Zur Grundausstattung eines Anwalts gehört………. ein Zollstock (LAG Berlin-Brandenburg vom 10.01.2011), zugleich ein Beitrag zur Bedeutung der Schlitzgröße von Nachtbriefkästen

VonProf. Dr. Wolfgang Sturm

Zur Grundausstattung eines Anwalts gehört………. ein Zollstock (LAG Berlin-Brandenburg vom 10.01.2011), zugleich ein Beitrag zur Bedeutung der Schlitzgröße von Nachtbriefkästen

Das LAG Berlin-Brandenburg hatte über einen Antrag auf Wiedereinsetzung zu entscheiden. Es hat ihm nicht stattgegeben. Was war passiert ? Ein Anwalt hatte am letzten Tag der Frist (sic !) einen Schrifsatz mit vielen Anlagen (nach der Entscheidung war der Schriftsatz im Umschlag 4 cm dick) einen Kurierdienst beauftragt, den Umschlag noch am gleichen Tage bei dem Gericht in den Briefkasten einzuwerfen. Die Übergabe an den Kurierdienst erfolgte zwischen 17:00 und 18:00 Uhr, der Kurierdienst garantierte die Zustellung am gleichen Tage. Vor Ort am Briefkasten musste der Zusteller aber feststellen, dass der Umschlag nicht in den Briefkasten passte, weil er zu dick war (nach der Entscheidung des LAG maß der Schlitz 3,2 cm, er war also 0,8 cm zu klein. Der Kurier warf das Schriftstück nicht ein, sondern gab es am nächsten Tag und damit nach Fristablauf  bei Gericht ab. Pech.

Der Anwalt stellte wegen unverschuldetem Versäumen der Frist einen Antrag auf Wiedereinsetzung, Wer denkt, dass das Gericht dem Antrag stattgegeben hätte, der ist ein Schelm. Das LAG wies den Antrag mit Beschluss vom 10.01.2011 (20 Sa 1659/10) zurück. Es beschied den Antragstelle, er habe ein Organisationsverschulden begangen. Denn er habe keine ausreichenden Vorkehrungen für die fristwahrende Zustellung getroffen. Es gäbe, so das LAG, jedenfalls nicht in Berlin und auch nicht bei der Post eine einheitliche Schlitzgröße für Briefkästen. Bei den Berliner Gerichten variiere die Größe der Schlitze von 3,0 bis 6,5 cm. Auch wenn ein bis 5 cm dicker Umschlag postalisch noch als „Brief“ gelte, so habe der Anwalt sich doch zu vergewissern, dass sein Schriftstück „zustellfähig“ ist, also auch durch den Schlitz, für den es bestimmt sei, hindurch passe. Ernsthaft führt das LAG dann weiter aus, dass dem Anwalt die Schlitzgröße aufgrund eigener Wahrnehmung hätte bekannt sein müssen (denn der Briefkasten befände sich ja neben dem Eingang zum Gericht und dort komme der Anwalt ja schon mal vorbei). Nach dem LAG hätte der Anwalt zudem Veranlassung gehabt, die Maße des Gerichtsbriefkastens vorher zu ermitteln.

Die Entscheidung lässt den Leser erstaunt zurück. Die Frage, dass Anwälte zunächst die Größe der Schlitzes von Gerichtsbriefkästen ermitteln müssen, ist durch die Entscheidung jedenfalls geklärt. Es ergeben sich aber weitere Fragen. Hier sei nur ein kleiner Ausschnitt genannt:

Sind Gerichte gesetzlich zu verpflichten, die Schlitzgröße auf den Briefbögen und im Internet anzugeben ? wenn je, wer ergreift dazu die Initiative ?
wie genau muss ein Zollstock sein, um richtige Meßergebnisse zu erzielen ?
gibt es Vorgaben an das Messverfahren ?
müssen die Gerichtsbriefkästen geeicht werden ? und wenn ja, in welchen Abständen ?
wie wird das Personal geschult, um falsche Messungen zu vermeiden ?
was ist, wenn der Gerichtsbriefkasten voll ist ?

In diesem Zusammenhang ist erneut zu beklagen, dass es derartiger Entscheidung nicht bedarf, wenn alle Gerichte verpflichtet wären, am EGVP – Verfahren teilzunehmen. Dort gibt keine Schlitzgröße wie bei einem Briefkasten, aber auch bei dem EGVP – Verfahren gibt es Datenbegrenzungen. Eine Nachricht mit Anlagen darf ein bestimmtes Datenvolumen nicht übersteigen. Dem lässt sich aber einfach begegnen, indem eine Nachricht aufgeteilt und in mehreren Teil-Nachrichten versandt wird. Solange aber erschreckenderweise die weitaus überwiegende Mehrheit der Gerichte nicht per EGVP erreichbar ist, und solange es solche Entscheidungen wie die des LAG zur Schlitzgröße von Briefkästen gibt, muss sich bei den Gerichten niemand wundern, wenn Anwälte den sichersten Weg gehen und umfangreiche Schriftsätze per Telefax versenden. Im Zeitalter, wo es möglich ist, riesige Datenmengen in Sekundenschnelle zu versenden, kommt einem die Entscheidung des LAG vor wie aus der „Fred Feuerstein“ – Zeit.

Wir wissen, dass man im Nachhinein immer klug daher reden kann, aber wollen wir doch mal darauf schauen, wie das Desaster hätte verhindert werden können:

Der Kurier hätte die Sendung aufmachen und in zwei „Tranchen“ einwerfen können. Hier ist es gut, den Kurier nicht einfach losfahren zu lassen, sondern ihm eine Telefonnummer zu geben, falls es Probleme gibt. Das ist heute kein Problem mehr.

Das einfachste aber wäre es gewesen, die Frist nicht am letzten Tage, sondern eine Woche vorher zu erledigen. Das kann nach unseren Erfahrungen, wenn auch nicht von heute auf morgen, so aber doch nach gewisser Zeit, durch ein gutes Kanzleimanagement erreicht werden. 

Übrigens: es ist nicht bekannt, ob der Kurierdienst für den Schaden haftet.

Über den Autor

Prof. Dr. Wolfgang Sturm administrator

Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht, Fachanwalt für Agrarrecht, Diplom-Finanzwirt, Inhaber einer Professur für Wirtschafts- und Steuerrecht

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