Kategorien-Archiv Steuerrecht

VonProf. Dr. Wolfgang Sturm

Der erschreckende „Zustandsbericht“ der Deutschen Steuerjuristischen Gesellschaft über das Steuerstrafrecht an der Schnittstelle zum Steuerrecht

DStJG Band 38Klare Worte über das Steuerstrafrecht an der Schnittstelle zum Steuerrecht findet der Präsident des Bundesfinanzhofes Rudolf Mellinghoff in der Rechtfertigung des Themas in Band 38 der Veröffentlichungen der Deutschen Steuerjuristischen Gesellschaft. Mellinghoff berichtet auf Seite 3 des Tagungsbandes, dass Steuerberater ihm berichten, dass Streitigkeiten über Verrechnungspreise und Bewertungsfragen nicht in der Veranlagung geklärt, sondern der Steuerfahndung übergeben werden. Auch würden Steuerberater im Rahmen von Betriebsprüfungen unter Androhung einer Steuerfahndung zu Zugeständnissen „veranlasst“ werden. Ebenso prangert er, wenn auch mit freundlichen Worten, an, dass das Steuergeheimnis – siehe die Verfahren gegen Hoeneß und Zumwinkel – wohl keines sei.

Mellinghoff beklagt weiter, dass „nicht verbotene Steuervermeidungsstrategien und unliebsame Steuergestaltungen in einem Atemzug mit der Bekämpfung der Steuerhinterziehung“ genannt würden. Richtig führt er aus: „Hier  vermischen sich steuerpolitische Gerechtigkeitsforderungen mit der Verurteilung strafbaren Unrechts“.

All das können wir aus der Praxis leider nur bestätigen. Mellinghoff beschreibt die Zustände nach unseren Erfahrungen mit zu freundlichen Worten. Aus unsere Praxis ist uns bekannt, dass Prüfer schnell dabei sind, Steuertatbestände nur zu behaupten. Die Sache wird dann mit der Bericht abgegeben und ist für den Prüfer erledigt. Es ist dann Sache des Steuerbürgers und seiner Berater, sich mit strafrechtlichen Vorwürfen und unbegründeten Steuerbescheiden zu befassen und dagegen vorzugehen. Es ist eine deutliche Tendenz zu erkennen, Steuerpflichtige zu kriminalisieren, sie mit der geballten Staatsmacht zu konfrontieren und so für nicht begründbare Zugeständnisse gefügig zu machen. Solchen Arten von Erpressung, die unter dem Deckmantel rechtsstaatlichen Handelns daher kommen, muss mit allen Mitteln Einhalt geboten werden. Es entsteht (sonst) der Eindruck, dass der Zweck die Mittel heiligt. Offenbar ist es aus dem Blickfeld geraten, dass jeder Steuertatbestand zugleich objektiver Tatbestand einer Steuerhinterziehung sein kann. Es bedarf keiner Diskussion, dass Steuerhinterziehung nicht zu akzeptieren ist. Es bedarf aber auch eines deutlich besseren Augenmaßes. Das gilkt insbesondere angesichts der trotz aller gegenteiligen Beteuerungen der Politiker gleich welcher couleur immer mehr zunehmenden Komplexität des Steuerrechts, das es für den Steuerpflichtigen in vielen Fällen nich mehr verständlich werden lässt.

Der Band 38 der Deutschen Steuerjuristischen Gesellschaft ist allen Steuerrechtlern und Steuerstrafrechtlern zur Lektüre empfohlen. Das Buch enthält viele Denkanstöße für Praxis, aber auch für die Politk.

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VonProf. Dr. Wolfgang Sturm

Finanzgericht Münster bestätigt mit Urteil vom 18. August 2015 (10 K 3410/13 K, G): Hersteller und „Inverkehrbringer“ von Elektrogeräten, zu denen auch Beleuchtungsmittel wie Energiesparlampen zählen, die unter das Elektrogesetz (ElektroG) fallen, müssen eine Rückstellung für von ihnen zu tragende Entsorgungskosten bilden.

