Kategorien-Archiv Anwaltsmanagement

VonProf. Dr. Wolfgang Sturm

Die Justiz in Zeiten der Corona – Pandemie als „lahme Ente“ oder: Videokonferenz „Nein Danke“

Die Verfahrensordnungen mittlerweile aller Gerichtszweige ermöglichen es seit nunmehr rund 20 Jahren, an mündlichen Verhandlungen auch im Wege der Videokonferenz teilnehmen zu können. Schon vor der Corona – Pandemie war es erschreckend, wie wenig Gerichte in der Realität von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht haben. Nur eine verschwindend geringe Zahl an Gerichten verfügt überhaupt über die technischen Möglichkeiten, eine solche Videokonferenz durchzuführen.

Hier ist besonders das Finanzgericht in Münster zu loben. Es hat von Anfang an die Möglichkeit der Videokonferenz konsequent genutzt. Das Finanzgericht bietet auch Erörterungstermine im Wege der Videokonferenz an. Erst vor kurzem hatten wir einen solchen Termin. Der Berichterstatter hatte den Termin hervorragend vorbereitet und durchgeführt. Das Finanzgericht Münster gehört damit leider zu den ganz wenigen Gerichten in der Bundesrepublik, die diese Technik aktiv einsetzt. Die meisten anderen Gerichte befinden sich insoweit noch im tiefsten Dornröschenschlaf.

Wer jetzt gedacht hätte, dass die Corona-Pandemie, die zu einem wahren Boom bei den Anbietern von Videokonferenzsystemen geführt hat, wegen der angeordneten Reduzierung der persönlichen Kontakte auch die Justiz dazu bewegt hätte, verstärkt auf den Einsatz von Videokonferenzen zu setzen, der sieht sich getäuscht. Auch heute, nach über einem Jahr in der Corona Pandemie, verfügt die weitaus überwiegende Mehrheit der Gerichte noch nicht einmal über ein solches System. Und die wenigen Gerichte, die über ein solches System verfügen, lehnen, von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, Videokonferenzen durchweg ab. Die Ablehnung wird häufig damit begründet, dass das Verfahren für eine Videokonferenz nicht geeignet sei. Für mich hat sich bis heute nicht erschlossen, warum dieses Argument stichhaltig ist. Gerichte, die Anträge auf die Durchführung von Videokonferenzen ablehnen, müssen sich mit den Ablehnungen aber keine große Mühe machen. Die Beschlüsse sind nicht anfechtbar.

Stattdessen muten Gerichte es den Parteien und ihren Prozessbevollmächtigten noch immer zu, Anfahrtswege von bis zu 600 km (eine Strecke) an einem Tag auf sich zu nehmen, um an einer Verhandlung teilzunehmen, die vielleicht 30 – 120 Minuten dauert. Würde man hier die Maßstäbe des Arbeitszeitgesetzes ansetzen, müssten Rechtsanwälte die Teilnahme an solchen Verhandlungen als gesetzeswidrig ablehnen. Leider besteht auch nicht immer die Möglichkeit, auf öffentliche Verkehrsmittel zurückzugreifen. So ist beispielsweise das Landgericht in Weiden in der Oberpfalz mit öffentlichen Verkehrsmitteln nur sehr schlecht zu erreichen. Hier bleibt also keine andere Wahl, als die eigentlich unzumutbare An- und Abreise mit dem Pkw und damit über 1.000 km an einem Tag auf sich zu nehmen.

Diese von uns als „Verweigerungshaltung“ wahrgenommene Einstellung vieler Gerichten erstaunt angesichts der Tatsache, dass im Interesse des Klimaschutzes und der Umwelt Fahrten mit dem Pkw in anderen Bereichen möglichst vermieden werden sollen. All das gilt scheinbar nicht, wenn Rechtsanwälte und Parteien im Namen der Justiz unterwegs sind.

Wir können uns in diesem Zusammenhang auch nicht des Eindrucks erwehren, dass die geringe Verbreitung der Videokonferenztechnik auch auf eine in der Richterschaft anzutreffende Bequemlichkeit zurückzuführen ist. Populistisch gesprochen ist es für einen Richter, der klimapolitisch korrekt mit dem Fahrrad zum Gericht radelt, ja auch einfacher, die Parteien und ihre Prozessbevollmächtigte vor Gericht „erscheinen“ zu lassen als sich mit der Videokonferenztechnik herumzuärgern.

All das deutet darauf hin, dass die Justizverwaltung dem Einsatz der Videokonferenztechnik keine hohe Priorität einräumt. Insgesamt ist das leider ein erschreckendes Beispiel dafür, dass zwar viel von Digitalisierung gesprochen wird, die Praxis aber zeigt, dass Deutschland in diesem Bereich sicherlich keinen der vorderen Ränge im internationalen Bereich besetzt.
ws

VonProf. Dr. Wolfgang Sturm

beA – das besondere elektronische Anwaltspostfach – ein erster Bericht aus der Praxis

91007 Linus fliege orange_1Das liebevoll beA genannte besondere elektronische Anwaltspostfach ist seit kurzem in Betrieb. Die Benutzeroberfläche sieht intuitiv aus, sie ist es aber nicht. Insgesamt ist die Oberfläche nicht intuitiv. Für unsere Kanzlei ist das beA keine große Arbeitserleichterung, sondern eher eine Mehrbelastung. Das im Oktober jetzt endgültig abgeschaltete elektronische Gerichts-und Verwaltungspostfach (EGVP), das seit vielen Jahren im Einsatz ist, hatte zwar keine so schön aussehende Oberfläche wie das beA, es war aber sehr leicht zu bedienen. Das Verschicken von Schriftsätzen war kinderleicht, wenn man einmal die Systematik des Systems verstanden hatte.
Es ist für mich daher völlig unverständlich, warum man ein gut funktionierendes System nicht einfach übernimmt, sondern stattdessen mit einem erheblichen finanziellen Aufwand, den die Rechtsanwälte selbst zu bezahlen haben, ein neues, einfach nur schön aussehendes beA erfindet, das im Ergebnis nicht mehr kann als das EGVP.
Wir nutzen das beA zum einen über das Internet, zum anderen über die von uns eingesetzte Kanzleisoftware. Die zuletzt genannte Lösung ist leider auch nicht einfach, es bedarf mehrerer Schritte, um ein Dokument über das beA zu versenden. Auch bei der Kanzleisoftware ist die Bedienung leider nicht intuitiv.
Weiterer Kritikpunkt: es gibt keine Postfächer für Rechtsanwaltsgesellschaften in der Rechtsform der GmbH, sondern nur für Rechtsanwälte als natürliche Personen. Wir haben das schon vor Jahren moniert, passiert ist bisher leider nichts.Fazit bis heute: das beA ist kein großer Wurf, sondern bestätigt das Vorurteil, dass die Juristen der technischen Entwicklung hinterherlaufen, statt sich an die Spitze der Bewegung zu setzen.
ws

