, sondern auch die wirtschaftlichen. Und da stellen wir immer wieder fest, dass den Mandanten ein Vergleich nicht erklärt, sondern schöngeredet wird. Mandanten erkennen das im Zeitalter des internets immer häufiger., und das ist auch gut so. Am Ende des Tages ist Geiz eben nicht geil. Richtige gute Qualität ist eben nicht zum Discounttarif zu haben.
ws

VonProf. Dr. Wolfgang Sturm

Der gefährliche Passus „nach Diktat außer Haus“ der Rechtsanwältin / des Rechtsanwaltes

Es kommt nicht selten vor, dass der eine Sache verantwortende Rechtsanwalt von ihm diktierte und autorisierte Schriftsätze nicht unterzeichnet, sondern von einem Rechtsanwalt / einer Rechtsanwältin unterzeichnen lässt. Häufig finden sich dann Formulierungen wie „nach Diktat außer Haus“, „für Rechtsanwalt XYZ“ oder „für Rechtsanwalt XYZ, nach Diktat verreist“. Ob diese Klauseln sinnvoll sind, oder ob sie dem Mandanten als Kunden signalisieren, dass hier in großer Eile und mit der „heißen Nadel“ gearbeitet worden ist, ist die eine Frage, die eindeutig zu beantworten ist. Eine andere Frage ist, ob solche Zusätze dazu führen, dass in den Fällen, in denen eine eigenhändige Unterschrift erforderlich ist, nachteilige Rechtsfolgen drohen.

Der BGH hatte sich mit einem solchen Sachverhalt zu befassen. Mit Beschluss vom 16. Juli 2012 (III ZB 70/01, NJW Spezial 2012, 670) entschied der BGH, dass jedenfalls dann eine eigenhändige Unterschrift vorliegt, wenn der Schriftsatz tatsächlich von einem Rechtsanwalt / einer Rechtsanwältin unterzeichnet wird und hinreichend klar zum Ausdruck gebracht wird, dass der den Schriftsatz unterzeichnende Rechtsanwalt / die Rechtsanwältin die Verantwortung für den Inhalt des Schriftsatzes übernimmt.

Allerdings stellen sich dann wegen der Übernahme der Verantwortung möglicherweise auch haftungsrechtliche Probleme.

Wir meinen, dass es sinnvoller ist, auf solche Zusätze zu verzichten, bei denen der Mandant den Eindruck gewinnt, dass mit „heißer Nadel“ genäht worden ist.

VonProf. Dr. Wolfgang Sturm

LG Detmold und AG Lemgo: „2 Juristen, 3 Meinungen“. Eine Abdeckung, die zu kurz ist, muss nicht auch vertraglich zu kurz sein. Sie kann, auch wenn es unsinnig ist, vertraglich so geschuldet gewesen sein.

„Vor Gerichten und auf hoher See“ ist man in Gottes Hand. Diese Erfahrung müssen Anwälte öfter machen als es ihnen lieb ist. Wir hatten vor kurzem dieses zweifelhafte Vergnügen in einem Berufungsverfahren, dessen Ergebnis uns (hoffentlich) nach der Lektüre der uns nocxh nicht vorliegenden Gründe erschließt. Uns geht es hier nicht darum, dass wir uns als schlechte Verlierer einer Berufung bei einem Wert von rd. 700 EUR outen, wir möchten hier nur – wenn auch einseitig – über unsere Erfahrungen berichten und ein wenig zur Erheiterung beitragen.

Was war passiert? Unsere Mandantin, eine GmbH & Co. KG, hatte eine Abdeckung für eine fest eingebaute Fräse (ca. 5 x 10 Meter) bestellt. Diese Fräse warf leider bei ihrer Arbeit die Späne in alle Richtungen heraus. Dem sollte eine Abdeckung in Ziehharmonika-Bauweise Abhilfe schaffen. Der dazu gerufene (umsichtige) Unternehmer sah sich die Fräse an, verstand, wie sie arbeitete, sah die „Verfahrwege“ und machte ein schriftliches Angebot über die Abdeckung, wie man es sich als Jurist nur wünschen kann. Das nahm unsere Mandantin zum Pauschalpreis an. Soweit alles unstreitig.

Es kam, wie es kommen musste. Die Abdeckung war zu kurz und musste verlängert werden. Unter dem Titel „Nachbesserung“ stellte der Unternehmer unserer Mandantin zu deren Überraschung rd. 1.500 EUR in Rechnung. Jetzt stritten sich die Parteien vor dem AG Lemgo, wer denn die Maße für die Abdeckung an der Maschine gemessen habe. Es fanden sage und schreibe drei mündliche Verhandlungen und zwei Zeugenvernehmungen statt.

