Monatsarchiv Juni 2021

VonProf. Dr. Wolfgang Sturm

Übergriffige Steuerfahnder müssen in die Schranken gewiesen werden

„Deutschlands oberste Finanzrichter haben die Steuerfahndung zur Mäßigung aufgerufen.

Es komme immer wieder vor, dass die Fahnder nicht sauber zwischen Strafverfahren und Steuerermittlungsverfahren trennten, sagte Bundesfinanzhof-Präsident Rudolf Mellinghoff am Dienstag in München. “Die Steuerfahndung muss sich entscheiden, welches Verfahren sie führen will”, sagte der Richter. Durch die Vermischung ergäben sich grundsätzliche Konflikte zwischen Straf- und Steuerjustiz. Zudem würden Betroffene mitunter benachteiligt.

Es gebe Fälle, in denen Steuerpflichtige von den Strafgerichten rechtskräftig verurteilt worden seien und die Instanzen der Finanzgerichte noch nicht entschieden hätten. Dabei habe die Strafjustiz die Möglichkeit, ihre Verfahren bis zu einer Entscheidung der Steuerkollegen aufzuschieben. “Das würde eine Kommunikation unter Gerichten voraussetzen, die es in der Regel nicht gibt”, sagte Mellinghoff. Oft entschieden die Strafinstanzen zugunsten zügiger Verfahren. “Denen sitzt die Faust des Bundesgerichtshofs im Nacken: Sie müssen urteilen, entweder schnell oder gar nicht. Und dann urteilen sie lieber schnell.”

Vereinzelt rückten die Steuerfahnder zudem wegen geringer zweifelhafter Beträge Bürgern mit einem Durchsuchungsbeschluss zuleibe, was in der Folge immer wieder auf Kopfschütteln bei den Steuerrichtern stoße. Richter Heinz-Jürgen Pezzer monierte etwa einen Einzelfall, in dem die Wohnung eines Steuerzahlers wegen Einkommensteilen auf den Kopf gestellt wurde, die jener zu Recht nicht versteuert hatte. “Das ist so, wie wenn man die GSG 9 zur Regelung des Straßenverkehrs einsetzt”, sagte Pezzer.“

Das Zitat ist kein Witz, sondern stammt aus dem Handelsblatt vom 05.02.2013: https://www.handelsblatt.com/finanzen/steuern-recht/steuern/urteil-wenn-steuerfahnder-uebertreiben/7739500.htmlBFH, 04.12.2012 – VIII R 5/10
Das Zitat ist diesem Artikel entnommen.

Seit der Entscheidung des Bundesfinanzhofes aus dem Jahr 2012 bis heute ist die Situation aber nicht besser, sondern im Gegenteil schlechter geworden: Immer häufiger werden auch im Rahmen von Betriebsprüfungsverfahren Steuerstrafverfahren eröffnet. Immer häufiger rückt die Steuerfahndung aus und überfällt bislang unbescholtenen Bürger in den frühen Morgenstunden. Dabei ist das Auftreten der Damen und Herren von der Steuerfahndung einem Rambo ebenbürtig. Steuerpflichtige werden unter Druck gesetzt, teilweise mit inhaltlich unrichtigen Aktenvermerken Straftatbestände konstruiert.

In einem von uns betreuten Mandat eine Betriebsprüfung, Steuerfahndung und Strafsachenstelle die Mandantin gemeinschaftlich in ihr Visier und versuchten über mehrere Jahre, absurde Zuschätzungen durchzusetzen. Dabei ergab sich aus der Ermittlungsakte, dass das Vorgehen rechtswidrig war. Und in einem anderen von uns betreuten Mandat überschritt die Steuerfahndung in massiver Weise die ihr gesetzten Grenzen. In diesem Fall werden wir die Steuerfahnder persönlich zur Verantwortung ziehen, und zwar sowohl zivilrechtlich als auch strafrechtlich.

Insgesamt ein sehr erschreckendes Bild.
ws

VonProf. Dr. Wolfgang Sturm

Die Justiz in Zeiten der Corona – Pandemie als „lahme Ente“ oder: Videokonferenz „Nein Danke“

Die Verfahrensordnungen mittlerweile aller Gerichtszweige ermöglichen es seit nunmehr rund 20 Jahren, an mündlichen Verhandlungen auch im Wege der Videokonferenz teilnehmen zu können. Schon vor der Corona – Pandemie war es erschreckend, wie wenig Gerichte in der Realität von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht haben. Nur eine verschwindend geringe Zahl an Gerichten verfügt überhaupt über die technischen Möglichkeiten, eine solche Videokonferenz durchzuführen.