VonProf. Dr. Wolfgang Sturm

(Weiter) hohe Anforderungen des BFH an die Wiedereinsetzung bei Fristversäumnis (Beschluss des BFH vom 28.07.2015, II B 150/14) – zur kritischen Prüfung der eigenen Organisation

91007 Linus fliege orange_1Die hier besprochene Entscheidung des BFH mag für viele Kanzleien ein guter Grund sein, die eigene Fristenkontrolle auf den Prüfstand zu stellen. Fristversäumnisse sind nicht nur ärgerlich (Fehlleistungen bleiben bei Mandanten besser im Gedächtnis als gute Taten), sondern zudem nicht selten teuer. Die Erkenntnis, dass Fehler überall dort passieren, wo Menschen arbeiten, ist sicher banal. Angesichts der auch durch diese Entscheidung des BFH bestätigten Rechtsprechung kann in Kanzleien aber nur als Grundsatz ohne jede Ausnahme gelten, dass in Fristsachen nur eine Null- Fehlerquote akzeptabel und tolerabel ist. Dieses Ziel stellt sich nicht von alleine ein. Es bedarf dazu organisatorischer Vorkehrungen, deren Einhaltung dringend und im eigenen Interesse regelmäßig überprüft werden müssen. Das hat nichts mit Misstrauen gegenüber den Mitarbeitern, sondern mit den hohen Anforderungen an einen erfolgreichen Antrag auf Wiedereinsetzung zu tun. Der Aufwand, den Kanzleien mit solchen Anträgen betreiben, übersteigt den Aufwand für eine ordnungsgemäße Fristenkontrolle bei weitem.

In dem von dem BFH entschiedenen Fall ist es dem Antragsteller zum Verhängnis geworden, dass er in der Kanzlei nicht angeordnet hat, dass eine Frist erst gelöscht wird, wenn die zur Absendung des Schriftstücks erforderlichen Arbeitsschritte vollständig getan sind und bei Übermittlung eines fristwahrenden Schriftstücks per Telefax ein von dem Telefaxgerät des Absenders ausgedruckter Einzelnachweis (Sendebericht) vorliegt, der die ordnungsgemäße Übermittlung belegt. Der Antragsteller hat nach der Entscheidung des BFH auch nicht ausgeführt, dass die für die Fristenkontrolle zuständige Bürokraft angewiesen gwar, Fristen im Kalender erst zu streichen nachdem sie sich anhand der Akte vergewissert hat, dass zweifelsfrei nichts mehr zu veranlassen ist, und dass hinsichtlich fristgebundener Sachen eine allabendliche Kontrolle mit einer nochmaligen, selbständigen Prüfung angeordnet war.