Ergebnis des AG Lemgo: Der Unternehmer habe eine komplette Abdeckung geschuldet, die Verlängerung sei Nacherfüllung. Diese sei ohne Anspruch auf weiteren Werklohn zu erfüllen. Aber: unsere Mandantin habe dem Unternehme die „Sowieso-Kosten“ zu zahlen. Hätten sich die Parteien sofort auf eine längere Abdeckung geeinigt, dann hätte unsere Mandantin dafür einen höheren Preis zahlen müssen als für die zu kurze Abdeckung. Ah ja, haben wir gedacht. Geh zu Gericht und Du lernst dazu. Unser Lerneffekt: die Nacherfüllung ist „kostenlos“, die Pflicht zur Vergütung wird aber durch die „Hintertür“ wieder eingeführt.

Mit Entscheidungen, die in sich widersprüchlich sind, kann ich nicht leben, also ging es in die Berufung.

Das LG Detmold, Kammer für Handelssachen, tagte in voller Besetzung. Das Gericht gab mir recht. Nacherfüllung ist kostenlos, das Amtsgericht habe falsch geurteilt. Leider hatte ich mich zu früh gefreut. Denn der Vorsitzende war mit seinem Vortrag noch nicht fertig. Weiter führte er aus: Das Amtsgericht sei von einer ganz falschen Voraussetzung ausgegangen. Denn der Unternehmer habe ohnehin nur eine (zu) kurze Abdeckung geschuldet. Das folgerte das Gericht aus der Angabe „L.max.“ in dem Angebot. Hmmm. Das bedeutet: die Parteien sind sich darüber einig, dass die Abdeckung die Fräse komplett abdecken soll (etwas anderes hätte man mit guten Gründen vortragen müssen), aber aus der Bezeichnung „L max“ hätte unsere Mandantin (die die Abdeckung nicht anfertigen, sondern bezahlen sollte) erkennen müssen, dass die Abdeckung zu kurz war. Das war mit in der Tat neu und auch zu hoch. Der Unternehmer schuldet das Werk. Wenn das so ist, kann ich den Besteller für Fehler des Unternehmers nicht in die Pflicht nehmen.

Wäre es so gewesen, wie das LG meinte, dann hätte unsere Mandantin sofort moniert, dass Lmax zu kurz war. Nein, jetzt weiß ich, wie es war. Meine Mandantin hat von Anfang gewusst, dass der Preis für eine zu kurze Abdeckung niedriger ist. Daher hat sie sich (Trick 17) bewusst ein Angebot für eine zu kurze Abdeckung machen lassen, um dann später über die Nacherfüllung die teurere Abdeckung zu einem günstigen Preis zu erhalten. Das ist ja gewitzt! Gäbe es das LG Detmold nicht, dann hätte ich nie erfahren, wie überaus gerissen meine Mandantin ist.

Oder war es vielleicht doch so, dass sowohl Amts – als auch Landgericht einfach daneben liegen? Diesen Gedanken habe ich erst gar nicht aufkommen lassen. Ich bin auf die Begründung gespannt, mit der das LG die Berufung zurückgewiesen hat.
/ws

VonProf. Dr. Wolfgang Sturm

Ehemalige Richter nicht nur als Rechtsanwälte, sondern auch als Steuerberater

Marketing ist auch ein Thema für Rechtsanwälte und Steuerberater. Darüber, wie Rechtsanwälte und Steuerberater sinnvollerweise Marketing betreiben sollten, gibt es unterschiedliche Auffassungen. Nicht jedes Konzept passt auch zu jedem Geschäftsmodell. Die Rechtsprechung hatte in der letzten Zeit häufig mit ehemaligen Richtern zu tun, die sich als Rechtsanwalt oder Steuerberater niederlassen. Das OLG Karlsruhe hat am 22. August 2012 (4 U 90/12) entschieden, dass ein früherer Richter neben der Berufsbezeichnung „Steuerberater“ im beruflichen Verkehr den Zusatz „Vorsitzender Richter a.D.“ nicht verwenden darf. Der von dem früheren Richter verwendete Zusatz verstößt nach Auffassung des OLG gegen § 43 Abs. 2 Satz 2 Steuerberatungsgesetz. Danach ist es Steuerberatern ausdrücklich untersagt, auf eine ehemalige Beamteneigenschaft hinzuweisen. Den gleichen Grundsatz wendet das OLG auf den erstrebten Zusatz „Vorsitzender Richter a.D.“ an.

Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig. Sie zeigt aber einmal mehr, dass auch im Bereich des Marketings die Bereitschaft groß ist, vor Gericht zu ziehen.