91010_WS schwarz weißDass Batterien gesammelt und zurückgegeben werden können, ist vielen bekannt. Nicht so stark in den Fokus getreten ist dagegen das ElektroG, das die Hersteller und Verkäufer von Elektrogeräten, zu denen u.a. Energiesparlampen zählen, verpflichtet, diese Geräte zu entsorgen. Die Klägerin hatte auf Basis des seit 2005 geltenden ElektroG beginnend im Jahr 2005 in ihren Jahresabschlüssen Rückstellungen für von ihr zu tragende Entsorgungskosten für Energiesparlampen, die sie verkauft hatte, gebildet. Die Finanzverwaltung erkannte diese Rückstellungen zunächst so, wie von der Klägerin erklärt, an. Eine bei der Klägerin durchgeführte Betriebsprüfung vertrat für die Streitjahre 2007-2009 dagegen die Auffassung, dass eine Rückstellung schon dem Grunde nach nicht zu bilden sei. Denn die Klägerin könne sich der Pflicht, Entsorgungskosten zu tragen, schon dadurch entziehen, dass sie die in Rede stehenden Lampen nicht mehr vertreibe, und damit nicht mehr Marktteilnehmer sei.

Bereits in dem der mündlichen Verhandlung vorausgegangenen Erörterungstermin im Mai 2015 vertrat das Gericht gegen die Finanzverwaltung die Auffassung, dass eine Rückstellung für Entsorgungskosten dem Grunde nach zu bilden ist. Dabei komme es nicht darauf an, dass das jeweils betroffene Unternehmen für eine bestimmte Anzahl von Geräten eine Abholanordnung der zuständigen Behörde erhalten habe. Jedenfalls für die ab dem 13. August 2005 in Verkehr gebrachten und der zuständigen Stelle (Stiftung ear – Elektro – Altgeräte- Register) gemeldeten Stückzahlen sei zwingend dem Grunde nach eine Rückstellung zu bilden. Für die vor dem 13. August 2005 in Verkehr gebrachten Geräte vertritt das Finanzgericht in seinem Urteil vom 13. August 2005 dagegen die Auffassung, dass dafür keine Rückstellung gebildet werden dürfe. Zwar sei die Klägerin auch für die Rücknahme der vor dem 13. August 2005 in Verkehr gebrachten Geräte verantwortlich. Die Verantwortung knüpfe nach dem Elektrogesetz aber nicht an das Inverkehrbringen vor einem bestimmten Stichtag an, sondern daran, dass das jeweils betroffene Unternehmen im Zeitpunkt des jeweiligen Jahres Marktteilnehmer sei.

In dem vom Finanzgericht Münster mit Urteil vom 18. August 2015 entschiedenen Rechtsstreit ging es darüber hinaus noch um weitere spannende Fragen. Die Frage der Höhe der Rückstellung haben die Parteien auf intelligenten Vorschlag des Gerichts pauschal gelöst. Dabei wurden eine bestimmte Rücklaufquote in % und ein bestimmter Betrag in € als pauschale Entsorgungskosten und brstimmte Stückzahlen zugrunde gelegt.

Streitig war weiter, ob das beklagte Finanzamt berechtigt war, die Steuerbescheide für zwei Streitjahre nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO zu ändern. Dazu hatte die Klägerin vorgetragen, das beklagte Finanzamt sei daran nach Treu und Glauben gehindert gewesen. Denn es habe gegen seine Pflicht, den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln, verstoßen. Das Gericht dagegen vertrat die Auffassung, die Klägerin treffe ein Mitverschulden. Sie habe die Rückstellung für die Entsorgungskosten nicht einfach in einem Posten unter „sonstige Rückstellungen“ zusammenfassen dürfen. Die Klägerin habe vielmehr diese Rückstellung für Entsorgungskosten nach ElektroG aufschlüsseln müssen. Das Argument der Klägerin, sie sei eine kleine Kapitalgesellschaft und daher nach Handelsrecht, aber auch nach Steuerrecht, nicht verpflichtet gewesen, die sonstigen Rückstellungen aufzuschlüsseln, ließ das Finanzgericht nicht gelten.

Das Finanzgericht hat die Revision zum BFH zugelassen. Es hat dem beklagten Finanzamt aber mit auf den Weg gegeben, dass die Klägerin nach seiner Einschätzung auch vor dem BFH obsiegen werde.