Wörtlich und fast schon als Vorlage für ein Orga – Handbuch führt der BFH aus:
„a) Nach § 56 Abs. 1 FGO ist einem Beteiligten auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Dabei schließt jedes Verschulden, also auch einfache Fahrlässigkeit, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus (BFH-Beschlüsse vom 9. Januar 2014 X R 14/13, BFH/NV 2014, 567, Rz 11; vom 26. Februar 2014 IX R 41/13, BFH/NV 2014, 881, Rz 10, und vom 16. September 2014 II B 46/14, BFH/NV 2015, 49, Rz 4). Ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten ist dem Beteiligten nach § 155 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen.
b) Die Tatsachen zur Begründung des Antrags auf Wiedereinsetzung müssen innerhalb der in § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO bestimmten Frist vollständig, substantiiert und in sich schlüssig dargelegt werden (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 13. September 2012 XI R 13/12, BFH/NV 2013, 60, Rz 13, 19; in BFH/NV 2014, 881, Rz 10; vom 28. März 2014 IX B 115/13, BFH/NV 2014, 896, Rz 4; in BFH/NV 2015, 49, Rz 6, und vom 2. Dezember 2014 III B 36/14, BFH/NV 2015, 505, Rz 13), soweit sie für das Gericht nicht offenkundig oder amtsbekannt sind (BFH-Urteil vom 18. März 2014 VIII R 33/12, BFHE 246, 1, BStBl II 2014, 922, Rz 17). Sie müssen ferner bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft gemacht werden (§ 56 Abs. 2 Satz 2 FGO).
c) Hinsichtlich einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird zwischen Organisationsmängeln, die als solche einem Rechtsanwalt oder Steuerberater und den von ihm Vertretenen als Verschulden zuzurechnen sind, einerseits und nicht zurechenbarem Büroversehen andererseits unterschieden. Wird –wie im Streitfall– ein dem Prozessbevollmächtigten und dem von ihm Vertretenen nicht zuzurechnendes reines Büroversehen geltend gemacht, gehört zum erforderlichen schlüssigen Vortrag des „Kerns“ der Wiedereinsetzungsgründe die Darlegung, warum ein Organisationsverschulden auszuschließen ist. Es müssen also die Organisationsmaßnahmen vorgetragen werden, die den konkreten Fehler als Büroversehen erkennen lassen (BFH-Urteil in BFHE 246, 1, BStBl II 2014, 922, Rz 18). Dazu muss substantiiert und schlüssig vorgetragen werden, dass der Prozessbevollmächtigte alle Vorkehrungen getroffen hat, die nach vernünftigem Ermessen die Nichtbeachtung von Fristen auszuschließen geeignet sind (z.B. BFH-Beschlüsse vom 14. Dezember 2011 X B 50/11, BFH/NV 2012, 440; vom 30. April 2013 IV R 38/11, BFH/NV 2013, 1117, Rz 19, und in BFH/NV 2014, 567, Rz 12). Kann aufgrund des Vortrags nicht ausgeschlossen werden, dass an der Fristversäumnis ursächlich auch ein Organisationsverschulden des Prozessbevollmächtigten mitgewirkt hat, kann keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden (BFH-Beschluss vom 13. September 2012 XI R 48/10, BFH/NV 2013, 212, Rz 13, m.w.N.).
d) Angehörige der rechts- und steuerberatenden Berufe müssen die Ausgangskontrolle von fristgebundenen Schriftsätzen so organisieren, dass sie einen gestuften Schutz gegen Fristversäumungen bietet (Beschluss des Bundesgerichtshofs –BGH– vom 4. November 2014 VIII ZB 38/14, Neue Juristische Wochenschrift –NJW– 2015, 253, Rz 9, m.w.N.). Dabei ist die für die Kontrolle zuständige Bürokraft anzuweisen, dass Fristen im Kalender erst zu streichen oder als erledigt zu kennzeichnen sind, nachdem sie sich anhand der Akte selbst vergewissert hat, dass zweifelsfrei nichts mehr zu veranlassen ist (BGH-Beschluss vom 26. Februar 2015 III ZB 55/14, Wertpapier-Mitteilungen –WM– 2015, 782, Rz 8).
Die ordnungsgemäße, zur Vermeidung von Fristversäumnissen geeignete Büroorganisation setzt u.a. voraus, dass der Ausgang eines Schriftstücks, das eine gesetzliche Frist wahren soll, nicht dokumentiert wird, solange die zur Absendung erforderlichen Arbeitsschritte nicht vollständig getan sind, und eine Frist nicht vorher gelöscht wird. Bei Übermittlung eines fristwahrenden Schriftstücks per Telefax darf demgemäß die betreffende Frist erst gelöscht werden, wenn ein von dem Telefaxgerät des Absenders ausgedruckter Einzelnachweis (Sendebericht) vorliegt, der die ordnungsgemäße Übermittlung belegt. Werden diese Anforderungen nicht beachtet, weist dies auf einen Organisationsmangel hin (BFH-Urteil in BFHE 246, 1, BStBl II 2014, 922, Rz 20, m.w.N.).
Zu einer wirksamen Fristenkontrolle gehört auch eine Anordnung, durch die gewährleistet wird, dass die Erledigung der fristgebundenen Sachen am Abend eines jeden Arbeitstages anhand des Fristenkalenders von einer dazu beauftragten Bürokraft nochmals und abschließend selbständig überprüft wird (BGH-Beschlüsse in NJW 2015, 253, Rz 8 f., und in WM 2015, 782, Rz 8, je m.w.N.). Diese Kontrolle muss gewährleisten, dass am Ende eines jeden Arbeitstages von einer dazu beauftragten Bürokraft geprüft wird, welche fristwahrenden Schriftsätze hergestellt, abgesandt oder zumindest versandfertig gemacht worden sind und ob diese mit den im Fristenkalender vermerkten Sachen übereinstimmen (BGH-Beschluss in NJW 2015, 253, Rz 9, m.w.N.).
Die Erforderlichkeit einer derartigen abschließenden Kontrolle ergibt sich schon daraus, dass selbst bei sachgerechten Organisationsabläufen individuelle Bearbeitungsfehler auftreten können, die es nach Möglichkeit aufzufinden und zu beheben gilt (BGH-Beschlüsse in NJW 2015, 253, Rz 8, und in WM 2015, 782, Rz 18, m.w.N.). Die allabendliche Kontrolle dient nicht allein dazu, zu überprüfen, ob sich aus den Eintragungen noch unerledigt gebliebene Fristsachen ergeben. Sie soll vielmehr auch feststellen, ob möglicherweise in einer bereits als erledigt vermerkten Frist die fristwahrende Handlung noch aussteht (BGH-Beschluss in WM 2015, 782, Rz 18, m.w.N.).
e) Diese Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Begründungsfrist sind im Streitfall nicht erfüllt. Nach dem Vorbringen des Klägers kann nicht ausgeschlossen werden, dass an der Fristversäumnis ursächlich ein Organisationsverschulden des P mitgewirkt hat. Der Kläger hat nicht substantiiert und in sich schlüssig dargelegt, dass die Ausgangskontrolle von fristgebundenen Schriftsätzen in der Kanzlei des P so organisiert war, dass sie den erforderlichen gestuften Schutz gegen Fristversäumnisse bot. Er hat nicht vorgetragen, dass in der Kanzlei angeordnet gewesen sei, dass eine Frist erst gelöscht wird, wenn die zur Absendung des Schriftstücks erforderlichen Arbeitsschritte vollständig getan sind und bei Übermittlung eines fristwahrenden Schriftstücks per Telefax ein von dem Telefaxgerät des Absenders ausgedruckter Einzelnachweis (Sendebericht) vorliegt, der die ordnungsgemäße Übermittlung belegt. Er hat auch nicht ausgeführt, dass die für die Fristenkontrolle zuständige Bürokraft angewiesen gewesen sei, Fristen im Kalender erst zu streichen oder als erledigt zu kennzeichnen, nachdem sie sich anhand der Akte vergewissert hat, dass zweifelsfrei nichts mehr zu veranlassen ist, und dass hinsichtlich fristgebundener Sachen eine allabendliche Kontrolle mit einer nochmaligen, selbständigen Prüfung angeordnet war. Individuelle Bearbeitungsfehler, wie sie selbst bei sachgerechten Organisationsabläufen auftreten können, konnten, wie auch der Streitfall zeigt, aufgrund der unzureichenden Büroorganisation allenfalls zufällig entdeckt werden. Dies genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen an eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.“

ws

VonProf. Dr. Wolfgang Sturm

„Es kommt darauf an“ – die Standardantwort offenbar aller Juristen weltweit; Rezension zu dem Buch von Hans Bollmann aus der Schweiz: Bemerkungen zu Anwaltsunternehmen und zu dem, was Anwälte so alles unternehmen, Stämpfli Verlag Bern

Flagge SchweizDie Lektüre von Fachliteratur ist im Regelfall wenig ersprießlich. Es gibt nach meinem Geschmack nur wenig Bücher, die bei allem Interesse an dem Rechtsgebiet optisch und sprachlich ansprechend gestaltet sind. Das meiste kommt leider staubrocken daher. Wissenschaft und Praxis müssen aber nicht langweilig sein. Diese Erkenntnis gilt erst recht für Fachliteratur, die den Anwalt, den Anwaltsmarkt und das Thema Kanzleimanagement und Wissensmanagement betreffen. Hier wird es noch deutlich häufiger staubtrocken, nicht selten auch banal, obwohl diese Themen in hohem Maße praxisbezogen sind, und jeden Rechtsanwalt interessieren sollten. Wie wohltuend ist es daher, das Buch von Hans Bollmann mit dem Titel „Es kommt darauf an“ zu lesen.

Die erste Erkenntnis aus der Begegnung mit dem Buch, als ich es in die Hand genommen hatte, war geradezu frappierend. Ich wusste schon immer, dass Manager, Wirtschaftsprüfer und Banker, ganz gleich in welchem Staat sie arbeiten, zentral an einem Ort dieser Erde ausgebildet wären. Ansonsten wäre die Gleichheit der Angehörigen dieser Spezies nicht zu erklären. Bei der Spezies der Juristen, der auch ich angehöre, war ich mir bislang aber immer sicher, dass es einen solchen zentralen Ausbildungsort nicht gibt. Dafür sind nicht nur die Sprachen, sondern auch die Rechtssysteme der Staaten dieser Erde zu verschieden, als dass es einen kleinsten gemeinsamen Nenner für alle Juristen geben könnte.

Auf geradezu vorzüglich amüsante Weise bin ich jetzt aber eines Besseren belehrt worden. Allein schon der Titel des Buches „Es kommt darauf an“ von Hans Bollmann, einem Schweizer Juristen, hat mir schlagartig deutlich gemacht, dass es diese zentrale Ausbildungsstätte irgendwo doch geben muss. Denn wer kennt diesen Satz „Es kommt darauf an“ nicht. Es gibt nach meiner Einschätzung nicht wenige Juristen, die ihren Beruf verfehlt haben. Das gilt nicht nur für das unzureichende Fachwissen, sondern auch für die Persönlichkeit selbst. Dennoch aber dürften alle Juristen, auch die weniger befähigten, den Satz „Es kommt darauf an“ kennen und rege Gebrauch davon machen.