Hier ist besonders das Finanzgericht in Münster zu loben. Es hat von Anfang an die Möglichkeit der Videokonferenz konsequent genutzt. Das Finanzgericht bietet auch Erörterungstermine im Wege der Videokonferenz an. Erst vor kurzem hatten wir einen solchen Termin. Der Berichterstatter hatte den Termin hervorragend vorbereitet und durchgeführt. Das Finanzgericht Münster gehört damit leider zu den ganz wenigen Gerichten in der Bundesrepublik, die diese Technik aktiv einsetzt. Die meisten anderen Gerichte befinden sich insoweit noch im tiefsten Dornröschenschlaf.

Wer jetzt gedacht hätte, dass die Corona-Pandemie, die zu einem wahren Boom bei den Anbietern von Videokonferenzsystemen geführt hat, wegen der angeordneten Reduzierung der persönlichen Kontakte auch die Justiz dazu bewegt hätte, verstärkt auf den Einsatz von Videokonferenzen zu setzen, der sieht sich getäuscht. Auch heute, nach über einem Jahr in der Corona Pandemie, verfügt die weitaus überwiegende Mehrheit der Gerichte noch nicht einmal über ein solches System. Und die wenigen Gerichte, die über ein solches System verfügen, lehnen, von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, Videokonferenzen durchweg ab. Die Ablehnung wird häufig damit begründet, dass das Verfahren für eine Videokonferenz nicht geeignet sei. Für mich hat sich bis heute nicht erschlossen, warum dieses Argument stichhaltig ist. Gerichte, die Anträge auf die Durchführung von Videokonferenzen ablehnen, müssen sich mit den Ablehnungen aber keine große Mühe machen. Die Beschlüsse sind nicht anfechtbar.

Stattdessen muten Gerichte es den Parteien und ihren Prozessbevollmächtigten noch immer zu, Anfahrtswege von bis zu 600 km (eine Strecke) an einem Tag auf sich zu nehmen, um an einer Verhandlung teilzunehmen, die vielleicht 30 – 120 Minuten dauert. Würde man hier die Maßstäbe des Arbeitszeitgesetzes ansetzen, müssten Rechtsanwälte die Teilnahme an solchen Verhandlungen als gesetzeswidrig ablehnen. Leider besteht auch nicht immer die Möglichkeit, auf öffentliche Verkehrsmittel zurückzugreifen. So ist beispielsweise das Landgericht in Weiden in der Oberpfalz mit öffentlichen Verkehrsmitteln nur sehr schlecht zu erreichen. Hier bleibt also keine andere Wahl, als die eigentlich unzumutbare An- und Abreise mit dem Pkw und damit über 1.000 km an einem Tag auf sich zu nehmen.

Diese von uns als „Verweigerungshaltung“ wahrgenommene Einstellung vieler Gerichten erstaunt angesichts der Tatsache, dass im Interesse des Klimaschutzes und der Umwelt Fahrten mit dem Pkw in anderen Bereichen möglichst vermieden werden sollen. All das gilt scheinbar nicht, wenn Rechtsanwälte und Parteien im Namen der Justiz unterwegs sind.

Wir können uns in diesem Zusammenhang auch nicht des Eindrucks erwehren, dass die geringe Verbreitung der Videokonferenztechnik auch auf eine in der Richterschaft anzutreffende Bequemlichkeit zurückzuführen ist. Populistisch gesprochen ist es für einen Richter, der klimapolitisch korrekt mit dem Fahrrad zum Gericht radelt, ja auch einfacher, die Parteien und ihre Prozessbevollmächtigte vor Gericht „erscheinen“ zu lassen als sich mit der Videokonferenztechnik herumzuärgern.

