Verwundert rieben wir uns die Augen, als ein offensichtlich dünnhäutiger Kollege einer großen Anwaltskanzlei uns einen Verstoß gegen das Sachlichkeitsgebot vorwarf. Was war passiert? Unsere Mandantin unterlag in erster Instanz in einem Rechtsstreit, an dem die ERGO Versicherung (Werbeslogan: „Versichern heißt verstehen„) als Nebenintervenientin beteiligt war. Hätte unsere Mandantin den Rechtsstreit gewonnen, hätte die Versicherung als Testamentsvollstreckerhaftpflichtversicherung zahlen müssen. Gegen das Urteil haben wir Berufung eingelegt. Auf Antrag des Bevollmächtigten der ERGO wurden die Kosten erster Instanz durch Beschluss festgesetzt. Sofort nach Eingang des Beschlusses bei uns boten wir der ERGO über den Kollegen Zahlung der festgesetzten Summe an, wenn die ERGO die im Beschluss ausgewiesene Sicherheit geleistet haben würde. Die Kanzlei der ERGO meldete sich bei uns aber nicht. Circa einen Monat später beantragte die Kanzlei der ERGO die (rechtlich zulässige) Sicherungsvollstreckung. Allerdings geschah dies, ohne uns zu informieren. Da unsere über 80 Jahre alte Mandantin sich im Urlaub befand, war sie nicht gering überrascht, als sie „Besuch“ von der Obergerichtsvollzieher erhielt.
Wir nahmen daraufhin Kontakt zu dem Kollegen auf und erneuerten unser Zahlungsangebot. Zugleich brachten wir unser Mißfallen gegenüber dem Kollegen zum Ausdruck. Denn die Vollstreckung wäre bei vorheriger Abstimmung unter Kollegen obsolet gewesen. Der Kollege wies dieses Angebot zurück. Er konnte uns auch nicht erklären, warum er nicht uns informierte hatte, obwohl wir Zahlung angeboten hatten. In unserem Schreiben an den Kollegen machten wir deutlich, dass wir sein Verhalten für weit überzogen hielten, sogar für unangemessen und unprofessionell.
Offensichtlich war der Kollege außerordentlich dünnhäutig. Denn jetzt beharrte er darauf, dass er die Sicherungsvollstreckung, die für seine Mandantin angesichts des Zahlungaangebotes ein Minus und relativ wertlos war, fortsetzen wolle. Es blieb für unsere Mandantin nichts anderes übrig, als die Sicherungsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festgesetzten Kosten abzuwenden. Der dünnhäutige Kollege seinerseits wollte aber auch nicht so recht bestätigen, dass die Zwangsvollstreckung ausgesetzt werden würde. Da unsere Mandantin aber am nächsten Tag wiederum mit Zwangsvollstreckung und einem „Besuch“ der Obergerichtsvollzieherin rechnen musste, waren wir gezwungen, eigenständig die Vollstreckung von der Gerichtsvollzieherin einstellen zu lassen. Der Gerichtsvollzieherin leuchtete unser Antrag auch sofort ein. Welchen Sinn macht auch eine Sicherungsvollstreckung, wenn der Schuldner nicht nur bereit ist, eine Sicherheit zu leisten, sondern seinerseits sogar Zahlung angeboten hatte.
All das kümmerte den dünnhäutigen Kollegen nicht. Er möchte er jetzt vielmehr wegen unseres angeblichen Verstoßes gegen das Sachlichkeitsgebot die Angelegenheit der Rechtsanwaltskammer vorlegen. Wir sehen diesem Verfahren angesichts der neueren Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Thema „Winkeladvokat“ gelassen entgegen. Wahrscheinlich wird die Angelegenheit noch für den Kollegen peinlich. Wir hatten nicht vor, die Angelegenheit der Kammer zu melden. Wenn die Angelegenheit dort aber ohnehin landet, werden wir auch zum Gegenangriff blasen. Wir sind auch gespannt, was der Vorstand der ERGO zu dem Auftreten seiner Anwälte meint. Es passt nicht so recht zu dem Image, das die ERGO sich mit ihren Kampagnen zulegen möchte. Unsere Mandantin hat sich jedenfalls über den Kollegen bei der ERGO beschwert.
ws
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