Kategorien-Archiv Anwaltsmanagement

VonProf. Dr. Wolfgang Sturm

Der Schlaf des Gerechten – auch eine Art Rechtsverweigerung; zugleich ein Beitrag zur Akzeptanz moderner Mittel in der Justiz

Am 13.07.2001 wurde es verabschiedet, das „Formvorschriftenanspassungsgesetz“ (BGBl I 2001, 1542); ergänzt durch das Zustellungsreformgesetz vom 25.06.2001 (BGBl I 2001, 1206) sollte es den Durchbruch in die Welt der papierlosen Kommunikation mit Behörden und Gerichten eröffnen. Die Schriftform kann seitdem durch die qualifizierte elektronische Signatur ersetzt werden. Wieviel Porto hätte gespart werden können, und wie wenig Streit gäbe es um die Unsitte der nicht zurück gesandten Empfangsbekenntnisse ? Doch was ist seit 2001 geschehen ? erschreckend, aber wahr: praktisch nichts; während der Schriftwechsel mit den Mandanten im Wesentlichen per E-Mail erfolgt, nutzen fast alle Gerichte noch immer die gute alte Post, Und selbst solche Gerichte wie das VG Minden, das zu den ganz ganz wenigen Gerichten in NRW gehört, die das EGVP nutzen, kommunizieren oft lieber per Telefax.

Ansonsten gibt es in NRW bei den Landgerichten nur das LG Köln, mit dem man per EGVP kommnizieren kann. Ein Lob der Finanzgerichtsbarkeit in NRW: 100 %, das sind alle drei Finanzgerichte, nehmen am EGVP teil, sie haben sogar Videokonferenz. Solange aber die meisten Anwälte technisch gesehen noch immer im Dornröschenschlaf sind, wird es wohl keinen großen Druck auf die Gerichte geben, um die Teilnahme zu ehöhen. Und die Kammern als berufsständische Vertretungen und der DAV ? wir haben nicht den Eindruck, dass hier großes Interesse besteht. Schade, Recht 2.0 findet ohne die Anwaltschaft statt.

VonProf. Dr. Wolfgang Sturm

Die Zukunft der Anwälte……sieht anders aus als die Gegenwart und sicher noch ganz anders als die Vergangenheit; zugleich ein Votum für QM in der Kanzlei

Während die Globalisierung immer kleinere Unternehmen (be)trifft, teilen sich trotz geringerer Steigerungsraten  immer mehr Anwälte einen auf Deutschland beschränkten und zudem immer kleiner und immer schwieriger werdenden Markt. Was vor Jahren noch undenkbar war, ist heute die Realität: wer sich einen ersten Überblick zu einer Rechtsfrage verschaffen will, schafft das dank der Suchmaschinen sehr schnell. Auch wenn die Ergebnisse nicht immer die besten sind, allein das rechtliche Know-How ist es schon lange nicht mehr, dass die Mandanten zu einem Anwalt treibt. Und selbst  wenn das Image besser geworden sein soll, einen „Rechtsverdreher“ braucht heute niemand. Und wer als Anwalt seinen Mandanten nicht das Gefühl geben kann, Probleme zu lösen, sondern bei dem Mandanten nachhaltig den Eindruck hinterlässt, den bestehenden Problemen nur weitere hinzugefügt zu haben, der wird künftig am Markt chancenlos sein. Hinzu kommt die Unbeweglichkeit der Anwaltschaft, die noch stark an alten Strukturen hängt. Während Steuerberater und Wirtschaftsprüfer schon lange nicht für jeden Mitarbeiter einen festen Arbeitsplatz haben, tun die Anwälte sich damit schwer. Sie hängen noch stark an der „Residenzpflicht“; und selbst im schon vor längerer Zeit eingeläuteten Zeitalter des EGVP kann man noch immer eine Massierung von Anwälten im Umfeld von Gerichten beocbachten.   