All das deutet darauf hin, dass die Justizverwaltung dem Einsatz der Videokonferenztechnik keine hohe Priorität einräumt. Insgesamt ist das leider ein erschreckendes Beispiel dafür, dass zwar viel von Digitalisierung gesprochen wird, die Praxis aber zeigt, dass Deutschland in diesem Bereich sicherlich keinen der vorderen Ränge im internationalen Bereich besetzt.
ws

VonProf. Dr. Wolfgang Sturm

Paukenschlag: Der Bundesfinanzhof (Beschluss vom 17. November 2020, VIII R 11/18) hält die Verlustverrechnungsbeschränkung für Verluste aus dem Verkauf von Aktien für verfassungswidrig und legt diese Frage dem Bundesverfassungsgericht vor.

Zu den Einkünften aus Kapitalvermögen gehören auch die realisierten Wertveränderungen (Gewinne oder Verluste) aus der Veräußerung von Kapitalanlagen, z.B. Aktien. Das gilt unabhängig von einer Spekulationsfrist. Sie unterliegen in vollem Umfang und unabhängig von einer Haltefrist der Besteuerung. Nach § 20 Abs. 6 Satz 2 EStG dürfen solche Verluste nur mit sonstigen positiven Einkünften aus Kapitalvermögen ausgeglichen werden. Eine weitere Einschränkung der Verlustverrechnung gilt für Verluste aus der Veräußerung von Aktien. Diese dürfen nach § 20 Abs. 6 S. 5 EStG nicht mit anderen positiven Einkünften aus Kapitalvermögen, sondern nur mit Gewinnen, die aus der Veräußerung von Aktien entstehen, ausgeglichen werden.

Der Bundesfinanzhof ist mit seinem Beschluss vom 17. November 2020, VIII R 11/18, zu dem Ergebnis gelangt, dass die eben genannte Regelung in § 20 Abs. 6 EStG einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG bedeutet und damit verfassungswidrig ist. Das Gesetz behandele Steuerpflichtige, die Verluste aus der Veräußerung von Aktien erlitten haben, ohne rechtfertigenden Grund anders als Steuerpflichtige, die Verluste aus der Veräußerung anderer Kapitalanlagen erzielt haben.

Wir dürfen auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gespannt sein. Wir halten den Beschluss und die Auffassung des Bundesfinanzhofes für zutreffend. Steuerfestsetzungen sollten, soweit noch möglich, mit Einspruch angefochten werden. Bei Steuerfestsetzungen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung nach § 164 AO empfehlen wir, einen Änderungsantrag zu stellen, um den Eintritt der Festsetzungsverjährung und die damit verbundenen Nachteile zu vermeiden.
ws

VonProf. Dr. Wolfgang Sturm

BFH bestätigt mit Urteil vom 17. November 2020, I R 2/18 seine Rechtsprechung, dass Steuerpflichtige ihre Verhältnisse grundsätzlich so gestalten dürfen, dass keine oder möglichst geringe Steuern anfallen. Sie dürfen dabei zivilrechtliche Gestaltungen frei verwenden, die vom Gesetz vorgesehen sind.

Diese Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs bestätigende Entscheidung wird den Finanzbehörden nicht gefallen. Der Steuerpflichtige darf seine Verhältnisse grundsätzlich so gestalten, dass keine oder möglichst geringe Steuern anfallen und dabei zivilrechtliche Gestaltungen, die vom Gesetz vorgesehen sind, frei verwenden. Eine rechtliche Gestaltung ist erst dann unangemessen, wenn der Steuerpflichtige nicht die vom Gesetzgeber vorausgesetzte Gestaltung zum Erreichen eines bestimmten wirtschaftlichen Ziels gebraucht, sondern dafür einen ungewöhnlichen Weg wählt, auf dem nach den Wertungen des Gesetzgebers das Ziel nicht erreichbar sein soll. Eine Gestaltung, die überhaupt keinen erkennbaren wirtschaftlichen Zweck hat, kann der Besteuerung nicht zugrunde gelegt werden (z.B. Urteile des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 19.01.2017 – IV R 10/14, BFHE 256, 507, BStBl II 2017, 466; vom 08.03.2017 – IX R 5/16, BFHE 257, 211, BStBl II 2017, 930; vom 12.06.2018 – VIII R 32/16, BFHE 262, 74, BStBl II 2019, 221).