Eins aber ist klar: selbstverständlich kommt es darauf an. Denn es ist ja gerade die Aufgabe des Juristen zu prüfen, ob der tatsächlich verwirklichte Lebenssachverhalt sich unter den im Gesetz typisierten Lebenssachverhalt subsumieren lässt. Nur dann erhält er die Rechtsfolge. Daher ist der tatsächlich verwirklichte Lebenssachverhalt alles andere als gleichgültig. Denn es kommt darauf an, welchen Lebenssachverhalt wir unter das Gesetz subsumieren.

Genauso klar und einfach wie diese Erkenntnis, genauso klar und einfach ist auch die Erkenntnis, dass sich die stereotype Antwort „Es kommt darauf an“ an den Mandanten zu einer bestimmten von ihm gestellten Frage niemals auf diese vier Worte beschränken sollte. Das wäre „Teufelszeug“. Denn der Mandant möchte eine solche Antwort nicht hören. Sie hilft ihm nichts. Der Rechtsanwalt muss bei aller Richtigkeit der Aussage dem Mandanten dann auch schon sagen, worauf es denn ankommt. Denn sonst kann der Mandant mit dieser Antwort schlicht gar nichts anfangen.

Die Aussage „Es kommt darauf an“ ist bei Beschränkung auf diese vier Worte ähnlich sinnvoll wie die Bitten von Finanzämtern an die Steuerpflichtigen, „alle erforderlichen Unterlagen einzureichen“. Wäre der Bearbeiter nur zu bequem, die von ihm als erforderlich angesehenen Unterlagen zu benennen, wäre das schon schlimm. Noch schlimmer aber wäre es, wenn mit dem Satz zum Ausdruck gebracht werden soll, dass der Bearbeiter in der Behörde gar nicht weiß, was er eigentlich haben möchte. Geradezu grotesk wird es dann, wenn der Steuerpflichtige mit großer Mühe und zeitraubend Unterlagen zusammengestellt hat und dann von einer Behörde die Aussage hört, dass man diese Unterlagen nicht braucht.

Wie erfrischend dagegen ist das Buch von Bollmann. Es enthält aus der Sicht eines Schweizer Juristen einen sehr gut und unterhaltsam zu lesenden Abriss über Anwälte, Anwaltsunternehmen und zu dem, was Anwälte so alles unternehmen. Die Lektüre des Buches ist ausgesprochen kurzweilig, führt aber dennoch bei jedem Leser mit Sicherheit zu einem nicht unerheblichen Erkenntnisgewinn. Es trägt auch dazu bei, die eigene Arbeit kritisch und mit Abstand zu betrachten. Es hilft auch, über sich selbst zu schmunzeln, und sich selbst nicht ganz so wichtig zu nehmen, wie es viele Juristen machen. Kurzum: Das Buch ist eine echte Empfehlung.
ws

VonProf. Dr. Wolfgang Sturm

Von der Praxis für die Praxis: sind alternative Honorarmodelle für Rechtsanwälte attraktiv oder ein Irrweg?

Der Ruf der Rechtsanwaltschaft leidet darunter, dass diese Berufsgruppe von vielen Mandanten so beschrieben wird, dass sie keine Probleme löst, sondern den bestehenden noch weitere hinzufügt. Wenn diese Berufsgruppe dann für ihre unheilvolle Tätigkeit auch noch ein Entgelt verlangt, dann wird schnell klar, dass sich spätestens an diesem Punkt die Geister scheiden.

Die Abrechnung auf Basis der gesetzlichen Gebührenordnung, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, kurz RVG, basiert im Kern noch auf der 1957 geschaffenen Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung, BRAGO. In der gesetzlichen Gebührenordnung kommt es weder auf die Komplexität noch auf den Zeitaufwand an. Die Gebührenordnung knüpft ganz einfach an den Streit-oder Gegenstandswert an. Ein Mandat mag einfach sein, wenn es um viel Geld geht, ist das Honorar nach der gesetzlichen Gebührenordnung hoch.

Der gesetzlichen Gebührenordnung liegt die Idee des Einheitsjuristen zu Grunde, der in der Lage ist, jedes ihm angetragene Mandat zu bearbeiten. Dass diese Vorstellung, die zwar von den Rechtsanwaltskammern immer wieder propagiert wird, schon längst überholt ist, ändert nichts daran, dass die gesetzlichen Gebührenordnungen noch immer genau dieses Bild vor Augen haben. Ein Rechtsanwalt hat danach relativ Mandate mit hohem Streitwert, dafür aber viele Mandate mit relativ kleinen Streitwerten.

Dem trägt die Gebührenordnung dadurch Rechnung, dass Mandate mit kleineren Streitwerten relativ gesehen ein höheres Honorar bringen als Mandate mit höheren Streitwerten. Wir haben kürzlich für die Rückabwicklung eines Pferdekaufvertrages im Rahmen einer außergerichtlichen Einigung bei einem Streitwert von knapp 2.000,0 € Honorar von knapp unter 600,00 € ohne Umsatzsteuer liquidieren können.

Der Nachteil der gesetzlichen Gebührenordnung besteht darin, dass das Interesse eines jeden Rechtsanwalts, der auch nur die vier Grundrechenarten beherrscht, schlagartig zurückgeht, sobald er erkennt, dass ein Mandat nicht mehr wirtschaftlich fortgeführt werden kann. Hinzu kommt, dass sich ein gut gemeint ist Element der gesetzlichen Gebührenordnung in ihr Gegenteil verkehrt. Die Gebührenordnung ist darauf angelegt, in jeder Lage des Verfahrens eine Einigung zwischen den Parteien zu erzielen. Eine solche Einigung wird mit einer Einigungsgebühr belohnt. Nicht selten kommt es in Rechtsstreiten zu solchen Vergleichen und Einigungen, weil auch das Gericht ein massives Interesse an einer einvernehmlichen Erledigung hat. In diesem Fall muss der Richter kein Urteil schreiben. Man könnte auch von einer fast schon und unheilvolle Allianz zwischen Richtern und Anwaltschaft sprechen. Gerichte haben weniger Arbeit, und die Anwälte verdienen mehr Geld.

Ermittelt Sicht falsch verstehen: Wir können jedem Anwalt ein ordentliches Honorar. Wir haben aber ihr die Vorstellung bei unserer Arbeit, dass der Einsatz und die Leistung sich lohnen müssen. Ich würde es deutlich favorisieren, wenn es mit den Mitteln des deutschen Rechts möglich wäre, erfolgsbezogene Bestandteile in ein Honorar einzurechnen. Das aber ist nach deutschem Recht nahezu ausgeschlossen. Hier müssen kreative Gestaltung, die natürlich deutlich umständlicher sind, her.

