Deutschland auf dem Weg in die Bananenrepublik? oder sind wir da etwa schon? Amtsgericht Schleswig kann Fristen nicht berechnen: Bundesverfassungsgericht watscht Amtsgericht ab

VonProf. Dr. Wolfgang Sturm

Deutschland auf dem Weg in die Bananenrepublik? oder sind wir da etwa schon? Amtsgericht Schleswig kann Fristen nicht berechnen: Bundesverfassungsgericht watscht Amtsgericht ab

Wäre es im Kern nicht so traurig, man könnte darüber lachen:  Der Beklagte eines Rechtsstreits vor dem Amtsgericht Schleswig musste doch glatt das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) bemühen, um dem Amtsgericht die – im Übrigen nach einhelliger Auffassung durchzuführende – Berechnung einer Frist nach § 222 Abs. 2 ZPO zu erläutern.

Das Amtsgericht wollte den Rechtsstreit im schriftlichen Verfahren nach billigem Ermessen nach § 495a ZPO entscheiden. Es bestimmte als Zeitpunkt, bis zu dem Schriftsätze eingereicht werden könnten, schließlich den 1. Oktober 2011. Dieses Datum fiel auf einen Sonnabend. Zum Beweis von  Tatsachen benannte der Beklagte mit Schriftsatz vom 4. Oktober 2011, dem nächstfolgenden Werktag (der 3. Oktober ist als Tag der deutschen Einheit ein gesetzlicher Feiertag), der bei Gericht am selben Tag einging, seine Tochter als Zeugin. Mit Urteil vom 7. Oktober 2011 gab das Gericht der Klage überwiegend statt. Ein substantiierter Vortrag des Beklagten sei erst mit Schriftsatz vom 4. Oktober 2011, und damit nach Ablauf der Schriftsatzfrist am 1. Oktober 2011, erfolgt.

Der verwunderte Beklagte wehrte sich dagegen mit Anhörungsrüge. Sein am 4. Oktober 2011 eingegangener Schriftsatz sei zu Unrecht nicht berücksichtigt worden. Denn nach dem Wortlaut des § 222 Abs. 2 ZPO ende die Frist mit Ablauf des ersten Werktags, wenn das Ende der Frist auf einen Sonntag, einen allgemeinen Feiertag oder einen Sonnabend falle. Das Amtsgericht wies die Anhörungsrüge als unbegründet zurück. Die Schriftsatzfrist sei abgelaufen gewesen. Die gesetzte Frist sei eine datierte Frist. Darauf sei § 222 Abs. 2 ZPO nur anzuwenden, wenn der Fristablauf auf einen Sonn- oder Feiertag falle.

Das BVerfG hielt die Verfassungsbeschwerde für offensichtlich begründet. Es führt dazu aus:

Die Regelung des § 222 Abs. 2 ZPO gilt nach einhelliger Meinung unabhängig davon, ob die Frist, deren Ende zu bestimmen ist, berechnet oder datiert ist (vgl. nur BGH, Urteil vom 21. Juni 1978 – VIII ZR 127/76 -, juris, Rn. 6, 7, 9 m.w.N.; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 72. Aufl. 2014, § 222 Rn. 2; Gehrlein, in: Münchener Kommentar, ZPO, 4. Aufl. 2013, § 222 Rn. 6; Stadler, in: Musielak, ZPO, 11. Aufl. 2014, § 222 Rn. 1; Gerken, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl. 2013, § 222 Rn. 14; Roth, in: Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl. 2005, § 222 Rn. 11; bei den nach der Auflage von 2013 oder 2014 zitierten Kommentaren ebenso jeweils auch bereits die früheren, zum Zeitpunkt der angegriffenen Entscheidungen verfügbaren Auflagen).

Aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 28. September 1982 (BVerfGE 61, 119), auf die das Amtsgericht sich durch Verweis auf eine sie zitierende Kommentarstelle beruft, folgt nichts Gegenteiliges (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 14. August 2013 – 2 BvR 425/12 -, juris, Rn. 14). Schon angesichts des Wortlauts der kommentierten Vorschrift, die sich eindeutig auch auf Fristen bezieht, deren Ende auf einen Sonnabend fällt, hätte für das Gericht Anlass bestanden, der Frage nachzugehen, ob und warum der Fall, in dem das Ende der datierten Frist auf einen Sonnabend fällt, anders zu behandeln sein sollte als der Fall einer datierten Frist, deren Ende auf einen Sonn- oder Feiertag fällt. Eine unterschiedliche Behandlung lässt sich auch nicht mit den Motiven rechtfertigen, die den Gesetzgeber dazu bewegten, in den Anwendungsbereich der Regelung des § 222 Abs. 2 ZPO auch Fristen einzubeziehen, deren Ende auf einen Sonnabend fällt. Denn damit sollte lediglich den im Rechtsverkehr aufgetretenen Unzuträglichkeiten Rechnung getragen werden, die mit der Einführung der Fünf-Tage-Woche für weite Kreise der arbeitenden Bevölkerung einhergegangen waren (vgl. BTDrucks 4/3394, S. 3). Es ist nicht ersichtlich, weshalb diese Gründe für datierte Fristen nicht gelten sollten.

2. Das Urteil des Amtsgerichts vom 7. Oktober 2011 beruht auf dem Gehörsverstoß. Es erscheint nicht ausgeschlossen, dass das Gericht zu einer anderen, dem Beschwerdeführer günstigeren Entscheidung gelangt wäre, wenn es dessen Schriftsatz vom 4. Oktober 2011 berücksichtigt hätte. Das Urteil unterliegt infolgedessen der Aufhebung, und die Sache ist an das Amtsgericht zurückzuverweisen (§ 93c Abs. 2 i.V.m. § 95 Abs. 2 BVerfGG). Der ebenfalls angegriffene Beschluss des Amtsgerichts über die Anhörungsrüge vom 15. November 2011 wird damit gegenstandslos.“

Und die Moral von der Geschicht? blind zitiere besser nicht.

ws

Über den Autor

Prof. Dr. Wolfgang Sturm administrator

Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht, Fachanwalt für Agrarrecht, Diplom-Finanzwirt, Inhaber einer Professur für Wirtschafts- und Steuerrecht

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