Corona, Justiz und die Technik – zu erwartende Veränderungen

VonProf. Dr. Wolfgang Sturm

Corona, Justiz und die Technik – zu erwartende Veränderungen

Corona lähmt nicht nur das Leben in Deutschland und der Welt und wird wirtschaftlich massive Schäden hinterlassen, auch die Justiz ist massiv betroffen. In heller Panik sagen Finanzbehörden Termine wie Schlussbesprechungen ab, Richter befinden sich im “home-office”. Gerichte sind für Besucher geschlossen, es sollen nur noch dringende Verhandlungen stattfinden (FAZ vom 18.03.2020, Seite 16 unten “Corona und Justitia”).

Hier rächt sich, dass sich Justiz und Behörden seit Jahrzehnten leider erfolgreich gegen neue Technik gewehrt haben und noch immer so arbeiten wie vor 50 Jahren. Es ist für einen Richter in Neuruppin viel einfacher, eine Partei nebst Anwalt an einem Tage 900 km fahren zu lassen als die Verhandlung per Videokonferenz zu führen, was seit nunmehr fast 20 Jahren möglich und zulässig ist. Das war angesichts der Klimadebatte schon vor Corona erstaunlich, hat aber niemanden wirklich interessiert.

Schaut man sich die Liste der Gerichte und Behörden in Deutschland an, die per Videokonferenz verhandeln können: https://justiz.de/verzeichnis/zwi_videokonferenz/videokonferenzanlagen.pdf;jsessionid=71E924684D7A44209482657D0AEA46EE (wir haben die Erfahrung gemacht, dass längst nicht alle das auch wollen), dann ist die Zahl erschreckend gering. Eine Ausnahme bilden einige Finanzgerichte, allen voran das in Münster, das schon kurz nach der Jahrtausendwende dank weitsichtiger Präsidenten dieses Thema energisch vorangetrieben hat, leider ohne große Akzeptanz bei den Finanzbehörden und leider auch bei den Anwälten (die auch nicht als besonders technikaffin gelten, sondern lieber in den alten Strukturen verharren).

Die Technikfeindlichkeit zeigte sich auch an dem mittlerweile eingestellten EGVP, das seit Anfang 2000 als Vorläufer des beA lief. Dieses von der Idee her sinnvolle System war – typisch für solche Systeme (wie auch dass beA) – leider nicht intuitiv zu bedienen. Man musste sich in die Systematik, die nicht Anwender, sondern Techniker sicherlich sehr durchdacht ersonnen hatten, mühsam durcharbeiten. Der “Tod” des Systems war dann die “Kapitulationserklärung” des Finanzgerichts Münster vor wenigen Jahren in einer Pressemitteilung, dass Anwälte und Steuerberater bitte nicht mehr dieses System, sondern das gute alte Telefax nutzen sollten. Auch wenn man es belächelt, das Telefax ist simpel, intuitiv und: es kostet wenig Zeit und ist nicht störanfällig. Es braucht keine Datenleitungen, es reicht ein simpler Telefonanschluss.

Dennoch ist das Telefax nicht das Zukunftsmodell. Das wird die Videokonferenz sein und andere Systen, die es auch größeren Gruppen (“Teams”) ermöglochen, gleichtzeitig zu kommunizieren. Das geht auch mit “Teams”, das Teil von Microsoft Office 365 ist. Unsere Erfahrungen haben gezeigt, dass diese System eine Menge Zeit für Reisen sparen und die Teilnehmer sich zudem sehr diszipliniert verhalten. Das gilt auch für die Videokonferenz, vor der leider noch immer zuviele Menschen in der Justiz zurückschrecken.

Das wird sich jetzt sicher durch Corona ändern. Traurig, aber wahr.
ws

Über den Autor

Prof. Dr. Wolfgang Sturm administrator

Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht, Fachanwalt für Agrarrecht, Diplom-Finanzwirt, Inhaber einer Professur für Wirtschafts- und Steuerrecht

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