Es wird eine Vielzahl alternativer Honorarmodelle diskutiert. Eine gute Zusammenfassung gibt es hier: http://www.lam.unisg.ch/law-and-management_inhalte/law-and-management_downloads.php

Das Pauschalhonorar hat immer den Nachteil, dass sich ganz sicher eine Seite schlecht behandelt fühlt. Der Mandant wird für das Pauschalhonorar im Zweifel ein Mehr an Leistung verlangen, der Rechtsanwalt wird umgekehrt im Zweifel weniger Leistung erbringen wollen. Das Pauschalhonorar ist im Übrigen auch nur für solche Mandate geeignet, bei denen der Aufwand seriös kalkulierbar ist.

Bei Mandaten, deren Aufwand im Voraus nicht abzuschätzen ist, ist ein Pauschalhonorar nicht sinnvoll.

Auch die weiter diskutierten Honorarmodelle, einen „Deckel“ zu vereinbaren, haben den gleichen Nachteil sie ein Pauschalhonorar.

Am Ende kann man es drehen und wenden wie man will: Es kulminiert in der Frage, ob die Abrechnung nach RAVG oder nach Zeitaufwand erfolgen soll. Dass gegen eine Abrechnung nach Zeitaufwand immer wieder vorgebrachte Argument, der Anwalt hätte in diesem Fall gar kein Interesse daran, die Angelegenheit schnell zu erledigen, sondern die Angelegenheit möglichst in die Länge zu ziehen, ist nur auf den ersten Blick gut. Auf den zweiten Blick kann es sich kein Anwalt erlauben, in einem Mandat Zeit zu vertrösten. Die Zeitausschreibungen werden von den Mandanten teilweise sehr akribisch geprüft. Entsprechend akribisch werden Zeit Ausschreibungen auch hinterfragt. Und das ist auch gut so. Im Übrigen: Wer als Rechtsanwalt einmal den Ruf hat, ein Honorarschneider zu sein, der wird es auch schwer haben, weiterhin Zulauf zu haben. Mit anderen Worten: Dieses Thema regelt der Markt.

Was im deutschen Recht aber unbedingt verankert werden müsste, ist die Möglichkeit, eine Erfolgskomponente bei der Höhe des Honorars zumindest teilweise berücksichtigen zu dürfen. Die Mandanten würden ein ganz erhebliches Interesse an einer solchen Regelung haben. Denn ihm geht es hier nicht darum, dass ein All ein Anwalt an einem Mandat möglichst lange arbeitet aber ihnen geht es darum, dass möglichst schnell einen Erfolg erzielt wird. Nach unseren Erfahrungen ist es häufig möglich, Rechtsstreite zu vermeiden und einvernehmliche Lösungen zu finden. Das ist er häufig auch sehr zeitaufwändig, nimmt man aber einmal die gesamte Zeitspanne in den Blick, entziehen sich Klageverfahren, womöglich über mehrere Instanzen, deutlich länger in als eine intensive ein bis zweimonatige Verhandlungsrunde außergerichtlicher Art zwischen zwei Parteien. Nach unserer Einschätzung ist ja gerade die hohe Kunst, solche außergerichtlichen Einigungen zum Wohle der Mandanten zu erzielen.

Interessant ist auch das von Benno Heussen favorisierte Modell, den Mandanten einen hohen Festpreis vorzuschlagen, und ihm dann anzubieten, stattdessen nach Erledigung des Mandates das zu zahlen, was ihm die Arbeit wert gewesen ist. Dazu gehört allerdings ein wenig Mut. Justitiabel ist eine solche Abrede sicherlich nicht. Am Ende wird sich, wenn der Mandant sagt, die Arbeiter im gar nichts wert gewesen, die Frage nach der Bemessung des Honorars stellen.

Wir gehen in unserer Praxis zunehmend dazu über, mit Mandanten zunächst monatliche Pauschalen zu vereinbaren, um dann nach Abschluss einer Angelegenheit oder vorher fest vereinbarter Intervalle unter Berücksichtigung der Vorschriften des RVG, des erzielten Erfolges, und der Zufriedenheit des Mandanten ein angemessenes Honorar zu vereinbaren. Wir werden diese Abrechnungsmethode und ihre Auswirkungen nach halten und darüber berichten.

Um die eingangs gestellte Frage zu beantworten: Alternative Honorarmodelle sind kann Irrweg, der Gesetzgeber müsste aber den Boden dafür bereiten, dass alternative Honorarmodelle auch wirklich wirksam und justitiabel zum Einsatz kommen können.
ws

VonProf. Dr. Wolfgang Sturm

Die DAV-Zukunftsstudie 2030 – warum interessiert sich die Anwaltschaft dafür nicht?

Im Anwaltsblatt 6/2013 ist die DAV-Zukunft Studie 2030 ab Seite 384 in Auszügen, außerdem im Internet vollständig, zu lesen. Die Studie enthält viele interessante Ansätze. Angefangen von der Ausgangslage im Rechtsdienstleistungsmarkt über Kanzleiorganisation, Kanzleimanagement und Kanzleimarketing bis hin zum Thema Personal wird nicht ausgespart. Wer die Studie aufmerksam gelesen hat, wird bemerkt haben, dass sich der Anwaltsmarkt schon heute erheblich gewandelt hat. Man hat allerdings den Eindruck, dass die überwältigende Mehrheit der Anwältinnen und Anwälte von diesem Wandel noch nichts bemerkt haben möchte und meint, sie könnten genauso weitermachen wie bisher. Das wird sicherlich ein großer Trugschluss bleiben. Wer so denkt, wird gnadenlos auf der Strecke bleiben. Der Verteilungskampf um die attraktiven Mandate ist schon längst in vollem Gange. Die Zukunftsstudie bestätigt nicht nur dies, sondern auch, dass künftig nur der überleben kann, der auch gewerbliche Mandate betreut. Privatpersonen werden den Inhaber einer Kanzlei nicht ernähren können.

Auch das Bild des Kanzleiinhabers als selbstständigem Berater, der über alle Kritik erhaben ist, ist schon lange nicht mehr intakt. Das ist auch nicht weiter schlimm. Konkurrenz belebt das Geschäft. Nach der Lektüre der Zukunftsstudie wird aber die Erkenntnis bestätigt, dass Stillstand in diesem Fall nicht nur Rückschritt ist, sondern Rückfall in das Steinzeitalter. Schaut man sich einmal die technische Ausstattung der meisten Anwaltskanzleien an, so kann einem wirklich um die Zukunft dieser Kollegen Angst und bange werden.

