Gerichte können bei der Beweisaufnahme auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens verzichten, wenn eine Tatsache gerichtsbekannt ist. Dies kann das Gericht aber nur dann, wenn es eigene Sachkunde hinsichtlich der Beweismaterie besitzt. Bei der Gerichtskenntnis kann das Gericht sich auch auf Fachliteratur stützen. Wenn es seine Beurteilung aber allein auf die Auswertung von Fachliteratur stützt, muss es in seiner Entscheidung darlegen, dass es hierfür die erforderliche Sachkunde besitzt (BGH-Urteil vom 10.05.1994, Aktenzeichen: VI ZR 192/93). Es muss also ein Zusammenhang zwischen eigener Sachkunde des Gerichts und der Fachliteratur bestehen. Ein Tatsache als gerichtsbekannt darzustellen, nur weil das Gericht die Fachliteratur gelesen hat, reicht nicht aus.
Beim Amtsgericht (AG) Köln hatte man damit aber anscheinend kein Problem. Denn das AG gab in seinem Urteil vom 20. April 2011 (Aktenzeichen: 201 C 546/10) an, es sei gerichtsbekannt, dass
„Epoxidharz Komponenten enthält, die gesundheitsschädlich sind“.
Seine Kenntnis hatte sich das Gericht, dies gab es in der Begründung seines Urteils ausdrücklich an, allein aus einem Wikipedia-Artikel zum Thema Epoxidharz erworben. Dass Wikipedia-Einträge kaum als Fachliteratur anzusehen sind, weil sie (oft) nicht wissenschaftlich fundiert sind und außerdem (oft) von Laien eingestellt werden, hat das Gericht übersehen. Übersehen hat das Gericht zudem auch, dass Wikipedia in dem Artikel unter dem Punkt: „Gesundheit“ selbst ausdrücklich darauf hinweist, dass der
„Artikel oder nachfolgende Abschnitt […] nicht hinreichend mit Belegen (bspw. Einzelnachweisen) ausgestattet“
ist.
Wir meinen, und dass war wohl auch die Auffassung des BGH (vgl. BGH-Urteil vom 23.11.2006, Aktenzeichen: III ZR 65/06), dass ein Gericht nicht einfach einen Wikipedia-Artikel zu einem streitigen Thema lesen und den dort vertretenen Inhalt als wahr und als gerichtsbekannt darstellen kann. Bei streitigen Fachthemen, und hierher gehört auch die Frage der Gesundheitsgefährlichkeit von Epoxidharz, kann nur ein Sachverständiger entscheiden. Wikipedia kann einen Sachverständigen nicht ersetzen.
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