Im Streitfall ging es um die Frage, ob eine von dem Steuerpflichtigen gewählte Gestaltung zur Verlustnutzung ein Missbrauch im Sinne von § 42 AO war. Dazu stellt der Bundesfinanzhof in seiner Entscheidung vom 17. November 2020 klar:

„Gestaltungen, die darauf abzielen, dem Steuerpflichtigen die Nutzung eines von ihm erwirtschafteten Verlusts zu ermöglichen, sind in der höchstrichterlichen Rechtsprechung in zahlreichen Entscheidungen nicht als rechtsmissbräuchlich bewertet worden (z.B. Senatsurteile vom 19.08.1999 – I R 77/96, BFHE 189, 342, BStBl II 2001, 43, zur inkongruenten Gewinnausschüttung mit nachfolgender inkongruenter Wiedereinlage; vom 17.10.2001 – I R 97/00, BFHE 197, 63, zur Verlagerung von Zinserträgen; BFH-Urteile vom 29.05.2008 – IX R 77/06, BFHE 221, 231, BStBl II 2008, 789, zur Veräußerung von GmbH-Anteilen an eine beteiligungsidentische GmbH; vom 07.12.2010 – IX R 40/09, BFHE 232, 1, BStBl II 2011, 427, zur ringweisen Anteilsveräußerung; vom 04.12.2014 – IV R 28/11, BFH/NV 2015, 495, zur inkongruenten Gewinnausschüttung; abgrenzend dazu BFH-Urteil vom 18.03.2004 – III R 25/02, BFHE 205, 470, BStBl II 2004, 787, Rz 110, zur Zwischenschaltung einer mit Verlustvorträgen “ausgestatteten” GmbH bei Grundstücksgeschäften). Da das Herbeiführen eines Verlustausgleichs im Kern mit den gesetzlichen Zielsetzungen (Leistungsfähigkeitsprinzip, § 10d EStG) übereinstimmt, ist der Senat zudem davon ausgegangen, dass entsprechende Gestaltungen grundsätzlich nicht durch weitere außersteuerliche Motive gerechtfertigt werden müssen (Senatsurteile in BFHE 189, 342, BStBl II 2001, 43; in BFHE 197, 63).

Im Streitfall diente die Gestaltung im Kern der Nutzung des Verlustvortrags, der sich bei der Klägerin infolge des ausbleibenden wirtschaftlichen Erfolgs aufgebaut hatte. Die Gestaltung kann daher nicht als unangemessen beurteilt werden.

Ob zur Verlustnutzung getroffene Gestaltungen einer Prüfung am Maßstab des § 42 AO standhalten, hängt zunächst von der Qualität der betroffenen Verluste ab. So sind die bei einer auf Einkünfteerzielung gerichteten Tätigkeit selbst erwirtschafteten Verluste anders zu behandeln als auf dem Markt “eingekaufte” Fremdverluste (Mantelkaufgestaltungen). Verluste, die auf der Inanspruchnahme steuerlicher Subventions- und Lenkungsnormen (z.B. Sonderabschreibungen) beruhen, haben wiederum eine andere Qualität.

Im Streitfall hat die Klägerin “echte” betriebswirtschaftliche Verluste erzielt, deren steuerliche Effektuierung grundsätzlich nicht zu beanstanden ist.

Die von der Steuerrechtsordnung grundsätzlich gebilligte Nutzbarmachung von Verlusten besteht darin, dass die Verluste mit positiven Einkünften verrechnet werden. Die dadurch bewirkte Minderung der steuerlichen Bemessungsgrundlage führt aus Sicht des Fiskus zu einer Mindersteuer, weil die positiven Einkünfte seinem Besteuerungszugriff entzogen werden. Auf Seiten des Steuerpflichtigen bewirkt die mit der Verlustnutzung einhergehende Mindersteuer eine Verbesserung der Liquidität.“

Die Entscheidung des Bundesfinanzhofs ist konsequent und für alle Steuerpflichtigen zu begrüßen. Leider müssen wir unserer Praxis immer wieder feststellen, dass die Finanzbehörden diese Grundsätze des Bundesfinanzhofes nicht akzeptieren, sondern häufig als Gestaltungsmißbrauch im Sinne von § 42 AO und sogar als strafbare Steuerhinterziehung eingeordnet werden. Wir werden unsere Mandanten dagegen konsequent schützen und gegen Beamte, die die ihnen vom Gesetz gezogenene Grenzen als Amtsträger überschreiten, auch strafrechtlich zur Verantwortung ziehen lassen .
ws

VonProf. Dr. Wolfgang Sturm

Übergriffige Steuerfahnder müssen in die Schranken gewiesen werden

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91010_WS schwarz weiß„Deutschlands oberste Finanzrichter haben die Steuerfahndung zur Mäßigung aufgerufen.