 Interessant sind aber nicht nur die Szenarien, die für jeden Anwalt als Horrorszenario gelten können, interessant sind auch die Perspektiven, die die Studie, auch für Einzelkanzleien und kleinere Einheiten, aufzeigt. Die Tendenz der Mandanten, auch der gewerblichen, geht immer weiter in die Richtung, dass sie von dem verantwortlichen Partner auch persönlich betreut werden möchten. Darin liegt eine große Chance der Kleinen. Um diese Chance aber nutzen zu können, müssen sich die kleinen Kanzleien viel viel mehr als bisher zusammenschließen, um als Netzwerke tatsächlich schlagkräftiger zu werden. Die Ausgangssituation für die kleinen Kanzleien ist dabei gar nicht so schlecht, wie viele kleine Kanzleien denken mögen. Sie haben den Vorteil, relativ geringe Kosten zu haben und einen guten persönlichen Draht zu den Mandanten. Das gilt es zu bewahren und auszubauen. Was ist einfacher, als mit Kollegen zu kooperieren? Es besteht nicht das Risiko, dass man in schlechte Kostenstrukturen rutscht, weil jeder Kanzleiinhaber Herr seiner eigenen Kasse bleibt. Aber: eine Kooperation macht nur dann Sinn, wenn jeder über den Telllerrand schauen kann und wenn er der festen Überzeugung ist, dass er durch die Kooperation mehr erreicht als er alleine erreichen könnte. Und dafür braucht man die richtigen Partner im Netzwerk.

Um mit der Studie zu sprechen: es verbleibt nicht viel Zeit, und die Handlungsspielräume werden immer kleiner, je länger man zaudert und abwartet.

ws

VonProf. Dr. Wolfgang Sturm

„20% auf alles – außer Tiernahrung“ – Praktiker, (k)ein Beispiel für Juristen? – Die DAV Studie 2030

Die DAV – Studie 2030 lässt die Zukunft der Anwaltschaft düster aussehen. Dieser Befund macht nicht bei den „kleinen“ Anwälten Halt. Auch die „Großen“ sehen sich zunehmendem Druck auf die Honorare ausgesetzt. Unternehmen setzen vermehrt auf „inhouse – Lösungen“. Die Konsequenz: größere Kanzleien drängen immer vehementer in die Bereiche, die bisher für die kleinen Kanzleien  „groß“ und lukrativ waren. Weitere Folge: es sinken die Margen der Großen, und für die kleinen wird es noch schwerer, lukrative Mandate zu erhalten. Hinzu kommen dann noch die Nichtjuristen, die sich künftig noch mehr und massiv in Bereichen breitmachen werden, die für viele kleine Kanzleien nicht wegen der Klasse, aber wegen der Masse ein Betätigungsfeld waren: die Konkurrenz sind Rechtsschutzversicherer, Architekturbüros, Autohäuser, der ADAC usw.

Wer hier meint, den Kampf über den (reduzierten) Preis für die Leistung gewinnen zu können, ist auf dem falschen Dampfer und wird sich bald in eine Reihe mit Praktiker stellen können. Geiz ist eben nicht geil, und Qualität hat ihren Preis. Das nicht nur herauszustellen und zu kommunizieren, sondern als Versprechen auch einzulösen, das wird die Herausforderung der Zukunft sein. Hinzu kommt der Zwang, Abläufe im Büro zu standardisieren, so schlank wie möglich zu halten, und Einsparpotential zu realisieren. Und daran werden viele scheitern, die meinen, die Zeit ginge an ihnen vorbei. Die Diskussion, ob die Bezeichnung der Anwälte als „Organe der Rechtspflege“ zeitgemäß ist, ist dabei nicht hilfreich. Wer nicht verstanden hat, dass Anwälte Dienstleister sind, der wird auf Dauer auf der Strecke bleiben. Leider sind die Kammern den Anwälten hier nicht hilfreich.

Das Heil liegt in der Kooperation und in der Bündelung der Interessen und Fähigkeiten. Aber da tun sich viele extrem schwer. Es will einfach nicht in den Kopf, dass (zeitliche) Investitionen dann für alle zu mehr führen, wenn man die richtigen Partner hat.

ws

VonProf. Dr. Wolfgang Sturm

Die Vergütung anwaltlicher Leistungen – Vorsicht Falle oder: wie blöd muss man sein – Mandant und Anwalt? zugleich Nachdenkliches über ein eigentlich nicht so schwieriges Thema

Geradezu bizarr ist – aber nur auf den ersten Blick – der Sachverhalt, über den das LG Dusiburg mit Urteil vom 12.10.2012 (7 S  51/12, BRAK Mitt. 2013, 30 f.) zu entscheiden hatte. Ein nähere Befassung zeigt gleich mehrere Abgründe auf beiden Seiten. Was war geschehen?  Eine Mandantin war abgemahnt, zur Abgabe einer Unterlassungserklärung und zur Zahlung von 750 EUR Schadensersatz aufgefordert worden. Die Mandantin beauftragte eine Kanzlei mit der Vertretung ihrer Interessen. Die Kanzlei schloß mit ihr eine Vergütungsvereinbarung mit einem „Kostenrahmen“ zwischen 226 und max. ca. 2.600 EUR. Zahlen sollte die Mandantin nach Abschluss der Sache 2.562,90 EUR. Zahlen wollte die Mandantin aber nur 190 + USt als Erstberatungsgebühr (§ 34 Abs. 1 S. 3 RVG). AG und LG gaben der Mandantin recht.

Auf den ersten Blick einleuchtend. Denn bei einem Interesse von 750 EUR ein Honorar von rd.  2.600 EUR zu fordern, ist – rückblickend betrachtet – wirtschaftlich evident unsinnig. Andererseits führt das LG Dusiburg in seinem Urteil – dankenwerterweise – selbst aus, dass Anwälte im Regelfall nicht verpflichtet sind, ungefragt im Voraus über die Höhe des Honorasrs aufzuklären. Im Stretifall sah das LG die Kanzlei dazu wegen des krassen Missverhältnisses wegen Honorar und Interesse der Mandantin aber als verpflichtet an. Und hier reibt sich der kundige Thebaner ein wenig die Augen und sagt: Moment mal, hatte die Mandantin nicht schon zu Beginn des Mandates erfahren, dass der Kostenrahmen zwischen 226 und max. 2.600 EUR liegt? dann aber war ihr doch das Missverhältnis bekannt. Denn schon ein mit 750 EUR weit unter dem max. Betrag liegendes Honorar stünde ja in der Denkwelt des LG in einem krassen Missverhältnis. Die Kanzlei hatte dann also die Mandantin doch aufgeklärt. Und wer aufgeklärt ist, kann sich doch nicht darauf berufen, nicht aufgeklärt worden zu sein.