Bei dem vor dem Finanzgericht entschiedenen Verfahren handelt es sich augenscheinlich um ein von der OFD Münster betriebenes Pilotverfahren. Das beklagte Finanzamt legte großen Wert darauf, über die Rechtsfrage, ob eine Rückstellung dem Grunde nach zu bilden sei, ein Urteil zu erhalten. Über die Rückstellung der Höhe nach Haben die Parteien sich geeinigt. Sie haben sich auf eine bestimmte Rücklaufquote und einen bestimmten für die Entsorgung aufzuwendenden Betrag je verkaufter Lampe geeinigt. Wir gehen davon aus, dass das beklagte Finanzamt in die Revision gehen wird.
ws

VonProf. Dr. Wolfgang Sturm

Ein Fehler kommt selten allein: 1. Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Beschwerde ist unzulässig, und 2. Irren ist menschlich, nicht aber für Berater | BFH – Beschluss vom 12.6.2015, III B 81/14

Random_Coil_Logo_Blog_FacebookIn dem BFH – Beschluss vom 12.6.2015 ging es zunächst einmal um eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung einer Entscheidung eines Finanzgerichts im Verfahren der Aussetzung der Vollziehung. Es ging aber auch darum, ob die Erklärung über die Rücknahme der zunächst eingelegten Nichtzulassungsbeschwerde angefochten werden durfte.
Eine beim Finanzgericht beantragte Aussetzung der Vollziehung eines Einkommensteuerbescheides für 2006 hatte keinen Erfolg. Die Beschwerde an den BFH ließ das Finanzgericht nicht zu. Daraufhin wandte sich der Antragsteller mit „Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision“ gegen den Beschluss des FG an den BFH. Nur kurze Zeit später teilte er mit, dass er die Nichtzulassungsbeschwerde zurücknehme. Der BFH stellte das Verfahren durch Beschluss ein. Daraufhin beantragte der Antragsteller, den Einstellungsbeschluss aufzuheben und das Verfahren fortzuführen. Er trug vor, dass ein Erklärungsirrtum vorgelegen habe. Er habe die Aktenzeichen verwechselt und mit der Rücknahme der Beschwerde eine Erklärung abgegeben, die er so gar nicht habe erklären wollen.

Der BFH schien aber offensichtlich Interesse daran zu haben, über die Frage der Anfechtung der Rücknahme der Beschwerde zu entscheiden. Denn er hätte darüber gar nicht zu entscheiden brauchen. Denn schon die Beschwerde war unzulässig. Die FGO kennt eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Beschwerde bei einer Entscheidung des FG über einen Antrag auf AdV nicht. Trotzdem wollte es der BFH sich nicht entgehen lassen, zur Frage der Anfechtbarkeit der Rücknahme der Beschwerde etwas auszuführen. Wörtlich führte der BFH in seinem Beschluss aus:

„b) aa) Die Rücknahme einer Beschwerde ist als Prozesshandlung grundsätzlich unwiderruflich und kann auch nicht –etwa in entsprechender Anwendung der bürgerlich-rechtlichen Vorschriften über die Anfechtung von Willenserklärungen– angefochten werden (vgl. zur Klagerücknahme z.B. BFH-Urteil vom 26. Oktober 2006 V R 40/05, BFHE 215, 53, BStBl II 2007, 271, m.w.N.).

Wird –wie hier– ein rechtskundiger Prozessvertreter tätig, kommt –anknüpfend an die Regelung des § 72 Abs. 2 Satz 3 FGO– ein Widerruf der Rücknahme der Beschwerde ausnahmsweise dann in Betracht, wenn ein Wiederaufnahmegrund i.S. der §§ 579, 580 der Zivilprozessordnung (ZPO) gegeben ist oder die Rücknahme auf einem offenkundigen Versehen beruht (BFH-Beschluss vom 12. August 2009 X S 47/08 (PKH), BFH/NV 2009, 1997; Brandis in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 72 FGO Rz 30 f.).

bb) Ein derartiger Ausnahmefall liegt im Streitfall indes nicht vor. Ein Wiederaufnahmegrund i.S. der §§ 579 und 580 ZPO ist nicht gegeben. Auch liegt kein offenkundiges Versehen vor. Zwar hat der Antragsteller in seinem Schreiben vom 22. Oktober 2014 auch auf ein anderes Aktenzeichen (8 V 2653/14) des FG Bezug genommen. Nachdem betreffend dieses weiteren Aktenzeichens (8 V 2653/14) kein Verfahren beim BFH anhängig war und der Antragsteller in diesem und weiteren Verfahren auch inhaltliche Verknüpfungen zu anderen Verfahren hergestellt hat, war weder ersichtlich, welche genauen Motive der Beschwerderücknahme zugrunde lagen, noch erkennbar, dass die Rücknahmeerklärung auf einem Versehen beruhen könnte. Es bestand daher kein Anlass von dem Grundsatz abzuweichen, dass Angehörige der steuerberatenden Berufe mit ihren Prozesserklärungen beim Wort zu nehmen sind (z.B. BFH-Beschluss vom 14. Juni 2011 V B 24/10, BFH/NV 2011, 1532, m.w.N.).“
Vereinfacht gesagt, bedeuten die Ausführungen des BFH: „Irren ist menschlich, nicht aber für Angehörige der steuerberatenden Berufe“. Diese sind, wie der BFH so schön formuliert, mit ihren Prozesserklärungen beim Wort zu nehmen. Die Reaktion des Mandanten des Prozessbevollmächtigten zu den Ausführungen des BFH ist uns nicht bekannt.
ws