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Es komme immer wieder vor, dass die Fahnder nicht sauber zwischen Strafverfahren und Steuerermittlungsverfahren trennten, sagte Bundesfinanzhof-Präsident Rudolf Mellinghoff am Dienstag in München. “Die Steuerfahndung muss sich entscheiden, welches Verfahren sie führen will”, sagte der Richter. Durch die Vermischung ergäben sich grundsätzliche Konflikte zwischen Straf- und Steuerjustiz. Zudem würden Betroffene mitunter benachteiligt.

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Es gebe Fälle, in denen Steuerpflichtige von den Strafgerichten rechtskräftig verurteilt worden seien und die Instanzen der Finanzgerichte noch nicht entschieden hätten. Dabei habe die Strafjustiz die Möglichkeit, ihre Verfahren bis zu einer Entscheidung der Steuerkollegen aufzuschieben. “Das würde eine Kommunikation unter Gerichten voraussetzen, die es in der Regel nicht gibt”, sagte Mellinghoff. Oft entschieden die Strafinstanzen zugunsten zügiger Verfahren. “Denen sitzt die Faust des Bundesgerichtshofs im Nacken: Sie müssen urteilen, entweder schnell oder gar nicht. Und dann urteilen sie lieber schnell.”

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Vereinzelt rückten die Steuerfahnder zudem wegen geringer zweifelhafter Beträge Bürgern mit einem Durchsuchungsbeschluss zuleibe, was in der Folge immer wieder auf Kopfschütteln bei den Steuerrichtern stoße. Richter Heinz-Jürgen Pezzer monierte etwa einen Einzelfall, in dem die Wohnung eines Steuerzahlers wegen Einkommensteilen auf den Kopf gestellt wurde, die jener zu Recht nicht versteuert hatte. “Das ist so, wie wenn man die GSG 9 zur Regelung des Straßenverkehrs einsetzt”, sagte Pezzer.“

n

Das Zitat ist kein Witz, sondern stammt aus dem Handelsblatt vom 05.02.2013: https://www.handelsblatt.com/finanzen/steuern-recht/steuern/urteil-wenn-steuerfahnder-uebertreiben/7739500.htmlBFH, 04.12.2012 – VIII R 5/10
nDas Zitat ist diesem Artikel entnommen.

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Seit der Entscheidung des Bundesfinanzhofes aus dem Jahr 2012 bis heute ist die Situation aber nicht besser, sondern im Gegenteil schlechter geworden: Immer häufiger werden auch im Rahmen von Betriebsprüfungsverfahren Steuerstrafverfahren eröffnet. Immer häufiger rückt die Steuerfahndung aus und überfällt bislang unbescholtenen Bürger in den frühen Morgenstunden. Dabei ist das Auftreten der Damen und Herren von der Steuerfahndung einem Rambo ebenbürtig. Steuerpflichtige werden unter Druck gesetzt, teilweise mit inhaltlich unrichtigen Aktenvermerken Straftatbestände konstruiert.

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In einem von uns betreuten Mandat eine Betriebsprüfung, Steuerfahndung und Strafsachenstelle die Mandantin gemeinschaftlich in ihr Visier und versuchten über mehrere Jahre, absurde Zuschätzungen durchzusetzen. Dabei ergab sich aus der Ermittlungsakte, dass das Vorgehen rechtswidrig war. Und in einem anderen von uns betreuten Mandat überschritt die Steuerfahndung in massiver Weise die ihr gesetzten Grenzen. In diesem Fall werden wir die Steuerfahnder persönlich zur Verantwortung ziehen, und zwar sowohl zivilrechtlich als auch strafrechtlich.