Die naheliegende Frage, warum die Mandantin denn nicht gefragt hat, was es mit dem Rahmen auf sich hat und auch die eben so naheliegende Frage, warum die Mandantin denn einen solchen – offensichtlichen, sich jedermann sofort erschließenden – Unsinn unterschrieben hat, stellte das LG nicht.  Natürlich kann man die einfache Gleichung aufstellen, jeder dümmer Menschen sind, umso mehr müssen sie über die Konsequenzen ihres Handelns aufgeklärt werden. Wie weit aber geht das oder besser gefragt, was soll man denn in den Fällen wie dem hier vorliegenden machen, wenn die ganze Aufklärung nichts hilft? Gilt dann die Formel: je dümmer, desto schutzwürdiger? das entspräche jedenfalls dem weit verbreiteten Irrtum, dass in unserem Staat für jeden gesorgt wird, und dass man selbst nichts dafür machen muss. Es gibt ja genug böse Reiche, die soviel Geld haben, dass sie gefälligst alle anderen mit durchfüttern.

Der GRund für das Urteil des LG kann aber auch banal sein. was nicht sein kann, das nicht sein darf. Wir hören nicht häufig von Kollegen, dass Richter nicht selten Honorare (zudem mit USt) mit Bruttogehältern vergleichen. Dass dies von wenig Weitblick zeugt, ist nicht erläuterungsbedürftig. Auch Sprüche von Richtern wie: „wir schreiben die Urteile, ihr Anwälte die Rechnungen“, zeugt von einem sehr unverhohlenen Neid. Wobei es jedem Richter freistand oder besser gesagt, jederzeit freisteht, den Beruf des Richters an den Nagel zu hängen und Anwalt zu werden.

Von wenig Weitblick zeugt aber auch das Verhalten der Kanzlei. Wie kann ich als Dienstleister, der von zufriedenen Kunden und deren Empfehlungen lebt, auf die Idee kommen, ein solches Honorar zu verlangen? wer ein solches Mandat annimmt, das in dem Urteil des LG beschrieben ist, der kann davon ausgehen, dass nur ein solches Honorar akzeptiert werden wird, das maximal 500 EUR beträgt. Wenn man aber meint, das sei zu wenig, dann ist es besser, die Finger von dem Mandat zu lassen und den Rechtssuchenden an geeignete Kollegen zu verweisen, die bereit sind, dafür (gut) zu arbeiten.

VonProf. Dr. Wolfgang Sturm

Unternehmen beklagen zunehmend Schäden durch E-Mail Flut – und wie sieht es bei den Anwälten aus? die meisten wären froh, wenn sie dieses Problem hätten

Unternehmen beklagen zunehmend, dass sie unter der E-Mail Flut leiden, die extern wie intern verschickt werden. Es gäbe zuviele unwichtige E-Mails, mit denen Mitarbeiter ihre wertvolle Zeit vergeudeteten.  Interessant, interessant aber auch, einen Blick darauf zu werfen, wie es mit den Anwälten in diesem Bereich steht.

Bevor das Kind mit dem Bade ausgeschüttet wird, sollte man aber auch hier genauer hinsehen. Mit E-Mails ist es wie mit anderen Hilfsmitteln auch: sie ersetzen weder die Arbeit noch das Denken. Und genau da liegt oft der Hase im Pfeffer. Viele Menschen sind ernsthaft der Meinung, wenn sie möglichst vielen Adressaten E-Mails mit möglichst vielen Anlagen senden, dann hätten sie gute Arbeit geleistet. Dabei bleibt nicht  nur das Denken auf der Strecke. Eine solche Kommunikation  führt zu erheblicher Mehrarbeit. E-Mails bewirken dann genau das Gegenteil von dem, wozu sie gedacht sind. E-Mails sollen die Kommunikation beschleunigen und den Versand umfangreicher Dokumente erleichtern. Wenn aber eine E-Mail wie ein „Streuwurf“ verwendet wird, kann dieses Ziel nur verfehlt werden.  Gut gemeint ist eben wie so oft das Gegenteil von gut.

Ein weiterer Grund für die berechtigte Klage liegt darin, dass viele Absender – wie in der sonstigen Kommunikation auch – leider nicht in der Lage sind, sich vorzustellen, welche Informationen der Adressat haben will und wie man ihm die Arbeit einfach macht. Das ist kein Problem, dass es erst seit dem Zeitaler der E-Mails gibt. Dieses Thema ist ein grundsätzliches der Einstellung zur Arbeit und der Fähigkeit, mit anderen Menschen zusammenzuarbeiten. Hier gilt oft die Definition „Team = Toll, ein anderer macht’s“ Das ist vielen sicher noch aus der Schule von der Gruppenarbeit her bekannt. Und leider hat sich für die meisten daran bis heute nicht viel geändert. Bei E-Mails gilt: „Aus den Augen, aus dem Sinn.“  Ist die E-Mail verschickt, hat man ein Thema erledigt, so der Irrglaube. Diese Themen sind zuerst zu lösen, wenn man in Unternehmen E-Mails weiter als sinnvolles tool einsetzen möchte, was unverzichtbar ist.

Wer sich der Lösung der Probleme im Zusammenhang mit E-Mails annimmt, muss aber tiefer gehen. Die Misere fängt schon bei banalen Themen an. Genauso, wie schon der Betreff eines Briefes prägnant, aber erschöpfend sein sollte, genauso ist es bei der E-Mail. Schon hier fangen Pleiten, Pech und Pannen an.

Das Deaster setzt sich in dem Text der E-Mail selbst fort. Eine E-Mail ist leseunfreundlich. Häufig erscheinen E-Mails auf dem Bildschirm des Empfängers ganz anders als der Absender sie auf seinem Schirm gesehen hat. Auch hier gilt: genauso wie jeder Brief eine Visitenkarte des Unternehmens ist, genauso ist das eine E-Mail. Bei aller Eile: Schreibfehler haben weder hier noch dort etwas zu suchen. Und wenn noch nicht einmal genug Zeit (oder schlimmer noch: Kenntnis) vorhanden ist, fehlerfrei zu schreiben, dann kommt schnell der Verdacht auf, dass das gleiche wohl auch für die fachliche Befassung gilt. Auch ist es eine Binsenweisheit, dass in Hektik und Eile erstellte Lösungen und Dokumente selten gut durchdacht sind. Aber das kann man ja, was bei Anwälten häufig so ist, mit der Stärke der Ausdrucks – vermeintlich – wieder wettmachen.

Ein weiteres Übel sind E-Mails, die sich über mehrere Seiten auf dem Bildschirm erstrecken. Ich möchte (auch) mit meinen E-Mails überzeugen. Das aber setzt voraus, dass ich bei dem Empfänger keinen Widerstand beim Lesen hervorrufe. Bei längeren Texten bietet es sich an, den Text in ein Schreiben zu setzen und das Schreiben als pdf Datei der E-Mail beizufügen. Die Hauptaussagen gehören dann dennoch in die E-Mail, damit der Empfänger weiß, was ihn in der Anlage erwartet.