VonProf. Dr. Wolfgang Sturm

„Wegfallgewinn“: BFH bleibt mit Urteil vom 15.04.2015 bei seiner Rechtsauffassung zum Rangrücktritt mit leichter Modifikation zu den Folgen

91007 Linus Fliege_3Mit seiner Entscheidung vom 15.04.2015 (I R 44/14) bleibt der BFH bei seiner Linie, dass nicht jede Art eines zu einer Verbindlichkeit erklärten Rangrücktritts dazu führt, dass die Verbindlichkeit bestehen bleibt (und damit kein Gewinn infolge Wegfalls der Verbindlichkeit anfällt – „weniger arm = mehr reich“ = Gewinn). Er ergänzt sie aber konsequent.

Während ein Forderungsverzicht bei dem Schuldner zum Wegfall der Verbindlichkeit und damit steuerrechtlich zu einer Erhöhung des Betriebsvermögens nach § 4 Abs. 1 EStG führt, versucht die Praxis, diesem nicht gewünschten Ergebnis (wem es so schlecht geht, dass Gläubiger auf Forderungen verzichten, der braucht keinen zu versteuernden Gewinn ohne Zufluss von Liquidität) mit einem Rangrücktritt zu begegnen. Rangrücktritt heißt vereinfacht gesagt, dass die Verbindlichkeit zwar bestehen bleibt, sie aber bei Fälligkeit nicht bezahlt werden muss, sondern erst dann, wenn bestimmte Bedingungen eingetreten sind. Weiterer Vorteil: in einem insolvenzrechtlichen Status sind solche Verbindlichkeiten nicht auszuweisen, eine Überschuldung kann damit beseitigt werden. Wirtschaftlich betrachtet sind der Rangrücktritt und der auflösend bedingte Forderungsverzicht (Der Verzicht wird heute erklärt, die Forderung erlischt sofort, sie entsteht aber wieder bei Eintritt bestimmter Bedingungen) einander daher ähnlich.

Es liegt auf der Hand, dass bei der Formulierungen eines Rangrücktrittes der kautelarjuristischen Kreativität keine Grenzen gesetzt sind. Doch da wird’s ohne profunde Kenntnisse des Steuerrechts gefährlich. Das Steuerrecht greift durch die Sonderregelung des § 5 Abs. 2a EStG in der Weise in die Gestaltung ein, dass für Verpflichtungen, die nur zu erfüllen sind, soweit künftig Einnahmen oder Gewinne anfallen, Verbindlichkeiten und Rückstellungen erst anzusetzen sind, wenn die Einnahmen oder Gewinne angefallen sind. Das gilt auch für Rangrücktritte.

Es bedarf daher schon der passenden Formulierung, um das unerwünschte Entstehen eines steuerlichen Gewinns durch einen Rangrücktritt zu vermeiden.

Positiv an der Entscheidung des BFH: wenn der Rangrücktritt nicht betrieblich veranlasst ist, ist die Gewinnerhöhung durch den – falsch formulierten – Rangrücktritt (Wortschöpfung des BFH: „Wegfallgewinn„) zu neutralisieren (als Einlage). Wermutstropfen: das erkennt der BFH aber nur in Höhe des werthaltigen Teils der Forderung an, und dieser Teil dürfte in der Praxis in den meisten Fällen nicht sehr hoch sein. Denn bei werthaltigen Forderungen besteht kein Anlass, einen Rangrücktritt zu erklären.
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VonProf. Dr. Wolfgang Sturm

BFH-Urteil vom 10.03.2015: ein Notarassessor ist kein Kellner, oder doch ?