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Insgesamt ein sehr erschreckendes Bild.
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Die Justiz in Zeiten der Corona – Pandemie als „lahme Ente“ oder: Videokonferenz „Nein Danke“

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91010_WS schwarz weißDie Verfahrensordnungen mittlerweile aller Gerichtszweige ermöglichen es seit nunmehr rund 20 Jahren, an mündlichen Verhandlungen auch im Wege der Videokonferenz teilnehmen zu können. Schon vor der Corona – Pandemie war es erschreckend, wie wenig Gerichte in der Realität von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht haben. Nur eine verschwindend geringe Zahl an Gerichten verfügt überhaupt über die technischen Möglichkeiten, eine solche Videokonferenz durchzuführen.

n

Hier ist besonders das Finanzgericht in Münster zu loben. Es hat von Anfang an die Möglichkeit der Videokonferenz konsequent genutzt. Das Finanzgericht bietet auch Erörterungstermine im Wege der Videokonferenz an. Erst vor kurzem hatten wir einen solchen Termin. Der Berichterstatter hatte den Termin hervorragend vorbereitet und durchgeführt. Das Finanzgericht Münster gehört damit leider zu den ganz wenigen Gerichten in der Bundesrepublik, die diese Technik aktiv einsetzt. Die meisten anderen Gerichte befinden sich insoweit noch im tiefsten Dornröschenschlaf.

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Wer jetzt gedacht hätte, dass die Corona-Pandemie, die zu einem wahren Boom bei den Anbietern von Videokonferenzsystemen geführt hat, wegen der angeordneten Reduzierung der persönlichen Kontakte auch die Justiz dazu bewegt hätte, verstärkt auf den Einsatz von Videokonferenzen zu setzen, der sieht sich getäuscht. Auch heute, nach über einem Jahr in der Corona Pandemie, verfügt die weitaus überwiegende Mehrheit der Gerichte noch nicht einmal über ein solches System. Und die wenigen Gerichte, die über ein solches System verfügen, lehnen, von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, Videokonferenzen durchweg ab. Die Ablehnung wird häufig damit begründet, dass das Verfahren für eine Videokonferenz nicht geeignet sei. Für mich hat sich bis heute nicht erschlossen, warum dieses Argument stichhaltig ist. Gerichte, die Anträge auf die Durchführung von Videokonferenzen ablehnen, müssen sich mit den Ablehnungen aber keine große Mühe machen. Die Beschlüsse sind nicht anfechtbar.

n

Stattdessen muten Gerichte es den Parteien und ihren Prozessbevollmächtigten noch immer zu, Anfahrtswege von bis zu 600 km (eine Strecke) an einem Tag auf sich zu nehmen, um an einer Verhandlung teilzunehmen, die vielleicht 30 – 120 Minuten dauert. Würde man hier die Maßstäbe des Arbeitszeitgesetzes ansetzen, müssten Rechtsanwälte die Teilnahme an solchen Verhandlungen als gesetzeswidrig ablehnen. Leider besteht auch nicht immer die Möglichkeit, auf öffentliche Verkehrsmittel zurückzugreifen. So ist beispielsweise das Landgericht in Weiden in der Oberpfalz mit öffentlichen Verkehrsmitteln nur sehr schlecht zu erreichen. Hier bleibt also keine andere Wahl, als die eigentlich unzumutbare An- und Abreise mit dem Pkw und damit über 1.000 km an einem Tag auf sich zu nehmen.

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Diese von uns als „Verweigerungshaltung“ wahrgenommene Einstellung vieler Gerichten erstaunt angesichts der Tatsache, dass im Interesse des Klimaschutzes und der Umwelt Fahrten mit dem Pkw in anderen Bereichen möglichst vermieden werden sollen. All das gilt scheinbar nicht, wenn Rechtsanwälte und Parteien im Namen der Justiz unterwegs sind.

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Wir können uns in diesem Zusammenhang auch nicht des Eindrucks erwehren, dass die geringe Verbreitung der Videokonferenztechnik auch auf eine in der Richterschaft anzutreffende Bequemlichkeit zurückzuführen ist. Populistisch gesprochen ist es für einen Richter, der klimapolitisch korrekt mit dem Fahrrad zum Gericht radelt, ja auch einfacher, die Parteien und ihre Prozessbevollmächtigte vor Gericht „erscheinen“ zu lassen als sich mit der Videokonferenztechnik herumzuärgern.

n

All das deutet darauf hin, dass die Justizverwaltung dem Einsatz der Videokonferenztechnik keine hohe Priorität einräumt. Insgesamt ist das leider ein erschreckendes Beispiel dafür, dass zwar viel von Digitalisierung gesprochen wird, die Praxis aber zeigt, dass Deutschland in diesem Bereich sicherlich keinen der vorderen Ränge im internationalen Bereich besetzt.
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VonProf. Dr. Wolfgang Sturm

Paukenschlag: Der Bundesfinanzhof (Beschluss vom 17. November 2020, VIII R 11/18) hält die Verlustverrechnungsbeschränkung für Verluste aus dem Verkauf von Aktien für verfassungswidrig und legt diese Frage dem Bundesverfassungsgericht vor.