Ein großes Thema ist auch die Disziplinlosigkeit bei der Auswahl, besser gesagt der Eingrenzung der Adressaten der  E-Mail: wer muss die E-Mail erhalten? Im Zweifel ist es immer gut, „den Chef“ cc zu setzen. Denn dann hat man ihn ja unterrichtet. Soll er sich doch melden, wenn was nicht gefällt.

Und mit den Anlagen zur E-Mail ist es wie mit den Medikamenten: viel hilft viel. Ohne Sinn und Verstand werden die Adressaten mit virtuellem Papier versehen nach dem Motto: „ich bin zu faul zum Suchen, das überlasse ich Ihnen. und weil ich nicht weiß, was ich machen soll, habe ich Ihnen vorsorglich noch mehr geschickt.

Und wie sieht es in der Anwaltschaft aus? Sehr gemischt. Generell dürfte gelten: je größer die Kanzlei, desto höher die Akzeptanz von E-Mails. Viele Anwälte lehnen noch heute, jedenfalls für sich persönlich, den Einsatz eines PCs ab. Und wenn sie ihn nutzen, dann als Schreibmaschine mit Löschfunktion. Eine richtig zwingende Notwendigkeit gibt es für Anwälte nicht, sich mit moderner Kommunikation zu befassen. Reagiert wird erst dann, wenn es nicht anders geht. Als Beispiel nenne ich das elektronische Handelsregister. Geradezu stiefmütterlich behandelt sind das EGVP und die Videokonferenz. Diese sehr guten Einrichtungen werden ad absurdum geführt, weil, man glaubt es kaum, die Justiz diese tools blockiert, und weil die tools sehr umständlich sind. Viele Gerichte haben einfach kein EGVP, Anwälte können also mit diesen Gerichten nicht per EGVP kommunizieren. Völlig unverständlich daher das Wehklagen dieser  Gerichte darüber, dass die Gerichtsakten durch Telefaxe und zusätzlich übersandte Originale sinnlos vollgestopft werden. Einfache Abhilfe: EGVP anbieten, und zwar aktiv. Das aber sucht man vergebens. Angesichts der rasanten Entwicklung  um die Jusitz herum kann man mit Fug und Recht sagen: der Stillstand in diesem Bereich ist Rückschritt.

Daran ist aber auch die Anwaltschaft nicht schuldlos. Als vor einiger Zeit das Thema aufkam, die elektronische Kommunikation mit den Gerichten solle verbindlich werden, hört man von den Kammern als erstes einen gellenden Aufschrei nicht darüber, sondern darüber, dass auch die Kammern zu dieser Art der Kommunikation verpflichtet werden sollten. Die Selbstverwaltung ist sicher ein hohes Gut, sie ist aber kein Selbstzweck. Und so bleibt bei Äußerungen dieser Art der fatale Eindruck, dass die Kammern sich nicht mit dem Thema in der Sache, sondern in einer Nabelschau lieber mit sich selbst und ihrer Selbstverwaltung befassen. Als wir vor Jahren das EGVP bei uns eingeführt haben, erhoffte ich mir Unterstützung von der Kammer. Die war schnell enttäuscht, weil niemand wusste, was das überhaupt war.

Also: auf und zurück in die Steinzeit? nein, auch hier gilt: die Probleme muss der Anwalt selbst anpacken und lösen. Vom Liegenlassen könne Ansprüche verjähren, Probleme in der Kanzlei werden so aber sicher nicht gelöst. Im Gegenteil: man sieht jeden Tag die gleichen Defizite, darf sich aber jeden Tag aus dem gleichen Grund aufregen. Das sollte uns Anwälten zu langweilig sein. Es ist auch ein Armutszeugnis, auf gesetzlichen Zwang beim elektronischen Rechtsverkehr zu warten. Die Anwaltschaft muss hier der Vorreiter sein und sinnvolle tools wie EGVP und Videokonferenzen aktiv einfordern.

 

VonProf. Dr. Wolfgang Sturm

Thema mit Zukunft: Vergütungsvereinbarungen – Urteil des LG Oldenburg vom 21. Juni 2012 bringt weitere Rechtssicherheit (auch zu § 308 Nr. 5 BGB)

Am 21. Juni 2012 hatte das LG Oldenburg (16 O 2932/11) in einem Rechtsstreit über die Wirksamkeit einer  Vergütungsvereinbarung eines Anwalts zu entscheiden. Das Landgericht bestätigte mit seinem Urteil die bisherige Rechtsprechung, auch der Oberlandesgerichte, zu dem Thema. Es hielt eine Klausel in einer Vergütungsvereinbarung, nach der den Mandanten übersandte Zeitaufstellungen als anerkannt gelten, für wirksam, wenn diese den Anforderungen der §§ 305 ff. BGB, insbesondere § 308 Nr. 5 BGB, entspricht.

In dem vom LG Oldenburg entschiedenen Rechtsstreit hatte der Mandant auf die Rechnung einfach gar nichts gezahlt, nicht einmal den Teil des Honorars, den er selbst für angemessen hielt. Obwohl der Mandant von dem Anwalt während der gesamten Betreuung zeitnah über alle Schritte informiert worden war, und alle Schritte im Vorhinein mit ihm abgestimmt worden sind, ließ das Gericht einfaches Bestreiten der abgerechneten Tätigkeiten durch den beklagten Mandanten ausreichen und erhob Beweis über die berechneten Tätigkeiten. Den geltend gemachten Zeitaufwand erkannte das Gericht danach bis auf eine kleinere Position als in vollem Umfang berechtigt an.

Der Stundensatz betrug 250 € für den Partner und 185 € für einen Associate mit weniger als 3 Jahren Berufserfahrung.

Einen Vergleich über rd. 70 % der Honorarforderung hatte der beklagte frühere Mandant abgelehnt. Der jetzt zu zahlende Betrag liegt weit darüber. Zudem wurden die Kosten gequotelt. Wir meinen, dass eine Vergütungsvereinbarung für Transparenz in der Abrechnung sorgt. Ebenso wie gute Produkte nur gegen gutes Geld zu haben sind, ebenso ist auch eine gute Beratung nur gegen gutes Geld zu haben. Häufig wird dabei übersehen, dass in dem in Rechnung gestellten Stundensatz alle Kosten des Büros inklusive Personal samt abzuführender Arbeitgeberanteile, Miete, Büroausstattung, (online) Bibliothek, Fortbildung,  Haftpflicht usw. enthalten sind. Die Situation der Anwälte ist eine ganz andere als die der Steuerberater und Wirtschaftsprüfer, die einen anderen Multiplikator und viel mehr Dauermandate mit den immer wiederkehrenden Arbeiten haben. Eine sehr gute Beratung im anwaltlichen Bereich dagegen ist eine individuelle Arbeit, die auch mehr kostet als die Garderobe von der Stange. Zudem verlangen die Mandanten auch in den Großkanzleien immer mehr die persönliche Betreuung durch den Partner.