Random_Coil_Logo_Blog_FacebookNein, es war nicht der 1. April. So einfach ist das Urteil nicht erklärt. Die Dinge müssen komplizierter liegen, zumal das Finanzgericht die Revision gegen seine Entscheidung an den BFH zugelassen hatte. Und das ist ja schon seit vielen Jahren die absolute Ausnahme. Im Regelfall ist bei dem Finanzgericht „Endstation„. Es ist schon verwunderlich, worüber der BFH so zu entscheiden hat, aber das Gericht kann sich die Verfahren ja auch nicht aussuchen. Mit Urteil vom 10.03.2015, VI R 6/14, kam der BFH zu dem Ergebnis, dass freiwillige Zahlungen von Notaren an Notarassessoren für deren Vertretungstätigkeit keine Trinkgelder nach § 3 Nr. 51 EStG und damit nicht steuerfrei seien. Dabei legte der BFH den Begriff „Trinkgeld“ lebensnah aus. Das Urteil zeigt zudem schön den Status eines Notars. Den kann man nicht wie einen Kellner herbeiwinken und etwas bestellen. Der Notar und auch sein Vertreter üben ein öffentliches Amt aus.
Auch hier frage ich mich – in Richtung der Kläger – nach der Lektüre des Urteils: sind 1.000,00 zu versteuernde Euro einen solchen Aufwand wert? Wenn es um die Rechtsfortbildung ginge, ja, wenn es um’s Recht behalten und ca. 400 Euro Steuern geht, nein.

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VonProf. Dr. Wolfgang Sturm

Gastbeitrag von Prof. Dr. Sturm „Steuerrecht für Entrepreneure“, im Buch „Entrepreneurship“ erschienen. Verlag Springer Gabler 2. Auflage 2015, Kapitel 10 S. 381 bis 433

91010_WS schwarz weißDas Lehrbuch „Entrepreneurship“ von Pott / Pott ist im Juni 2015 bereits in 2. Auflage bei dem renommierten Verlag Springer Gabler erschienen. In 10 Kapiteln werden alle relevanten Themen rund um die Unternehmensgründung, Businessplan und Finanzierung dargestellt. Bisher fehlte in dem Buch das Steuerrecht. Diese Lücke konnte jetzt durch den genannten Gastbeitrag geschlossen werden. Kapitel 10 des Buches hat das Steuerrecht für Entrepreneure zum Gegenstand. Es geht aber weit über die steuerlichen Themen, die besonders für Gründer interessant sind, hinaus. Das Kapitel über die „Steuerfallen„, die angesichts der Komplexität des Steuerrechts ständig an Zahl zunehmen, wird jeden Unternehmer interessieren. Auf den ersten Blick für Gründer etwas früh, bei näherer Betrachtung aber nur konsequent: mit dem in dem Gastbeitrag auch behandelten Thema der Unternehmensnachfolge können Unternehmer sich nicht früh genug befassen. Denn auch dieses Thema ist eine sehr vielschichtige unternehmerische Herausforderung. Die Autoren des Buches sind Prof. Dr. Oliver Pott, Professor für Entrepreneurship, Unternehmensgründung und Startup Management, und Dr. André Pott, Rechtsanwalt aus Detmold. Das Buch enthält zusätzlich Gastbeiträge von Prof. Dr. Frank Wallau (Mittelstandspolitik, Unternehmensgründung/-nachfolge):  und Prof. Dr. Wolfgang Sturm (Steuer- und Wirtschaftsrecht in mittelständischen Unternehmen mit internationalen Bezügen, Steuerstrafrecht, Recht der Unternehmensnachfolge, Wissensmanagement in Kanzleien).
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VonProf. Dr. Wolfgang Sturm

BFH vom 05.11.2014: Ärzte dürfen für Honorarrückforderungen der Krankenkassen Rückstellungen bilden – da staunt der Laie und der Fachmann wundert sich?

91007 Linus fliege orange_1Nanu, was passiert denn jetzt? Ärzte dürfen Rückstellungen bilden? Aber nur keine Angst, wir Steuerrechtler müssen Gott sei Dank nicht alles, was wir einmal über Steuerrecht gelernt haben, nach dem Urteil vom 05.11.2014 über Bord werfen. Auch die Lehrbücher und Kommentare im Steuerrecht müssen nicht umgeschrieben werden. Denn bei näherer Betrachtung ist das Urteil des Bundesfinanzhofes (BFH) zu Az. VIII R 13/12 nicht so erstaunlich, wie es auf den ersten Blick zu sein scheint. Der BFH hat nicht etwa, wie wir selbst zunächst vermutet hatten, und was ja auch wirklich eine Revolution gewesen wäre, bei der für Ärzte üblichen Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG durch Einnahme-Überschussrechnung die Bildung von Rückstellungen zugelassen. Im Streitfall ging es um eine GbR, die den Gewinn im Streitjahr durch Betriebsvermögensvergleich nach § 4 Abs. 1 EStG ermittelte. Also, durchatmen und ruhig bleiben, denn jetzt kommt der angenehme Teil des Urteils:

das Urteil des BFH ist ein voller Erfolg für alle Steuerpflichtigen. Der BFH hat erneut für den Fall der Bildung von Rückstellungen gegen die Finanzverwaltung entschieden. Die Finanzverwaltung wollte für die Bildung der Rückstellungen nahezu unüberwindliche Hürden aufstellen. Dem hat der BFH eine klare Absage erteilt. Im Streitfall ging es darum, dass die klagenden Ärzte das so genannte Richtgrößenvolumen nach SGB überschritten hatten. Bei einer Überschreitung um mehr als 25 % nach Feststellung durch den Prüfungsausschuss ist eine Rückforderung in Höhe des Mehraufwandes der Krankenkasse gesetzlich vorgeschrieben. Dieses Überschreiten der Richtgrößen hat nach Auffassung des BFH die Wirkung eines Anscheinsbeweises für die Unwirtschaftlichkeit der Verordnungsweise. Dem gegenüber hätten sich die Ärzte entlasten müssen. Angesichts des eingeleiteten Prüfverfahrens sah der BFH das Drohen einer Rückzahlungsverpflichtung als hinreichend wahrscheinlich an, selbst wenn der tatsächlichen Inanspruchnahme noch ein Verfahren vorherzugehen habe.
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VonProf. Dr. Wolfgang Sturm

Sind (auch) Finanzgerichte weltfremd? BFH hält mündliche Verhandlung um 6:30 Uhr für zumutbar, auch wenn dies mit erheblicher Reisetätigkeit verbunden ist; praktisch: Einzelrichter entscheidet selbst über gegen ihn gerichtetes Ablehnungsgesuch

91010_WS schwarz weißWer schon einmal versucht hatte, bei einem Gericht einen Termin zur mündlichen Verhandlung morgens um 06.30 Uhr zu erhalten, wird im besten Fall Gelächter geerntet haben. Der BFH und das FG in Leipzig dagegen halten einen Termin zu dieser Stunde für Rechtsanwälte für durchaus zumutbar. Ein Antrag auf Terminsverlegung komme nicht in Betracht.

In seinem Beschluss vom 10.3.2015 (V B 108/14) konnte der BFH in der m.E. doch krassen Ablehnung einer Terminsverlegung durch das Finanzgericht in Leipzig und den damit im Zusammenhang stehenden Äußerungen eines Einzelrichters („da lache ich aber“) keine Besorgnis der Befangenheit des Einzelrichters erkennen. Besonders praktisch dabei: Der Einzelrichter hatte über das gegen ihn gerichtete Ablehnungsgesuch selbst als Richter in eigener Sache entschieden. Nach der auf der Internetseite des Bundesfinanzhofes veröffentlichten Entscheidung hatte der Prozessbevollmächtigte beantragt, einen Termin zu verlegen. Der Bevollmächtigte hatte dazu vorgebracht, am Vortag einen Termin beim Bundespatentgericht zu haben, und am Terminstag einen weiteren beim Amtsgericht in D, und zwar um 9:30 Uhr. Den nächsten Satz der Entscheidung muss man sich allerdings auf der Zunge zergehen lassen:

zur Vermeidung einer Terminkollision hat das FG die mündliche Verhandlung von 11:00 Uhr auf 7:00 Uhr vorverlegt, eine Fahrzeit nach D von 2 Stunden berücksichtigt und sich überdies bereit erklärt den Termin von 7:00 Uhr auf 6:30 Uhr vorzuverlegen. Gründe, die den Kläger und Beschwerdeführer in dieser Zeit an der Teilnahme hinderten, hat er weder vorgebracht noch glaubhaft gemacht. Bloße Unannehmlichkeiten, um den Termin pünktlich wahrnehmen zu können (wie beispielsweise eine frühe Anreise oder eine Hotelübernachtung), reichen dagegen für die Annahme eines erheblichen Grundes nicht aus.“

Erste Frage: warum konnte denn der Termin nicht einfach auf einen anderen Tag verlegt werden? FG – Verfahren sind nicht für besonders kurze Dauern bekannt. Da kann es also auf ein oder zwei Wochen ankommen. Diese gilt umso mehr, als das Gericht ja bereit war, auch schon um 06:30 mit den Verhandlungen zu beginnen. Vielleicht wäre es auch bereits, einen Termin um 22:30 zu ermöglichen?