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91010_WS schwarz weißZu den Einkünften aus Kapitalvermögen gehören auch die realisierten Wertveränderungen (Gewinne oder Verluste) aus der Veräußerung von Kapitalanlagen, z.B. Aktien. Das gilt unabhängig von einer Spekulationsfrist. Sie unterliegen in vollem Umfang und unabhängig von einer Haltefrist der Besteuerung. Nach § 20 Abs. 6 Satz 2 EStG dürfen solche Verluste nur mit sonstigen positiven Einkünften aus Kapitalvermögen ausgeglichen werden. Eine weitere Einschränkung der Verlustverrechnung gilt für Verluste aus der Veräußerung von Aktien. Diese dürfen nach § 20 Abs. 6 S. 5 EStG nicht mit anderen positiven Einkünften aus Kapitalvermögen, sondern nur mit Gewinnen, die aus der Veräußerung von Aktien entstehen, ausgeglichen werden.

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Der Bundesfinanzhof ist mit seinem Beschluss vom 17. November 2020, VIII R 11/18, zu dem Ergebnis gelangt, dass die eben genannte Regelung in § 20 Abs. 6 EStG einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG bedeutet und damit verfassungswidrig ist. Das Gesetz behandele Steuerpflichtige, die Verluste aus der Veräußerung von Aktien erlitten haben, ohne rechtfertigenden Grund anders als Steuerpflichtige, die Verluste aus der Veräußerung anderer Kapitalanlagen erzielt haben.

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Wir dürfen auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gespannt sein. Wir halten den Beschluss und die Auffassung des Bundesfinanzhofes für zutreffend. Steuerfestsetzungen sollten, soweit noch möglich, mit Einspruch angefochten werden. Bei Steuerfestsetzungen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung nach § 164 AO empfehlen wir, einen Änderungsantrag zu stellen, um den Eintritt der Festsetzungsverjährung und die damit verbundenen Nachteile zu vermeiden.
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VonProf. Dr. Wolfgang Sturm

BFH bestätigt mit Urteil vom 17. November 2020, I R 2/18 seine Rechtsprechung, dass Steuerpflichtige ihre Verhältnisse grundsätzlich so gestalten dürfen, dass keine oder möglichst geringe Steuern anfallen. Sie dürfen dabei zivilrechtliche Gestaltungen frei verwenden, die vom Gesetz vorgesehen sind.

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91010_WS schwarz weißDiese Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs bestätigende Entscheidung wird den Finanzbehörden nicht gefallen. Der Steuerpflichtige darf seine Verhältnisse grundsätzlich so gestalten, dass keine oder möglichst geringe Steuern anfallen und dabei zivilrechtliche Gestaltungen, die vom Gesetz vorgesehen sind, frei verwenden. Eine rechtliche Gestaltung ist erst dann unangemessen, wenn der Steuerpflichtige nicht die vom Gesetzgeber vorausgesetzte Gestaltung zum Erreichen eines bestimmten wirtschaftlichen Ziels gebraucht, sondern dafür einen ungewöhnlichen Weg wählt, auf dem nach den Wertungen des Gesetzgebers das Ziel nicht erreichbar sein soll. Eine Gestaltung, die überhaupt keinen erkennbaren wirtschaftlichen Zweck hat, kann der Besteuerung nicht zugrunde gelegt werden (z.B. Urteile des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 19.01.2017 – IV R 10/14, BFHE 256, 507, BStBl II 2017, 466; vom 08.03.2017 – IX R 5/16, BFHE 257, 211, BStBl II 2017, 930; vom 12.06.2018 – VIII R 32/16, BFHE 262, 74, BStBl II 2019, 221).