Es klingt banal, aber traurigerweise hat es sich noch nicht sehr weit herumgesprochen: auch eine Kanzlei ist ein Unternehmen, in dem es darum geht, Gewinn zu erzielen. Wäre es anders, wäre eine Kanzlei ein Unternehmen der Wohlfahrt. Das aber ist nicht nur in der Köpfen vieler Anwälte noch nicht angekommen, auch bei den Mitarbeitern machen sich nicht viele von ihnen Gedanken darüber, dass das Gehalt nicht vom Himmel fällt. Die Identifikation mit dem eigenen Unternehmen ist daher oft nicht sehr weit ausgeprägt. An dieser Aussage ändert es auch nichts, dass Anwälte Organe der Rechtspflege sind.  Denn wer am Markt bestehen möchte, der muss erkennen, dass er ein Unternehmen hat, das am Markt um Kunden kämpft, auch wenn diese Mandante heißen. Hier geht es u.a. einmal darum, seinen Kunden Mehrwerte gegenüber der Konkurrenz zu bieten. Das Modell des Anwalts, der meint, er habe „Stammkunden“ (um der sich nicht mehr kümmern müsse, weil er sie ja schon hat), der ist unrettbar ein Auslaufmodell. Denn jeder Mandant kann den Auftrag  jederzeit kündigen.  Und die Mandanten sind heute kritischer denn je. Wer hier gutes Geld fordert, der muss auch sehr gute Arbeit liefern. Nicht (nur) in der Akquisition neuer Mandanten liegt das Heil, einen ebenso hohen Stellenwert hat die Betreuung der bereits betreuten Mandanten.

Das alles macht nur Sinn in einem top durchorganisierten Unternehmen. Dabei ist der Stand der Technik das eine;  an erster Stelle aber steht die für das Anwaltsunternehmen optimale Organisation. Denn die verkürzt Wege, vermeidet Fehler, strafft die Abläufe und verbessert so auch die fachlichen Ergebnisse, Wer sich ständig darüber ärgert, dass seine Akten (physisch oder virtuell) nicht sauber geführt werden, dem fehlt diese Zeit bei seiner fachlichen Arbeit, und die fehlende Lebensfreude merkt er bei der Arbeit, aber auch in der Freizeit.

Viele Anwälte erkennen das Thema oder ahnen, dass die Perpetuierung übernommener Strukturen der falsche Weg ist. Sie schaffen es aber nicht, aus diesem Kreis auszubrechen und einen relaunch  ihres Unternehmens zu starten. Wer aber das Thema und seine Brinsaz erkennt und es anpackt, der wird trotz des enormen Zeitaufwandes, der für eine Retrukturierung notwendig ist, erhebliche Erfolge haben.

Wer sich aber diesen durchaus schwierigen Prozess nicht zutraut oder die Zeit dafür nicht hat, der sollte professionelle Hilfe in Anspruch nehmen, die die guten Ratschläge aber auch in die Praxis umsetzt. Ein nur theoretisches Konzept, das der Anwalt selbst umsetzen soll, kann man sich sparen. Es wird in der Schublade verschwinden und dort verschimmeln.

Quintessenz: die Frage für die Anwälte ist nicht, ob man sich den beschriebenen Anforderungen stellt, sondern, wie schnell man das machen kann. Denn eins steht fest: wer nichts unternimmt, wird zur großen Masse der Verlierer gehören.  Denn die Zeit wird an ihm vorbeigehen, und zwar gnadenlos.

VonProf. Dr. Wolfgang Sturm

Zur Grundausstattung eines Anwalts gehört………. ein Zollstock (LAG Berlin-Brandenburg vom 10.01.2011), zugleich ein Beitrag zur Bedeutung der Schlitzgröße von Nachtbriefkästen

Das LAG Berlin-Brandenburg hatte über einen Antrag auf Wiedereinsetzung zu entscheiden. Es hat ihm nicht stattgegeben. Was war passiert ? Ein Anwalt hatte am letzten Tag der Frist (sic !) einen Schrifsatz mit vielen Anlagen (nach der Entscheidung war der Schriftsatz im Umschlag 4 cm dick) einen Kurierdienst beauftragt, den Umschlag noch am gleichen Tage bei dem Gericht in den Briefkasten einzuwerfen. Die Übergabe an den Kurierdienst erfolgte zwischen 17:00 und 18:00 Uhr, der Kurierdienst garantierte die Zustellung am gleichen Tage. Vor Ort am Briefkasten musste der Zusteller aber feststellen, dass der Umschlag nicht in den Briefkasten passte, weil er zu dick war (nach der Entscheidung des LAG maß der Schlitz 3,2 cm, er war also 0,8 cm zu klein. Der Kurier warf das Schriftstück nicht ein, sondern gab es am nächsten Tag und damit nach Fristablauf  bei Gericht ab. Pech.