Der Bevollmächtige telefonierte daraufhin mit dem Einzelrichter. In einem Telefonat habe der Einzelrichter eine telefonische Äußerung des Bevollmächtigten mit der Erwiderung quittiert: „da muss ich aber lachen“. Nach der veröffentlichten Entscheidung wies der Einzelrichter selbst den Befangenheitsantrag des Bevollmächtigten zurück.

Der BFH konnte darin keinen Verfahrensfehler erkennen. Er schloss sich der Entscheidung des Einzelrichters in Leipzig an und meinte, ein Termin um 7:00 Uhr, gegebenenfalls um 6:30 Uhr, sei durchaus zumutbar.

Wenn wir die Entscheidung richtig verstehen, mutet der BFH dem Bevollmächtigten folgendes zu: am Vortag des Termins hatte der Prozessbevollmächtigte einen Termin beim Bundespatentgericht, in München. Am Prozesstag sollte er zunächst um 07:00 Uhr oder um 06:30 Uhr in Leipzig zur mündlichen Fahndung erscheinen, um sodann nach 2 Stunden Fahrzeit nach D (wie Dessau?) zu gelangen. Das ist ersichtlich nach unserer Auffassung ein wenig weltfremd. Einfacher wäre es doch gewesen, einen anderen Tag zu finden, zumal bei der gezeigten richterlichen Flexibilität. Aber das wäre ja zu einfach gewesen. Oder ging es nur darum, Recht zu behalten? Ich hoffe nicht.

Interessant und zur „Nagelprobe“ wird die Sache, wenn man die Situation umkehrt. Wer es bis heute noch nicht versucht hat, kann ja mal bei einem Finanzgericht den Antrag stellen, dass er doch bitteschön um 6:30 Uhr oder um 22:30 Uhr verhandelt werden möge (das ist ja zumutbar). Ich werde das jetzt einmal bei nächster Gelegenheit machen. Ich möchte die Prognose wagen, dass dies in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle voraussichtlich abgelehnt werden wird. Das aber wäre möglicherweise eine wissenschaftliche Untersuchung wird.
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VonProf. Dr. Wolfgang Sturm

BFH bestätigt mit Beschluss vom 21.01.2015 ständige Rechtsprechung oberster Bundesgerichte zur Frage, wann Richter schlafen und, noch viel wichtiger, wann nicht.

91007 Linus fliege orange_1In der vom BFH zu entscheidenden Sache ging es um die Frage, ob die bekanntlich nur kurzfristige Vermietung von Zimmern an Prostituierte dem ermäßigten Umsatzsteuersatz i.H.v. 7 % unterliegt. Die Klägerin unterlag mit ihrem Begehren bereits vor dem Finanzgericht. Die Revision hatte das Finanzgericht nicht zugelassen. Da der BFH die von der Klägerin eingereichte Nichtzulassungsbeschwerde bereits als unzulässig ansah (das ist kein Makel, weil die Anforderungen an die Zulässigkeit sehr hoch sind), fiel der Beschluss des BFH vom 21.01.2015 (XI B 88/14) insoweit recht kurz aus.

Im Vergleich dazu nahmen die Ausführungen des BFH zu dem Vorbringen der Klägerin, „beim Vorlesen des Falles“ durch den Berichterstatter habe der Beisitzer Herr X die Augen geschlossen, einen deutlich größeren Raum ein. Dieses Vorbringen wertete der BFH als Rüge, das Gericht sei nicht ordnungsgemäß besetzt gewesen, um sich sodann genüßlich damit auseinandersetzen zu können. Wäre die Rüge begründet gewesen, hätte ein absoluter Revisionsgrund vorgelegen (§ 119 Nr. 1 FGO), der auch einen Verfahrensmangel dar gestellt hätte. Allerdings meinte der BFH, dass die Rüge nicht ordnungsgemäß erhoben worden sei.