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Im Streitfall ging es um die Frage, ob eine von dem Steuerpflichtigen gewählte Gestaltung zur Verlustnutzung ein Missbrauch im Sinne von § 42 AO war. Dazu stellt der Bundesfinanzhof in seiner Entscheidung vom 17. November 2020 klar:

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„Gestaltungen, die darauf abzielen, dem Steuerpflichtigen die Nutzung eines von ihm erwirtschafteten Verlusts zu ermöglichen, sind in der höchstrichterlichen Rechtsprechung in zahlreichen Entscheidungen nicht als rechtsmissbräuchlich bewertet worden (z.B. Senatsurteile vom 19.08.1999 – I R 77/96, BFHE 189, 342, BStBl II 2001, 43, zur inkongruenten Gewinnausschüttung mit nachfolgender inkongruenter Wiedereinlage; vom 17.10.2001 – I R 97/00, BFHE 197, 63, zur Verlagerung von Zinserträgen; BFH-Urteile vom 29.05.2008 – IX R 77/06, BFHE 221, 231, BStBl II 2008, 789, zur Veräußerung von GmbH-Anteilen an eine beteiligungsidentische GmbH; vom 07.12.2010 – IX R 40/09, BFHE 232, 1, BStBl II 2011, 427, zur ringweisen Anteilsveräußerung; vom 04.12.2014 – IV R 28/11, BFH/NV 2015, 495, zur inkongruenten Gewinnausschüttung; abgrenzend dazu BFH-Urteil vom 18.03.2004 – III R 25/02, BFHE 205, 470, BStBl II 2004, 787, Rz 110, zur Zwischenschaltung einer mit Verlustvorträgen “ausgestatteten” GmbH bei Grundstücksgeschäften). Da das Herbeiführen eines Verlustausgleichs im Kern mit den gesetzlichen Zielsetzungen (Leistungsfähigkeitsprinzip, § 10d EStG) übereinstimmt, ist der Senat zudem davon ausgegangen, dass entsprechende Gestaltungen grundsätzlich nicht durch weitere außersteuerliche Motive gerechtfertigt werden müssen (Senatsurteile in BFHE 189, 342, BStBl II 2001, 43; in BFHE 197, 63).

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Im Streitfall diente die Gestaltung im Kern der Nutzung des Verlustvortrags, der sich bei der Klägerin infolge des ausbleibenden wirtschaftlichen Erfolgs aufgebaut hatte. Die Gestaltung kann daher nicht als unangemessen beurteilt werden.

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Ob zur Verlustnutzung getroffene Gestaltungen einer Prüfung am Maßstab des § 42 AO standhalten, hängt zunächst von der Qualität der betroffenen Verluste ab. So sind die bei einer auf Einkünfteerzielung gerichteten Tätigkeit selbst erwirtschafteten Verluste anders zu behandeln als auf dem Markt “eingekaufte” Fremdverluste (Mantelkaufgestaltungen). Verluste, die auf der Inanspruchnahme steuerlicher Subventions- und Lenkungsnormen (z.B. Sonderabschreibungen) beruhen, haben wiederum eine andere Qualität.

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Im Streitfall hat die Klägerin “echte” betriebswirtschaftliche Verluste erzielt, deren steuerliche Effektuierung grundsätzlich nicht zu beanstanden ist.

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Die von der Steuerrechtsordnung grundsätzlich gebilligte Nutzbarmachung von Verlusten besteht darin, dass die Verluste mit positiven Einkünften verrechnet werden. Die dadurch bewirkte Minderung der steuerlichen Bemessungsgrundlage führt aus Sicht des Fiskus zu einer Mindersteuer, weil die positiven Einkünfte seinem Besteuerungszugriff entzogen werden. Auf Seiten des Steuerpflichtigen bewirkt die mit der Verlustnutzung einhergehende Mindersteuer eine Verbesserung der Liquidität.“

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Die Entscheidung des Bundesfinanzhofs ist konsequent und für alle Steuerpflichtigen zu begrüßen. Leider müssen wir unserer Praxis immer wieder feststellen, dass die Finanzbehörden diese Grundsätze des Bundesfinanzhofes nicht akzeptieren, sondern häufig als Gestaltungsmißbrauch im Sinne von § 42 AO und sogar als strafbare Steuerhinterziehung eingeordnet werden. Wir werden unsere Mandanten dagegen konsequent schützen und gegen Beamte, die die ihnen vom Gesetz gezogenene Grenzen als Amtsträger überschreiten, auch strafrechtlich zur Verantwortung ziehen lassen .
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