Griechenland vor dem Referendum am 5. Juli 2015 – ketzerische und offene Gedanken eines Nicht – Ökonomen

VonProf. Dr. Wolfgang Sturm

Griechenland vor dem Referendum am 5. Juli 2015 – ketzerische und offene Gedanken eines Nicht – Ökonomen

91010_WS schwarz weißIch habe das „Griechenland – Thema“ immer am Rande verfolgt. Ich habe mich darüber gewundert, dass man so lange und – in meiner Wahrnehmung aus der Presse – unstrukturiert und ziellos, man könnte meinen, es ginge nur um Zeitgewinn, aber wofür? – ohne Ergebnis verhandeln kann. Nachdem sich die Situation in den letzten Wochen zuspitzte, habe ich versucht, mich ein bisschen intensiver mit dem Thema zu befassen und es zu verstehen. Dazu habe ich mir nicht wenige dieser Talkrunden im Fernsehen angesehen. Wenn ich ehrlich bin, habe ich das eine oder andere, was Ökonomen dort zum Besten gegeben haben, nicht verstanden. Das beunruhigt mich aber auch nicht, weil es auch solche Veranstaltungen gab, wo hochdekorierte Ökonomen sich, vereinfacht gesagt, wechselseitig bezichtigten, Unsinn zu verbreiten.

So ganz verstehen kann ich den Aufstand, der um das Thema gemacht wird, noch immer nicht. Für Griechenland als Staat mag das Thema sicherlich von existenzieller Bedeutung sein, für die übrigen Länder der EU ist die Bedeutung dagegen bei weitem nicht so groß, wie die mediale Aufmerksamkeit es vermuten lassen sollte. Und für den Rest der Welt ist Griechenland nach meiner Einschätzung völlig unbedeutend.

Das Bizarre an dem Thema ist nach meiner Einschätzung nicht so sehr das eigentliche Problem. Denn das Problem einer Verschuldung und das Problem, die Wirtschaft aufzubauen, ist Sache eines jeden Nationalstaates. Warum dabei andere Staaten oder die EU helfen sollten, erschließt sich mir nicht. Ich habe mein Büro auch alleine aufgebaut, ich habe mich dabei nicht verschuldet. Auch Staaten ist es unbenommen, Darlehen aufzunehmen, um Ausgaben zahlen zu können. Dieses Modell ergibt aber nur Sinn, wenn die Aussicht besteht, dass diese Darlehen auch zurückgezahlt werden können. Ohne diese Aussicht wird ein Staat ebensowenig wie eine andere Person einen Geldgeber finden, der bereit ist, ihn zu unterstützen. Alles andere sind politische Hilfsaktionen, die wohlüberlegt sein wollen.

Die Hilfsbereitschaft der EU-Länder ist nach meinem Verständnis bei dieser Ausgangslage riesengroß. Es gibt einen Schuldner, für den es nach meiner Wahrnehmung selbstverständlich ist, dass er in der Vergangenheit sehr großzügig mit Geld bedient worden ist, und der sich jetzt so aufführt, als sei es eine Frechheit, die Unterstützungsleistungen einfach einzustellen. Die Maßnahmen, die die Geldgeber von Griechenland fordern, kenne ich im Einzelnen nicht. Ich kann mir aber beim besten Willen nicht vorstellen, dass es hier darum geht, dass die Geldgeber Griechenland ein bestimmtes Paket diktieren möchten. Ich kann mir vorstellen, dass die Geldgeber selbstverständlich auch bereit sein dürften, ein von Griechenland vorgelegtes tragfähiges Konzept als Grundlage für weitere Kredite zu akzeptieren.

Hatte ich zu Anfang noch gedacht, dass die handelnden Personen der Regierung in Griechenland intelligente und strategisch handelnde Köpfe und geschickte Verhandler sind, so ist diese Vorstellung mittlerweile dem Eindruck gewichen, dass hier bloß eitle und sich selbst überschätzende Machtmenschen am Werk sind, die nur wissen was Sie nicht wollen, die aber leider nicht sagen können oder wollen, was denn Ihrer Meinung nach geschehen sollte.
Unterdessen verwundert derzeit noch, wie ruhig es in Griechenland ist. Ich fürchte aber, je länger die Zeit andauert, dass die Menschen kein Bargeld von den Banken gehalten, desto schlimmer wird es werden. Tiefgreifende Reformen sind im eigenen Interesse von Griechenland, nicht nur im Interesse der Geldgeber. Es geht auch nicht darum, dass Griechenland am Gängelbändchen der EU laufen oder gar erniedrigt werden soll. Es geht schlicht und ergreifend darum, dass Geldgeber, wie andernorts auch üblich, ihr Geld gerne wieder zurückhaben möchten. Und wenn die Situation, die sie vorfinden, Ihnen diesen Glauben nicht gibt, dann werden sie kein Geld geben. Das geht jedem Unternehmen so, dass geht jeder Privatperson so. Es gibt für Staaten insoweit keine Sonderrechte, es sei denn, es handelt sich um einen humanitären Akt.
Ich bin gespannt, wie das Referendum ausgeht, und ich bin noch deutlich gespannter, was danach passieren wird. Das ist nach meiner Einschätzung viel spannender als der Ausgang des Referendums. Und die Börsen hat es nicht interessiert.
ws

Über den Autor

Prof. Dr. Wolfgang Sturm administrator

Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht, Fachanwalt für Agrarrecht, Diplom-Finanzwirt, Inhaber einer Professur für Wirtschafts- und Steuerrecht

Du musst angemeldet sein, um einen Kommentar abzugeben.