Wörtlich führte er dazu in seiner Entscheidung aus:
„a) Ein Gericht ist nicht vorschriftsmäßig besetzt, wenn ein Richter während der mündlichen Verhandlung schläft und deshalb wesentlichen Vorgängen nicht folgt (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteil vom 4. August 1967 VI R 198/66, BFHE 89, 183, BStBl III 1967, 558, und BFH-Beschluss vom 19. Oktober 2011 IV B 61/10, BFH/NV 2012, 246). Dass diese Voraussetzungen vorliegen, kann im Allgemeinen jedoch erst dann angenommen werden, wenn sichere Anzeichen für das Schlafen wie beispielsweise tiefes, hörbares und gleichmäßiges Atmen oder gar Schnarchen oder eindeutige Anzeichen von fehlender Orientierung gerügt werden (BFH-Beschluss vom 16. Juni 2009 X B 202/08, BFH/NV 2009, 1659). Denn ein Richter kann dem Vortrag während der mündlichen Verhandlung auch mit (vorübergehend) geschlossenen Augen und geneigtem Kopf folgen. Deshalb muss derjenige, der sich darauf beruft, ein Gericht sei wegen eines in der mündlichen Verhandlung eingeschlafenen Richters nicht ordnungsgemäß besetzt gewesen, konkrete Tatsachen vortragen, welche eine Konzentration des Richters auf wesentliche Vorgänge in der mündlichen Verhandlung ausschließen (BFH-Beschluss vom 17. Februar 2011 IV B 108/09, BFH/NV 2011, 996).
b) Aus der Begründung ergeben sich hierfür keine Anzeichen. Die Klägerin trägt selbst vor, es entziehe sich ihrer Kenntnis, ob der beisitzende Richter X eingenickt sei oder nicht. Allein aus der Tatsache, dass dieser die Augen geschlossen hatte, ergibt sich nicht, dass er wesentliche Vorgänge in der mündlichen Verhandlung nicht hätte aufnehmen können.“

Was lehrt uns Anwälte die Entscheidung des BFH? Wenn wir in einer der nächsten mündlichen Verhandlungen feststellen, dass ein Richter oder eine Richterin beginnt, die Augen zu schließen, sollten wir unsere Aufmerksamkeit zumindest auch auf diesen Vorgang lenken. Sollten sich die Augen nach etwas längerer Zeit nicht mehr öffnen, wird es Zeit, die Angelegenheit zu protokollieren, um sie zu dokumentieren. Sollte der Zustand der geschlossenen Augen auf der Richterbank für insgesamt ca. 10 Minuten angehalten haben, wird es Zeit für einen Weckruf. Dafür könnte es sich empfehlen, an geeigneter Stelle der mündlichen Verhandlung energisch mit der Faust auf den Tisch zu hauen und plötzlich laut zu werden. Sollte man dann die von dem BFH in seinem Beschluss vorgezeichnete „fehlende Orientierung“ auf der Richterbank feststellen, hätte man gute Chancen, mit der Rüge, das Gericht sei nicht ordnungsgemäß besetzt gewesen, durchzudringen.

Es gilt auch hier: nicht die Rechtslage ist das Problem, sondern der Sachverhalt.
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VonProf. Dr. Wolfgang Sturm

Die Optik machts: dank BFH (Urteil vom 04.12.2014, V R 16/12) sind Schönheitsoperationen – nicht immer – steuerfrei

Bildergebnis für arztKeine Angst, die Steuerfreiheit gilt nicht für den Operateur. Der BFH entschied nur, dass ästhetisch-plastische Operationen umsatzsteuerfreie Heilbehandlungen sind, wenn der Eingriff wegen einer Verletzung, Krankheit oder aber eines angeborenen körperlichen Mangels erfolgt. Darüber ist auf der Grundlage von anonymisierten Patientenunterlagen zu entscheiden. Dabei soll eine Beweiserhebung über ästhetische Operationen als Heilbehandlung nicht davon abhängig gemacht werden, dass Name und Anschrift des behandelten Patienten genannt werden. Möglich wird das über ein Sachverständigengutachten über die mit der Operation verfolgten Ziele. Zudem hat die Klinik oder der Arzt Mitwirkungspflichten. Diese müssen im Detail Angaben zu der Zielsetzung der Operation machen. Das Regelbeweismaß sei dabei auf eine „größtmögliche Wahrscheinlichkeit“ zu verringern.

Anders noch die Vorinstanz (FG Neustadt, Urt. v. 12.01.2012 – 6 K 1917/07): sie entschied, dass eine Beweiserhebung von der Benennung der oder des behandelten Patienten abhängig sei. Ein weiteres Urteil folgte am gleichen Tag, bei dem der V. Senat auch zur Steuerfreiheit von Schönheitsoperationen entschied (V R 33/12). Es wurde an das Finanzgericht zur erneuten Verhandlung zurückverwiesen.