Der Anwalt stellte wegen unverschuldetem Versäumen der Frist einen Antrag auf Wiedereinsetzung, Wer denkt, dass das Gericht dem Antrag stattgegeben hätte, der ist ein Schelm. Das LAG wies den Antrag mit Beschluss vom 10.01.2011 (20 Sa 1659/10) zurück. Es beschied den Antragstelle, er habe ein Organisationsverschulden begangen. Denn er habe keine ausreichenden Vorkehrungen für die fristwahrende Zustellung getroffen. Es gäbe, so das LAG, jedenfalls nicht in Berlin und auch nicht bei der Post eine einheitliche Schlitzgröße für Briefkästen. Bei den Berliner Gerichten variiere die Größe der Schlitze von 3,0 bis 6,5 cm. Auch wenn ein bis 5 cm dicker Umschlag postalisch noch als „Brief“ gelte, so habe der Anwalt sich doch zu vergewissern, dass sein Schriftstück „zustellfähig“ ist, also auch durch den Schlitz, für den es bestimmt sei, hindurch passe. Ernsthaft führt das LAG dann weiter aus, dass dem Anwalt die Schlitzgröße aufgrund eigener Wahrnehmung hätte bekannt sein müssen (denn der Briefkasten befände sich ja neben dem Eingang zum Gericht und dort komme der Anwalt ja schon mal vorbei). Nach dem LAG hätte der Anwalt zudem Veranlassung gehabt, die Maße des Gerichtsbriefkastens vorher zu ermitteln.

Die Entscheidung lässt den Leser erstaunt zurück. Die Frage, dass Anwälte zunächst die Größe der Schlitzes von Gerichtsbriefkästen ermitteln müssen, ist durch die Entscheidung jedenfalls geklärt. Es ergeben sich aber weitere Fragen. Hier sei nur ein kleiner Ausschnitt genannt:

Sind Gerichte gesetzlich zu verpflichten, die Schlitzgröße auf den Briefbögen und im Internet anzugeben ? wenn je, wer ergreift dazu die Initiative ?
wie genau muss ein Zollstock sein, um richtige Meßergebnisse zu erzielen ?
gibt es Vorgaben an das Messverfahren ?
müssen die Gerichtsbriefkästen geeicht werden ? und wenn ja, in welchen Abständen ?
wie wird das Personal geschult, um falsche Messungen zu vermeiden ?
was ist, wenn der Gerichtsbriefkasten voll ist ?

In diesem Zusammenhang ist erneut zu beklagen, dass es derartiger Entscheidung nicht bedarf, wenn alle Gerichte verpflichtet wären, am EGVP – Verfahren teilzunehmen. Dort gibt keine Schlitzgröße wie bei einem Briefkasten, aber auch bei dem EGVP – Verfahren gibt es Datenbegrenzungen. Eine Nachricht mit Anlagen darf ein bestimmtes Datenvolumen nicht übersteigen. Dem lässt sich aber einfach begegnen, indem eine Nachricht aufgeteilt und in mehreren Teil-Nachrichten versandt wird. Solange aber erschreckenderweise die weitaus überwiegende Mehrheit der Gerichte nicht per EGVP erreichbar ist, und solange es solche Entscheidungen wie die des LAG zur Schlitzgröße von Briefkästen gibt, muss sich bei den Gerichten niemand wundern, wenn Anwälte den sichersten Weg gehen und umfangreiche Schriftsätze per Telefax versenden. Im Zeitalter, wo es möglich ist, riesige Datenmengen in Sekundenschnelle zu versenden, kommt einem die Entscheidung des LAG vor wie aus der „Fred Feuerstein“ – Zeit.

