Die Videokonferenz mit Gerichten in der anwaltlichen Praxis – ein Trauerspiel – zugleich ein Nachruf auf eine gescheiterte Idee

VonProf. Dr. Wolfgang Sturm

Die Videokonferenz mit Gerichten in der anwaltlichen Praxis – ein Trauerspiel – zugleich ein Nachruf auf eine gescheiterte Idee

Die Videokonferenz (§ 128 a ZPO und andere Prozessordnungen, z.B. § 91 a FGO) ist eine der wenigen guten Ideen, mit denen die Justiz und die Anwaltschaft hätten dokumentieren können, dass sie (endlich) anfangen, den Rückstand in der Entwicklung, der Technik und im Denken aufzuholen. Dieser Versuch muss leider als grandios gescheitert angesehen werden. Uns ist auch nicht bekannt, dass die Anwaltskammern sich zu diesem Thema nennenswert engagiert hätten.  

Aber auch die Gerichte tragen dazu bei, die Videokonferenz zu Grabe zu tragen. Das Landgericht Freiburg (Entfernung für uns rd. 650 km) hatte i in einem von uns betreuten Verfahren zunächst unserem Antrag, an der Verhandlung per Videokonferenz teilzunehmen, stattgegeben. In der letzten Woche rieben wir uns dann verwundert die Augen, als das Landgericht uns lapidar mitteilte, dass „wegen des Prozesstoffes“ eine Videokonferenz nicht mehr in Betracht käme. Möchte das Gericht uns damit sagen, dass es nicht in der Lage ist, eine Verhandlung über einen umfangreichen Prozessstoff per Videokonferenz zu führen und wenn ja, woran liegt das ? 

Ungeachtet der Tatsache, dass das Gericht uns jetzt zumuten möchte, 1.300 km zu fahren und einen unvertretbar großen Zeitaufwand auf uns zu nehmen, ist es kein katastrophales Signal nach außen hin, weil der Schluß nahe liegt, dass das Landgericht technikfeindlich ist.

Und da schließt sich der Kreis: Anwälte und Gerichte scheinen immer noch nicht zur Kenntnis nehmen zu wollen, dass sich unsere Umwelt und die Arbeitsmethoden in den letzten 20 Jahren massiv geändert haben und sich weiter immer rasanter und in immer kürzeren Abständen ändern wird. Was für andere Berufsgruppen schon lange selbstverständlich ist (z.B. im Büro keinen festen Arbeitsplatz zu haben, sondern mit einem notebook ungebunden zu arbeiten, oder als freelancer nur projektbezogen und für mehrere Auftraggeber tätig zu werden) ist für die meisten Anwälte jenseits des Vorstellungsvermögens.

Wir werden uns davon nicht beirren lassen und den von uns eingeschlagenen Weg, zur bestmöglichen Betreuung unserer Mandanten moderne Technologie einzusetzen und neue, manchmal ungewöhnliche Arbeitsmethoden zu verwenden, zielgerichtet weitergehen. Das Landgericht werden wir bitten, über die getroffen Entscheidung nachzudenken.

Über den Autor

Prof. Dr. Wolfgang Sturm administrator

Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht, Fachanwalt für Agrarrecht, Diplom-Finanzwirt, Inhaber einer Professur für Wirtschafts- und Steuerrecht

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