Wir wissen, dass man im Nachhinein immer klug daher reden kann, aber wollen wir doch mal darauf schauen, wie das Desaster hätte verhindert werden können:

Der Kurier hätte die Sendung aufmachen und in zwei „Tranchen“ einwerfen können. Hier ist es gut, den Kurier nicht einfach losfahren zu lassen, sondern ihm eine Telefonnummer zu geben, falls es Probleme gibt. Das ist heute kein Problem mehr.

Das einfachste aber wäre es gewesen, die Frist nicht am letzten Tage, sondern eine Woche vorher zu erledigen. Das kann nach unseren Erfahrungen, wenn auch nicht von heute auf morgen, so aber doch nach gewisser Zeit, durch ein gutes Kanzleimanagement erreicht werden. 

Übrigens: es ist nicht bekannt, ob der Kurierdienst für den Schaden haftet.

VonProf. Dr. Wolfgang Sturm

Richtig abrechnen; OLG Frankfurt erweist Mandanten und Anwälten einen Bärendienst und schafft neue Arbeit

Das OLG Franfurt hatte am 12.01.2011 (4 U 3/08) nach Zurückweisung durch den BGH erneut über die Honorarklage einer Anwaltskanzlei auf Zahlung restlichen Honorars und über die Widerklage auf Rückzahlung erheblicher Teile gezahlten Honorars zu entscheiden. Ergebnis: von den rund 256 TEUR noch offenen Honorars sprach das OLG den Anwälten rund 246 TEUR zu, von den mit Widerklage geforderten rund 480 TEUR erhielten die Mandanten dagegen nur rund 150 TEUR zugesprochen.

Die Stundensätze des Jahres 2001 in Höhe von umgerechnet rund 500 und 315 EUR ließ das OLG im Streitfall nach „Rüffel“ durch den BGH unbeanstandet. Das Urteil widmet sich über viele Seiten in lesenswerter Art den Tätigkeiten der Anwälte. Nach den vom BGH aufgestellten Maßstäben prüfte das OLG, ob die Anwälte die abgerechnete Zeit stichtwortartig in einer auch im Nachinein verständlichen Weise dargelegt haben, insbesondere, welche konkreten Tätigkeiten abgerechnet worden sind. Und da fängt das Dilemma an: bei einer Abrechnung nach Zeitaufwand legt der Mandant Wert darauf, dass zügig gearbeitet wird. Er erwartet zu Recht, dass der Anwalt als Experte nicht wochenlange rechtliche Recherchen anstellt, sondern schnell zu den rechtlichen Kernpunkten kommt. Gerade aber bei komplexen Tätigkeiten, auf die das RVG ersichtlich nicht zugeschnitten ist, geht es nicht nur um die rechtliche Recherche, es geht auch um Sachverhalte, um Verhandlungen, Verhandlungsgeschick und um Strategien. Und das sind die Tätigkeiten, die häufig viel mehr Zeit in Anspruch nehmen als die bloße rechtliche Recherche. Das Recht bildet so gesehen den Rahmen für den kreativen Teil. 

Die Empfehlung im Anwaltsblatt 4 / 2011 auf Seit 318, praktisch jedes Telefonat dem Mandanten schriftlich zu bestätigen, ist nicht nur gar nicht praktikabel, es wird im Gegenteil den Mandanten in höchstem Maße erzürnen, weil dieser sehr schnell zu dem Schluss kommen wird, dass der Anwalt auf diese Weise den Stundenaufwand nur künstlich „aufblähen“ möchte. Im Ergebnis gibt die Rechtsprechung Anwälten wie Mandanten  Steine statt Brot. Denn ist wird immer eine Tatfrage bleiben, ob der Stundenaufwand korrekt nachgewiesen ist. Hilfreich sind hier Klauseln in den Honorarvereinbarungen, die die Mandanten verpflichten, die mit den Rechnungen übersandten Tätigkeitsberichte in bestimmten Fristen zu beanstanden. Dann können die Dinge schnell und vor allem zeitnah geklärt werden. Anwälte werden künftig auch darüber nachdenken müssen, ob sie ihre Vergütungsvereinbarung um eine Mindestvergütung ergänzen, in der sie z.B. einen bestimmten Gegenstandswert und ein Vielfaches einer Gebühr festlegen.

VonProf. Dr. Wolfgang Sturm

Die Tücke des Objekts: Videokonferenz: Dichtung und Wahrheit oder: es ist noch schlimmer als gedacht

Die Videokonferenz hält Einzug in die Gerichtssäle. Wenn da nur nicht die verdammte Technik wäre, oder besser gesagt, wenn sie vorhanden oder besser noch, wenn sie vorhanden wäre und funktionierte.

Wer 1.400 km wegen einer mündlichen Verhandlung zu einem Landgericht fahren muss, der ist froh, dass es die Videokonferenz gibt. Noch fröhlicher ist er, dass das Prozessgericht über die Technik verfügt. Doch dann beginnt die Geschichte: für das Gericht, vor dem der Termin stattfindet, ist dies die erste Videokonferenz und damit die „Premiere“. Da nicht jeder Anwalt eine teure Anlage kaufen oder leasen möchte (geht nur über ISDN, also Telefon) ist es eine Variante, ein System bei einem nahe gelegenen Gericht zu nutzen. Und da kommt der Tragödie zweiter Teil: sage und schreibe ein Landgericht im Umkreis von 50 km verfügt über eine Videokonferenzanlage. Die aber wurde vor 10 Jahren gekauft, hat nie funktioniert, hat wohl auch keinem gefehlt, sonst hätte man sie zum Laufen gebracht. Die einzelnen Teile der Anlage sind nicht im Haus. Sie müssten erst beschafft werden. Kostenpunkt für uns: 1.000,00 EUR. Also: Thema erledigt. Dafür gab es den Hinweis, dass das örtliche Verwaltungsgericht, der Technik im Regelfall sehr aufgeschlossen, zwar keine Videokonferenz, wohl aber einen Videorecorder habe…. Vielleicht versuchen wir es ja mal mit dem…..        

Fazit: alle reden von der Umwelt, aber die Anwälte verbringen jedes Jahr Millionen von km auf der Straße, obwohl dies mit der Videokonferenz nicht notwendig wäre.

VonProf. Dr. Wolfgang Sturm

BGH-Beschluss vom 21.12.2010 macht das EGVP zur bösen „Wundertüte“ ?: Einleuchtendes, aber auch Fragen über Fragen

Der BGH hat mit Beschluss vom 21.12.2010 (VI ZB 28/10, AnwBl. 4 / 2011) entschieden, dass bei Nutzung des EGVP eine digitale Signatur auch tatsächlich von dem postulationsfähigen Anwalt vorgenommen werden müsse. Im Fall des BGH hat eine angestellte nichtfachliche Mitarbeiterin die Signaturkarte des Anwalts verwendet. Nach Ablauf der Rechtsmittelfrist wurde eine fehlerhafte Signatur festgestellt.

Nicht erstaunlich, so jedenfalls auf den ersten Blick. Genauso wie ein Schriftsatz nur von einem postulationsfähigen Anwalt unterschrieben werden darf, nicht aber von einem  nichtfachlichen Mitarbeiter, genauso darf auch die Signaturkarte nur von einem Anwalt verwendet werden. So weit so gut, oder? Hier aber beginnen die Fragen: wenn, wie in dem vom BGH entschiedenen Fall, das EGVP eine Sende- und eine Empfangsbestätigung ausgeworfen hat, wie konnte der Anwalt dann erkennen, dass ein Signaturfehler vorliegt ? Welchen Wert haben dann die Bestätigungen ? Sie sind doch der Nachweis dafür, dass ein Schriftsatz fristgerecht eingegangen ist. Sonst dürfte die Frist im Fristenbuch nicht ausgetragen werden.

Und warum gibt es überhaupt die genannten Bestätigungen, wenn ein Signaturfehler vorliegt, der Fehler wird ja nicht erst später entdeckt („Unterschrift der ReNo“), das System muss doch, wenn es für Rechtssicherheit in der Anwendung stehen soll, unverzüglich einen Fehler der Signaturkarte melden. Denn nur dann hat man die Chance, den Fehler zu beheben, zur Not ein Telefax zu senden oder sich ins Auto zu setzen. Hier den Anwalt ernsthaft auf die Wiedereinsetzung zu verweisen, ist kein praktischer Rat, wenn man zudem berücksichtigt, dass Anwälte nur dann pflichtgemäß handeln, wenn sie den sichersten Weg gehen.

Das hieße dann: Hände weg vom EGVP !! lieber wieder die Gerichte mit Telefaxen vorab bombardieren und dann alles noch einmal per Post hinterhersenden.

Wenn der Gesetzgeber die elektronische Signatur zulässt, dann muss er auch in Kauf nehmen, dass die Signaturkarte nicht von der Person, auf die sie ausgestellt ist, verwendet wird. Das ist dem System immanent und in Kauf genommen.

Und was ist in all den anderen Fällen, in denen kein Signaturfehler gemeldet wird, obwohl der Anwalt die Karte nicht bedient hat ? Alles unzulässige Schreiben. Also: ab sofort alles als unzulässig rügen, was per EGVP kommt, was für ein Spaß.

Ich glaube bei allem Verständnis, dass der BGH dem EGVP mit seiner Entscheidung einen Bärendienst erwiesen hat. Das ohnehin schon leider wenig genutzte System wird so vollends verkümmern. Also dann: auf auf, zurück in die Steinzeit !!!

VonProf. Dr. Wolfgang Sturm

Die lieben Fristen…ein Armutszeugnis für die Anwaltschaft…

45 % aller Haftpflichtfälle bei Rechtsanwälten sind nicht auf Fehler in der fachlichen Arbeit, sondern auf einfaches Versäumen von Fristen zurückzuführen (Quelle: GI Service 2011, S. 3, HDI Gerling). Das spricht für erhebliche Defizite in der Organisation und ist damit auch zugleich ein Armutszeugnis für den Berufsstand.

Mangelnde Zeit kann es nicht sein; denn interessanterweise haben die Kollegen immer viel Zeit, wenn es darum geht, „Reparaturversuche“ zu starten. Wiviel einfacher wäre es gewesen, die Frist einzuhalten. Dabei kann die Verantwortung nicht auf die Mitarbeiter im back-office geschoben werden. Fristsachen sind „Chefsache“.

Die von HDI Gerling genannt erschreckend hohe Zahl lässt nur ahnen, wie es mit der Organisation von vielen Anwälten bestellt ist. Wenn schon so wichtige Felder wie die Fristenkontrolle nicht fehlerfrei organsiert sind, wie sieht es dann mit den anderen Feldern aus: wie ist gewährleistet, dass „Fälle“ nicht versanden, weil der Anwalt einfach das bearbeitet, was die Gerichte ihm in den Kalender diktieren ? Und wie stellen Anwälte sicher, dass alle in einen Vertrag aufzunehmenden Punkte dort tatsächlich stehen ?

und was heißt das für die Qualität der fachlichen Arbeit ? 

Und nach Vertragsschluss lässt man den Mandanten allein ? das ist keine Arbeit lege artis. Hier muss man dem Mandanten zumindest anbieten, das Vertragsmanagement, wenn auch gegen Honorar, zu übernehmen.

Die -weltfremde- Arbeitsweise vieler Anwälte, die zum schlechten Ruf der Anwälte beigetragen hat, erinnert mich an die verblüffende Antwort eines Mitstreiters im Referendariat auf die Frage eines Richters: „was geschieht, wenn das Urteil verkündet worden ist“ ? erwartet war, dass man dann vollstrecken müsse. Der Mitstreiter antwortete dagegen ungerührt: „dann tritt der Rechtsfrieden ein“. 

Man kann nur hoffen, dass die Anwaltschaft ebenso wie der Mitstreiter damals erwacht, ihre Tätigkeit als Dienstleistung versteht und ihre Arbeit auch so macht; dazu gehört es auch, Fristen nicht zu versäumen.